Worum geht es beim transatlantischen Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Deutschland und Teile der EU mit russischem Erdgas versorgen soll? Eine Zusammenarbeit, die auch beinhaltet, dass die BASF-Tochter Wintershall Dea Zugriff auf große Erdgasvorkommen in Sibirien erhält.
Immer wieder verstärken die USA ihre Anstrengungen, diese deutsch-russische Energiekooperation mit Sanktionsdrohungen zu torpedieren.
Die erste Runde der Strafdrohungen aus Übersee zielte 2019 gegen die Verlegeschiffe. Um ihr US-Geschäft bangend, zog die niederländisch-schweizerische Firma Allseas Ende 2019 ihren gleichnamigen Röhren-Verleger, den größten der Welt, aus der Ostsee ab. Russland ließ diesen US-Angriff ins Leere laufen, indem es eigene Verlegeschiffe schickte, die von Ostasien bis nach Rügen dampften. Sie sollen nach dem Ende der Laichzeit der Ostseedorsche im September die fehlenden 160 Kilometer der 2360 Kilometer langen Rohrleitung zu Ende bauen.
Ob es dazu kommt, ist fraglich. Inzwischen haben die USA für die zweite Runde ihres Kampfes gegen die »Putin-Pipeline« (Bild), die für Russland, Deutschland und die EU gleichermaßen wichtig ist, nachgelegt. Nun nehmen sie Firmen, Personen und Institutionen ins Visier, die direkt oder auch nur indirekt am Bau der Leitung für das »Russen-Gas« (Handelsblatt) beteiligt sind. US-Außenminister Mike Pompeo erklärte Ende Juli, Nord Stream 2 falle jetzt unter ein US-Gesetz, das Strafmaßnahmen gegen alle ermögliche, die Geschäfte mit Russland, dem Iran und Nordkorea machen.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, warnt: »Die wachsende Einflussnahme der USA auf Projekte der europäischen Energieversorgung belastet die transatlantischen Beziehungen ernsthaft.« Es sei wichtig, die Rechtssouveränität und strategischen Wirtschaftsinteressen der EU zu verteidigen. Der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes, sieht einen »unfassbaren Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen«. Schon hat der Vorstand des finnisch-deutschen Energiekonzerns Uniper, der zusammen mit der russischen Gazprom und vier weiteren EU-Firmen zu den Finanziers der 9,5 Milliarden Euro teuren Gasleitung gehört, seine Aktionäre gewarnt, die eingezahlten 950 Millionen Euro müsse Uniper womöglich abschreiben, sollte die Vollendung des Projektes noch länger verzögert werden oder ganz scheitern.
Berlin und Brüssel haben auf die US-Angriffe auf die deutsche und europäische Souveränität und Energiesicherheit bisher nur verhalten geantwortet. Die Bundesregierung erklärte, sie lehne extraterritoriale Sanktionen als »völkerrechtswidrig« ab, und wandte sich auch gegen die Forderung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Nord Stream AG, Altkanzler Gerhard Schröder, mit »Gegensanktionen« zu antworten.
Als »lauwarm« hat der Geschäftsführer des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Michael Harms, die Reaktionen der EU kritisiert. Die Brüsseler Kommission hatte vor Monaten erklärt, sie arbeite an einem Gegeninstrument, von dem bisher aber nichts zu sehen und zu hören ist.
Gleiches gilt für Ankündigungen von Bundesaußenminister Heiko Maas. Der hat vor zwei Jahren betont, es gelte das Verhältnis zu den USA »neu zu vermessen«, die Amtszeit von US-Präsident Donald Trump könne nicht einfach ausgesessen werden. Zu Trumps Weltbild gehört, dass die EU gegründet worden sei, »um die Vereinigten Staaten zu übervorteilen«. Auch tönt er immer mal wieder, die EU sei »wahrscheinlich genauso schlimm wie China, nur kleiner« und Deutschland werde »total von Russland kontrolliert«, sei »ein Gefangener Russlands«.
Ist Trumps exzentrischer Charakter die Ursache für die aggressive US-Politik? Das zu glauben wäre ein Irrtum!
Die jüngsten antieuropäischen Strafmaßnahmen hat der US-Kongress beschlossen – parteiübergreifend! Das dämpft Hoffnungen auf eine Politikwende nach der US-Wahl am 3. November.
Im Übrigen war es Trump-Herausforderer Joe Biden, der im Jahr 2014 während der Ukraine-Krise angekündigt hat, Russland werde ruiniert, wenn es sich nicht US-Interessen öffne. Gleichzeitig hat der damalige US-Vizepräsident die Obama-Regierung gerühmt, weil es dieser damals gelungen war, die widerstrebenden EU-Staaten in die Sanktionspolitik gegen Russland einzubinden – zu deren eigenem wirtschaftlichen Nachteil.
