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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wirtschaftskrieg

Zu den absur­de­sten Streits des Jah­res 2022 gehört die bis in die Lin­ke hin­ein­rei­chen­de deut­sche Auf­re­gung über den Gebrauch des Wor­tes »Wirt­schafts­krieg« durch die Abge­ord­ne­te Sahra Wagen­knecht in ihrer Rede vor dem Deut­schen Bun­des­tag zu den Fol­gen der Wirt­schafts­sank­tio­nen gegen Russ­land. Der Streit ist nicht nur absurd, weil der vom Kin­der­buch­au­tor zum Wirt­schafts­len­ker auf­ge­stie­ge­ne Robert Habeck ihn gleich am Anfang die­ses öko­no­mi­schen Feld­zugs selbst genutzt hat­te. Es ist auch des­halb absurd, weil im angel­säch­si­schen Bereich – also der Befehls­zen­tra­le die­ses Krie­ges – der Begriff mit völ­li­ger Selbst­ver­ständ­lich­keit gebraucht wird.

Der Bru­ta­li­tät, der Gren­zen und der Zwei­schnei­dig­keit der Sank­tio­nen als Waf­fe im Krieg gegen ande­re Natio­nen sind sich die herr­schen­den Krei­se dort völ­lig im Klaren.

In einem ihrer wich­tig­sten Selbst­ver­stän­di­gungs­or­ga­ne, dem im Lon­don ver­leg­ten The Eco­no­mist, erschien am 19. Febru­ar 2022, also kurz vor dem rus­si­schen Ein­tritt in den damals schon seit acht Jah­ren toben­den Bür­ger­krieg in der Ukrai­ne, eine aus­führ­li­che Buch­be­spre­chung. Das Blatt wür­dig­te dar­in eine Neu­erschei­nung des an der New Yor­ker Cor­nell Uni­ver­si­ty leh­ren­den Nicho­las Muld­er. Die Cor­nell Uni­ver­si­ty ist eine der renom­mier­te­sten US-ame­ri­ka­ni­schen Pri­vat­uni­ver­si­tä­ten, deren Wort­mel­dun­gen als Mit­glied der soge­nann­ten »Ivy League« gehört wer­den. Das Buch trägt einen Titel, des­sen Nen­nung allein hier­zu­lan­de gegen die neue Poli­ti­cal Cor­rect­ness ver­sto­ßen wür­de: »The Eco­no­mic Wea­pon – The Rise of Sanc­tions as a Tool of Modern War«, zu Deutsch also: »Die öko­no­mi­sche Waf­fe – der Auf­stieg der Sank­tio­nen als Werk­zeug des moder­nen Krieges«.

Was sich jetzt und ver­mut­lich auch im Jah­re 2023 prak­tisch in die­sem »moder­nen Krieg« ent­fal­tet, ist dort schon von die­sem wich­ti­gen Wirt­schafts­hi­sto­ri­ker theo­re­tisch durch­ge­ar­bei­tet wor­den. Muld­er ist kein Lin­ker. Er hat kei­ne Ankla­ge gegen den Impe­ria­lis­mus geschrie­ben. Aber sei­ne Aus­füh­run­gen las­sen kei­nen Zwei­fel auf­kom­men: Wirt­schafts­sank­tio­nen sind histo­risch ein Bei­pro­dukt der Ent­wick­lung des Kapi­ta­lis­mus zum Impe­ria­lis­mus. Die zuwei­len vor­ge­brach­te unhi­sto­ri­sche Behaup­tung, Sank­tio­nen hät­te es doch schon im Alter­tum gege­ben, etwa in den Pelo­pon­ne­si­schen Krie­gen, weist er fun­diert zurück. Im auf­stre­ben­den Kapi­ta­lis­mus vor sei­ner impe­ria­li­sti­schen Pha­se galt die soge­nann­te Rous­se­au-Por­ta­lis-Doc­tri­ne, die auf den Aus­füh­run­gen von Jean-Jac­ques Rous­se­au in sei­nem Werk über den »Gesell­schafts­ver­trag« aus dem Jah­re 1762 fuß­ten. Danach betraf ein Krieg nicht »die Bezie­hung zwi­schen einem Men­schen und einem ande­ren, son­dern die zwi­schen einem Staat und einem ande­ren«. Staa­ten könn­ten nur ande­re Staa­ten, nicht aber Men­schen als Fein­de haben. Ent­spre­chend die­ser Dok­trin war es bei­spiels­wei­se völ­lig selbst­ver­ständ­lich, dass wäh­rend des Krim­krie­ges zwi­schen Groß­bri­tan­ni­en und Russ­land, der von 1854 bis 1856 dau­er­te, »Her Majesty’s Tre­a­su­ry« völ­lig selbst­ver­ständ­lich alle ein­mal mit der zari­sti­schen Regie­rung ein­ge­gan­ge­nen Ver­pflich­tun­gen peni­bel erfüllte.

