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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wirtschaftskrieg gegen Russen-Gas

Wor­um geht es beim trans­at­lan­ti­schen Streit um die Ost­see-Pipe­line Nord Stream 2, die Deutsch­land und Tei­le der EU mit rus­si­schem Erd­gas ver­sor­gen soll? Eine Zusam­men­ar­beit, die auch beinhal­tet, dass die BASF-Toch­ter Win­ters­hall Dea Zugriff auf gro­ße Erd­gas­vor­kom­men in Sibi­ri­en erhält.

Immer wie­der ver­stär­ken die USA ihre Anstren­gun­gen, die­se deutsch-rus­si­sche Ener­gie­ko­ope­ra­ti­on mit Sank­ti­ons­dro­hun­gen zu torpedieren.

Die erste Run­de der Straf­dro­hun­gen aus Über­see ziel­te 2019 gegen die Ver­le­ge­schif­fe. Um ihr US-Geschäft ban­gend, zog die nie­der­län­disch-schwei­ze­ri­sche Fir­ma All­se­as Ende 2019 ihren gleich­na­mi­gen Röh­ren-Ver­le­ger, den größ­ten der Welt, aus der Ost­see ab. Russ­land ließ die­sen US-Angriff ins Lee­re lau­fen, indem es eige­ne Ver­le­ge­schif­fe schick­te, die von Ost­asi­en bis nach Rügen dampf­ten. Sie sol­len nach dem Ende der Laich­zeit der Ost­see­dor­sche im Sep­tem­ber die feh­len­den 160 Kilo­me­ter der 2360 Kilo­me­ter lan­gen Rohr­lei­tung zu Ende bauen.

Ob es dazu kommt, ist frag­lich. Inzwi­schen haben die USA für die zwei­te Run­de ihres Kamp­fes gegen die »Putin-Pipe­line« (Bild), die für Russ­land, Deutsch­land und die EU glei­cher­ma­ßen wich­tig ist, nach­ge­legt. Nun neh­men sie Fir­men, Per­so­nen und Insti­tu­tio­nen ins Visier, die direkt oder auch nur indi­rekt am Bau der Lei­tung für das »Rus­sen-Gas« (Han­dels­blatt) betei­ligt sind. US-Außen­mi­ni­ster Mike Pom­peo erklär­te Ende Juli, Nord Stream 2 fal­le jetzt unter ein US-Gesetz, das Straf­maß­nah­men gegen alle ermög­li­che, die Geschäf­te mit Russ­land, dem Iran und Nord­ko­rea machen.

Der Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Bun­des­ver­bands der Deut­schen Indu­strie (BDI), Joa­chim Lang, warnt: »Die wach­sen­de Ein­fluss­nah­me der USA auf Pro­jek­te der euro­päi­schen Ener­gie­ver­sor­gung bela­stet die trans­at­lan­ti­schen Bezie­hun­gen ernst­haft.« Es sei wich­tig, die Rechts­sou­ve­rä­ni­tät und stra­te­gi­schen Wirt­schafts­in­ter­es­sen der EU zu ver­tei­di­gen. Der Vor­sit­zen­de des Ost­aus­schus­ses der deut­schen Wirt­schaft, Oli­ver Her­mes, sieht einen »unfass­ba­ren Tief­punkt in den trans­at­lan­ti­schen Bezie­hun­gen«. Schon hat der Vor­stand des fin­nisch-deut­schen Ener­gie­kon­zerns Uni­per, der zusam­men mit der rus­si­schen Gaz­prom und vier wei­te­ren EU-Fir­men zu den Finan­ziers der 9,5 Mil­li­ar­den Euro teu­ren Gas­lei­tung gehört, sei­ne Aktio­nä­re gewarnt, die ein­ge­zahl­ten 950 Mil­lio­nen Euro müs­se Uni­per womög­lich abschrei­ben, soll­te die Voll­endung des Pro­jek­tes noch län­ger ver­zö­gert wer­den oder ganz scheitern.

Ber­lin und Brüs­sel haben auf die US-Angrif­fe auf die deut­sche und euro­päi­sche Sou­ve­rä­ni­tät und Ener­gie­si­cher­heit bis­her nur ver­hal­ten geant­wor­tet. Die Bun­des­re­gie­rung erklär­te, sie leh­ne extra­ter­ri­to­ria­le Sank­tio­nen als »völ­ker­rechts­wid­rig« ab, und wand­te sich auch gegen die For­de­rung des Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­den der Nord Stream AG, Alt­kanz­ler Ger­hard Schrö­der, mit »Gegen­sank­tio­nen« zu antworten.

Als »lau­warm« hat der Geschäfts­füh­rer des Ost­aus­schus­ses der deut­schen Wirt­schaft, Micha­el Harms, die Reak­tio­nen der EU kri­ti­siert. Die Brüs­se­ler Kom­mis­si­on hat­te vor Mona­ten erklärt, sie arbei­te an einem Gegen­in­stru­ment, von dem bis­her aber nichts zu sehen und zu hören ist.

