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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wir Schlaraffen

Welch schö­nes klang­schaf­fen­des Mon­strum an Wort­ge­bil­de aus dem real exi­stie­ren­den welt­weit herr­schen­den Kapi­tal­im­pe­ri­um: Schla­raf­fen. All die schlau Raf­fen­den damit mehr wort­fest noch als ding­fest zu machen, sei mein Begehr. Das einst nur heiß ersehnt schwül erträum­te Schla­raf­fen­land, ja, der Über­fluss des imma­nen­ten Wachs­tums hat es geschaf­fen. Der Weg, alles und jedes zu haben, ist das Ziel. So sug­ge­rie­ren es die so flie­ßend über­flüs­sig Super­rei­chen uns immer­wäh­rend fest­ge­legt arm Gebliebenen.

Jeder Super­markt eine Kathe­dra­le, in der die gehei­lig­te Kon­sum­sucht Orgi­en der Anbe­tung fei­ert. Wie einst die Dom­bau­er gott­ge­fäl­lig ein Kunst­werk zele­brier­ten, so mar­kiert die Sum­me der ble­chern oder pla­stik-ver­pack­ten Spei­se­mon­stren heu­te kunst­wür­dig­ste Spit­ze. Der über Welt­kunst gebie­ten­de Direk­tor des Stä­del in Frank­furt am Main sag­te es: Die Regal­welt der optisch über­la­de­nen Waren­pracht ste­che jede Wand mit klas­si­scher Male­rei in sei­nem Muse­um aus. Und er mein­te ernst­haft so etwas wie eine macht­vol­le ästhe­ti­sche Fas­zi­na­ti­on. Hoch­ge­prie­sen wur­de Andy War­hol – er hat­te es mit der blo­ßen Mul­ti­pli­zie­rung einer Fress­do­se vor­ge­macht. Und war damit Mil­lio­när geworden.

Kunst ist Reli­gi­on – Reli­gi­on wird Kunst. Das unend­lich erschei­nen­de Sor­ti­ment, in jeder Stück­zahl lie­fer­bar, wird zur nur noch sakral zu erfas­sen­den Hostie. Hei­lig Abend­mahl? Was heißt hier »Abend«? Tag und Nacht muss es lie­fer­bar sein. In Sekun­den­schnel­le über tau­sen­de Kilo­me­ter her­bei­zi­tier­bar. Frisch zu jeder Jah­res­zeit geern­tet, tisch­fer­tig. Dem kör­per­lich und gei­stig ruhig­ge­stell­ten qua­si gelähm­ten Ver- und Gebrau­cher zu Gefal­len. Per Lie­fer­ser­vice durch Bil­lig­kräf­te oder Teu­er­droh­nen frei Haus oder Haus­boot verfügbar.

Die Gewal­ten sind geteilt ver­mehrt. Erst addier­bar, dann mul­ti­pli­zier­bar und schließ­lich poten­zier­bar, wer­den die Ideen der Quan­ti­fi­zie­rung zur über­mäch­ti­gen mate­ri­el­len Gewalt.

Judi­ka­ti­ve wie Legis­la­ti­ve begün­sti­gen eine ima­gi­nä­re Markt-Exe­ku­ti­ve, die erst Super­la­ti­ve zu schaf­fen ver­mag. Wer spricht da noch von Güte, sprich mensch­lich naher Zuwen­dung oder gleich­zei­tig ding­lich guter Aus­füh­rung? Der schö­ne Schein ver­edelt Ver­hal­tens­wei­sen wie Waren­lie­fe­run­gen. Glän­zen­de Erfol­ge stel­len mat­te Maß­ga­ben in den Schatten.

Alles wächst über sich hin­aus. Hun­ger stei­gert sich in Fress­gier. Durst ruft nach Löschen in Sauf­lust. Lie­bes­lust muss über­schnap­pen in Sex mit maschi­nel­ler Mecha­nik. Das Gehör schreit nach immer lau­te­rer Ver­ein­nah­mung durch den Urknall elek­tro­ni­scher Gewalt. Moral wird vom Mora­li­sie­ren geschleift. Com­pu­te­ri­sie­ren miss­braucht den Com­pu­ter. Islam wird vom Isla­mi­sie­ren radi­ka­li­siert. Legi­ti­me Auf­stän­de ufern aus in maß­lo­se Ter­ror­ak­tio­nen. Schla­raf­fen brau­chen eben alles im Übermaß.

Der Him­mel wird von Flug­plät­zen unend­li­cher Lei­stungs­fä­hig­keit aus unun­ter­bro­chen beflo­gen. Droh­nen und Heli­ko­pter las­sen uner­mess­li­che Waren­men­gen aufs Kon­su­men­ten-Volk pur­zeln. Die Mee­re sind durch­kreuzt von Kreuz­fahrt­schif­fen gigan­ti­scher Dimen­si­on. Men­schen in der Grö­ßen­ord­nung von gan­zen Stadt­be­völ­ke­run­gen wer­den sol­cher­art auf schwim­men­des Palast-Ter­rain gelockt. Die Gefahr lau­ert uner­kannt in Gestalt ter­ro­ri­sti­scher Gang­ster im Hin­ter­halt. Wer kann die Mon­ster vor Tor­pe­do-Angrif­fen schüt­zen? Der Platz mit­ten im Welt­meer ist bereits reser­viert für die Was­ser­be­stat­tung der Nicht­schwim­mer-Opfer. Ver­ziert mit dem Schmuck in Gestalt des bereits vor­aus­ge­schick­ten Pla­stik­mülls aus den Zen­tren der Zivilisation.

Der mensch­li­che Kör­per und sein davon abhän­gi­ger Geist – hält er die­ses Ver­hal­ten von uns ehr­geiz­be­ses­se­nen Schla­raf­fen über­haupt aus? Fra­ge nicht danach. Denn du ver­sün­digst dich gegen die von der Wer­bung laut­stark und flä­chen­deckend gepre­dig­ten Markt­ge­set­ze. Denn beden­ke, was dir sug­ge­stiv ein­ge­re­det wird: Der Turm­bau zu Babel kann einst nur am inzwi­schen längst über­wun­de­nen tech­ni­schen Unver­mö­gen geschei­tert sein. Wenn es nicht gelingt, das Maxi­mum von Gewinn aus einem Mini­mum von Auf­wand zu schin­den, zwingt Markt­lo­gik eben zu unbe­que­mem Durch­grei­fen. Vor­zei­ge­pro­jek­te dür­fen dann Kosten über Kosten ver­ur­sa­chen. Unfäl­le oder Natur­ka­ta­stro­phen oder Epi­de­mien sind extra abzu­rech­nen. Kol­la­te­ral­scha­den­sum­men gehen auf Sonderkonto.

Schla­raf­fi­ge Idea­le sind unan­tast­bar. Wachs­tum bleibt wei­ter­hin unum­stöß­li­ches Gesetz. Alle müs­sen sehen, über sich selbst hin­aus­zu­wach­sen – indem sie sich nach der Decke strecken. Wer nach Schla­raf­fen­art leben will, muss sich halt in Aller­welts­di­men­si­on den Glo­bal Play­ers anver­trau­en. Was soll dar­an falsch sein?