Maas hat im Sommer 2018 eine Politik der »balancierten Partnerschaft« mit den USA angekündigt. Dabei müsse es darum gehen, so der deutsche Außenminister, mit anderen EU-Staaten ein »Gegengewicht« zu bilden, »wo rote Linien überschritten werden«. Das gelte vor allem für die US-Sanktionspolitik, vor der EU-Firmen geschützt werden müssten. Konkret nannte Maas unter anderem den Aufbau von Zahlungssystemen, die von den USA unabhängig sind.
Dieses »Gegengewicht« fehlt bis heute. Stattdessen laviert Berlin, treibt Beschwichtigungspolitik. So mimte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Anfang August auf der politischen Bühne den unerschütterlichen Optimisten: »Wir hoffen immer noch, dass es nicht zu diesen Sanktionen kommt«, erklärte er und betonte, die Bundesregierung setze auf Deeskalation und sei jederzeit zu Gesprächen bereit, auf die Washington aber pfeift.
Worauf die Bundesregierung ihre Deeskalations-Hoffnung gründet, ist unklar. Altmaier gab den Hinweis, dass die Bundesregierung in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel den Bau von Tanker-Terminals fördert, »wo dann auch Flüssiggas aus den USA angelandet und in Deutschland verkauft werden kann«. Zudem sei es dank deutschen Einsatzes gelungen, den Transit von russischem Gas durch die Ukraine über Jahre zu sichern. Vor diesem Hintergrund gebe es keinen Grund für Sanktionen, so Altmaier.
Er deutet die Strafpolitik, die die USA gegen ihren früheren »Partner in Leadership« (George W. Bush) eröffnet haben, offenbar als rüpelhafte Variante politischer Lobbyarbeit im Interesse der US-Fracking-Gas-Industrie, die wegen des Verfalls der Energiepreise Schwierigkeiten hat.
Das aber dürfte zu kurz gedacht und ein Irrglaube sein, den auch der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, Klaus Ernst (Die Linke), in entsprechenden Erklärungen verbreitet hat.
Tatsächlich dürfte es den USA um viel mehr gehen, nämlich um Geopolitik zur Sicherung ihrer Weltmachtposition – und die ist für sie nicht verhandelbar. Diese Einschätzung vertritt sachkundig und überzeugend Wolfgang Bittner. In seinen Büchern »Die Eroberung Europas durch die USA. Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung« und ausführlich in »Der neue West-Ostkonflikt. Inszenierung einer Krise« beschreibt Bittner eine imperiale »Langzeitstrategie«, die die USA in der Nachfolge des britischen Empires unabhängig von der jeweiligen Regierung seit mehr als hundert Jahren mit dem Ziel verfolgten, eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland zu hintertreiben. Bittner nennt dafür viele Belege. Unter anderem verweist er auf die Veröffentlichungen des früheren US-Sicherheitsberaters und Geopolitikers Zbigniew Brzezinski über das »eurasische Schachbrett« und die »letzte«, also ewige, Weltmacht USA. Und er zitiert aus einer Rede von George Friedman, dem Gründer der einflussreichen amerikanischen Strategie-Denkfabrik Stratfor: »Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil sie vereint die einzige Macht sind, die unsere Vormachtstellung bedrohen kann«, sagte Friedman 2015. Für die USA sei die Hauptsorge, so Friedman weiter, dass sich »deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohstoff-Reserven und russischer Arbeitskraft zu einer einzigartigen Kombination verbinden«.
Unterdessen bereiten die Republikaner im US-Kongress eine dritte Runde im Wirtschaftskrieg vor. Die Denkfabrik »European Council on Foreign Relations« warnt in einer Analyse, die USA würden »kein Tabu« mehr kennen: So solle der US-Kongress die Russische Föderation als »staatlichen Terrorsponsor« ächten und das Land vom globalen Zahlungsdienstleister SWIFT ausschließen. Der hat seinen Sitz in Belgien, wurde aber 2018 erfolgreich durch US-Repressalien dazu genötigt, den Iran aus dem globalen Zahlungsverkehr auszusperren. Gelänge dies auch gegenüber Russland, seien Handelsströme zwischen Russland und der EU im Umfang von 190 Milliarden Euro betroffen, meldet das Internetportal German-Foreign-Policy.com. Auch liege dem US-Kongress bereits ein Gesetzentwurf aus den Reihen der Republikaner vor, der sich gegen INSTEX (Instrument in Support of Trade Exchanges) richtet, ein Finanzinstrument, mit dem die EU versucht, Geschäfte (mit dem Iran) in Form einer vom US-Einfluss freien Tauschbörse abzuwickeln, was aber bislang nur in einem Fall gelungen ist, der zudem nicht unter US-Sanktionen fiel.
Ironie der Geschichte: Russland, das in der ersten Amtszeit von Präsident Putin die enge Kooperation auch über Energiefragen hinaus mit Deutschland angestrebt hatte, aber zurückgewiesen wurde, hat sich inzwischen nach Asien gewandt und mit der ungleich potenteren High-Tech-Macht des 21. Jahrhunderts verbündet, mit China.