Glei­ches gilt für Ankün­di­gun­gen von Bun­des­au­ßen­mi­ni­ster Hei­ko Maas. Der hat vor zwei Jah­ren betont, es gel­te das Ver­hält­nis zu den USA »neu zu ver­mes­sen«, die Amts­zeit von US-Prä­si­dent Donald Trump kön­ne nicht ein­fach aus­ge­ses­sen wer­den. Zu Trumps Welt­bild gehört, dass die EU gegrün­det wor­den sei, »um die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu über­vor­tei­len«. Auch tönt er immer mal wie­der, die EU sei »wahr­schein­lich genau­so schlimm wie Chi­na, nur klei­ner« und Deutsch­land wer­de »total von Russ­land kon­trol­liert«, sei »ein Gefan­ge­ner Russlands«.

Ist Trumps exzen­tri­scher Cha­rak­ter die Ursa­che für die aggres­si­ve US-Poli­tik? Das zu glau­ben wäre ein Irrtum!

Die jüng­sten anti­eu­ro­päi­schen Straf­maß­nah­men hat der US-Kon­gress beschlos­sen – par­tei­über­grei­fend! Das dämpft Hoff­nun­gen auf eine Poli­tik­wen­de nach der US-Wahl am 3. November.

Im Übri­gen war es Trump-Her­aus­for­de­rer Joe Biden, der im Jahr 2014 wäh­rend der Ukrai­ne-Kri­se ange­kün­digt hat, Russ­land wer­de rui­niert, wenn es sich nicht US-Inter­es­sen öff­ne. Gleich­zei­tig hat der dama­li­ge US-Vize­prä­si­dent die Oba­ma-Regie­rung gerühmt, weil es die­ser damals gelun­gen war, die wider­stre­ben­den EU-Staa­ten in die Sank­ti­ons­po­li­tik gegen Russ­land ein­zu­bin­den – zu deren eige­nem wirt­schaft­li­chen Nachteil.

Maas hat im Som­mer 2018 eine Poli­tik der »balan­cier­ten Part­ner­schaft« mit den USA ange­kün­digt. Dabei müs­se es dar­um gehen, so der deut­sche Außen­mi­ni­ster, mit ande­ren EU-Staa­ten ein »Gegen­ge­wicht« zu bil­den, »wo rote Lini­en über­schrit­ten wer­den«. Das gel­te vor allem für die US-Sank­ti­ons­po­li­tik, vor der EU-Fir­men geschützt wer­den müss­ten. Kon­kret nann­te Maas unter ande­rem den Auf­bau von Zah­lungs­sy­ste­men, die von den USA unab­hän­gig sind.

Die­ses »Gegen­ge­wicht« fehlt bis heu­te. Statt­des­sen laviert Ber­lin, treibt Beschwich­ti­gungs­po­li­tik. So mim­te Bun­des­wirt­schafts­mi­ni­ster Peter Alt­mai­er Anfang August auf der poli­ti­schen Büh­ne den uner­schüt­ter­li­chen Opti­mi­sten: »Wir hof­fen immer noch, dass es nicht zu die­sen Sank­tio­nen kommt«, erklär­te er und beton­te, die Bun­des­re­gie­rung set­ze auf Dees­ka­la­ti­on und sei jeder­zeit zu Gesprä­chen bereit, auf die Washing­ton aber pfeift.

Wor­auf die Bun­des­re­gie­rung ihre Dees­ka­la­ti­ons-Hoff­nung grün­det, ist unklar. Alt­mai­er gab den Hin­weis, dass die Bun­des­re­gie­rung in Wil­helms­ha­ven, Sta­de und Bruns­büt­tel den Bau von Tan­ker-Ter­mi­nals för­dert, »wo dann auch Flüs­sig­gas aus den USA ange­lan­det und in Deutsch­land ver­kauft wer­den kann«. Zudem sei es dank deut­schen Ein­sat­zes gelun­gen, den Tran­sit von rus­si­schem Gas durch die Ukrai­ne über Jah­re zu sichern. Vor die­sem Hin­ter­grund gebe es kei­nen Grund für Sank­tio­nen, so Altmaier.

Er deu­tet die Straf­po­li­tik, die die USA gegen ihren frü­he­ren »Part­ner in Lea­der­ship« (Geor­ge W. Bush) eröff­net haben, offen­bar als rüpel­haf­te Vari­an­te poli­ti­scher Lob­by­ar­beit im Inter­es­se der US-Frack­ing-Gas-Indu­strie, die wegen des Ver­falls der Ener­gie­prei­se Schwie­rig­kei­ten hat.