Die Aus­deh­nung krie­ge­ri­scher Hand­lun­gen auch auf öko­no­mi­sche Bezie­hun­gen zwi­schen den Bür­gern der befein­de­ten Natio­nen ist Muld­er zufol­ge eine Erfin­dung aus der Zeit des US-ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krie­ges, bei dem die sieg­rei­chen Nord­staa­ten eine Blocka­de über die Baum­woll-Export­hä­fen des Südens ver­hängt hat­ten, um sie öko­no­misch zu schwä­chen. Beflü­gelt von die­sem Erfolg eta­blier­te sich um die vor­letz­te Jahr­hun­dert­wen­de dann die Syste­ma­ti­sie­rung die­ser Waf­fe im Krieg der kapi­ta­li­sti­schen Natio­nen unter­ein­an­der und gegen noch zu unter­wer­fen­de Natio­nen. Thay­er Mahan, ein damals ein­fluss­rei­cher Vor­den­ker der See­krie­ge erklär­te frei her­aus Sank­tio­nen zu einer »Maß­nah­me, die genau­so mili­tä­risch ist wie das Töten von Män­nern im Feld«.

Den Durch­bruch der Sank­tio­nen als Waf­fe im Krieg brach­te der impe­ria­li­sti­sche Welt­krieg, der von 1914 bis 1918 ein bis dahin für unvor­stell­bar gehal­te­nes Leid über die Men­schen der krieg­füh­ren­den Natio­nen brach­te. Die­se vier Jah­re brach­ten auch ande­re Erfin­dun­gen im Töten von Men­schen dies­seits und jen­seits der Front­li­ni­en her­vor – die Angrif­fe mit Flug­zeu­gen im geg­ne­ri­schen Hin­ter­land etwa oder die Gas­krie­ge. Muld­er listet in sei­nem Werk die Fol­gen die­ser damals auch neu­en Waf­fen auf und kommt zu dem nüch­ter­nen Schluss: »Wenn wir die drei wich­tig­sten gegen Zivi­li­sten gerich­te­ten Waf­fen der Peri­ode zwi­schen den Krie­gen – Luft­an­grif­fe, Gas­krieg und öko­no­mi­sche Blocka­den – mit­ein­an­der ver­glei­chen, ist klar, dass die Wir­kung der Blocka­den bei Wei­tem die töd­lich­ste ist. Im 1. Welt­krieg star­ben infol­ge der Hun­ger­wel­len und Krank­hei­ten, die durch Blocka­den ver­ur­sacht wur­den, in Zen­tral­eu­ro­pa zwi­schen 300.000 und 400.000 Men­schen und noch ein­mal eine hal­be Mil­li­on im Osma­ni­schen Reich infol­ge der Eng­lisch-Fran­zö­si­schen Blockade.«

In die­ser Tra­di­ti­ons­li­nie lie­gen die Wirt­schafts­krie­ge des Wer­te­we­stens, die sich jetzt ent­fal­ten. Dabei war und ist auch eines klar: Wirt­schafts­krie­ge nach außen sind immer auch Wirt­schafts­krie­ge nach innen. Das mate­ria­li­siert sich wie schon im 20. Jahr­hun­dert auch im 21. Jahr­hun­dert vor allem durch Infla­ti­ons­pro­zes­se, die von den Wirt­schafts­krie­gen aus­ge­löst wer­den. Die deut­sche Hyper­in­fla­ti­on der 1920er Jah­re ist genau­so uner­klär­lich ohne den 1. Welt­krieg wie die Infla­ti­on der 1970er Jah­re ohne den Viet­nam-Krieg. Soge­nann­te klei­ne Krie­ge füh­ren zu klei­nen Infla­ti­ons­schü­ben, gro­ße Krie­ge zu gro­ßen. Die jetzt die­sem Volk auf­ge­zwun­ge­ne Infla­ti­on von rund 10 Pro­zent ist, wenn sich der Krieg gegen Russ­land oder gar Chi­na aus­wei­tet, nur ein Vor­ge­schmack auf das, was noch kommt