Das aber dürf­te zu kurz gedacht und ein Irr­glau­be sein, den auch der Vor­sit­zen­de des Bun­des­tags­aus­schus­ses für Wirt­schaft und Ener­gie, Klaus Ernst (Die Lin­ke), in ent­spre­chen­den Erklä­run­gen ver­brei­tet hat.

Tat­säch­lich dürf­te es den USA um viel mehr gehen, näm­lich um Geo­po­li­tik zur Siche­rung ihrer Welt­macht­po­si­ti­on – und die ist für sie nicht ver­han­del­bar. Die­se Ein­schät­zung ver­tritt sach­kun­dig und über­zeu­gend Wolf­gang Bitt­ner. In sei­nen Büchern »Die Erobe­rung Euro­pas durch die USA. Eine Stra­te­gie der Desta­bi­li­sie­rung, Eska­la­ti­on und Mili­ta­ri­sie­rung« und aus­führ­lich in »Der neue West-Ost­kon­flikt. Insze­nie­rung einer Kri­se« beschreibt Bitt­ner eine impe­ria­le »Lang­zeit­stra­te­gie«, die die USA in der Nach­fol­ge des bri­ti­schen Empires unab­hän­gig von der jewei­li­gen Regie­rung seit mehr als hun­dert Jah­ren mit dem Ziel ver­folg­ten, eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen Russ­land und Deutsch­land zu hin­ter­trei­ben. Bitt­ner nennt dafür vie­le Bele­ge. Unter ande­rem ver­weist er auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen des frü­he­ren US-Sicher­heits­be­ra­ters und Geo­po­li­ti­kers Zbi­gniew Brze­zin­ski über das »eura­si­sche Schach­brett« und die »letz­te«, also ewi­ge, Welt­macht USA. Und er zitiert aus einer Rede von Geor­ge Fried­man, dem Grün­der der ein­fluss­rei­chen ame­ri­ka­ni­schen Stra­te­gie-Denk­fa­brik Strat­for: »Das Haupt­in­ter­es­se der US-Außen­po­li­tik wäh­rend des letz­ten Jahr­hun­derts, im Ersten und Zwei­ten Welt­krieg und im Kal­ten Krieg, waren die Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und Russ­land. Weil sie ver­eint die ein­zi­ge Macht sind, die unse­re Vor­macht­stel­lung bedro­hen kann«, sag­te Fried­man 2015. Für die USA sei die Haupt­sor­ge, so Fried­man wei­ter, dass sich »deut­sches Kapi­tal und deut­sche Tech­no­lo­gie mit rus­si­schen Roh­stoff-Reser­ven und rus­si­scher Arbeits­kraft zu einer ein­zig­ar­ti­gen Kom­bi­na­ti­on verbinden«.

Unter­des­sen berei­ten die Repu­bli­ka­ner im US-Kon­gress eine drit­te Run­de im Wirt­schafts­krieg vor. Die Denk­fa­brik »Euro­pean Coun­cil on For­eign Rela­ti­ons« warnt in einer Ana­ly­se, die USA wür­den »kein Tabu« mehr ken­nen: So sol­le der US-Kon­gress die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on als »staat­li­chen Ter­ror­spon­sor« äch­ten und das Land vom glo­ba­len Zah­lungs­dienst­lei­ster SWIFT aus­schlie­ßen. Der hat sei­nen Sitz in Bel­gi­en, wur­de aber 2018 erfolg­reich durch US-Repres­sa­li­en dazu genö­tigt, den Iran aus dem glo­ba­len Zah­lungs­ver­kehr aus­zu­sper­ren. Gelän­ge dies auch gegen­über Russ­land, sei­en Han­dels­strö­me zwi­schen Russ­land und der EU im Umfang von 190 Mil­li­ar­den Euro betrof­fen, mel­det das Inter­net­por­tal German-Foreign-Policy.com. Auch lie­ge dem US-Kon­gress bereits ein Gesetz­ent­wurf aus den Rei­hen der Repu­bli­ka­ner vor, der sich gegen INSTEX (Instru­ment in Sup­port of Trade Exch­an­ges) rich­tet, ein Finanz­in­stru­ment, mit dem die EU ver­sucht, Geschäf­te (mit dem Iran) in Form einer vom US-Ein­fluss frei­en Tausch­bör­se abzu­wickeln, was aber bis­lang nur in einem Fall gelun­gen ist, der zudem nicht unter US-Sank­tio­nen fiel.

Iro­nie der Geschich­te: Russ­land, das in der ersten Amts­zeit von Prä­si­dent Putin die enge Koope­ra­ti­on auch über Ener­gie­fra­gen hin­aus mit Deutsch­land ange­strebt hat­te, aber zurück­ge­wie­sen wur­de, hat sich inzwi­schen nach Asi­en gewandt und mit der ungleich poten­te­ren High-Tech-Macht des 21. Jahr­hun­derts ver­bün­det, mit China.