Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

»Wir brauchen ein Ende dieses Krieges«

Das rief die deut­sche Außen­mi­ni­ste­rin den Dele­gier­ten der UN-Ver­samm­lung am 26. Sep­tem­ber 2024 in New York zu! »Ja«, möch­ten wir ihr bei­pflich­ten. Wir brau­chen Frie­den, um die Lebens­be­din­gun­gen aller in der Welt zu ver­bes­sern. Wir brau­chen Zusam­men­ar­beit. Und wenn die Außen­mi­ni­ste­rin sagt, dass »Frie­den bedeu­tet, dass die Exi­stenz der Ukrai­ne als frei­es und unab­hän­gi­ges Land garan­tiert ist«, möch­ten wir ihr eben­falls zustim­men. Wie wir dort­hin kom­men? Eine Leer­stel­le der Bun­des­re­gie­rung. Sie setzt auf Wei­ter so, auf Eska­la­ti­ons­dy­na­mik, auf den Zwang zu neu­en Waf­fen­lie­fe­run­gen und spä­ter die Ent­sen­dung von Sol­da­ten, weil bei­des in der Ukrai­ne knapp wird.

Solan­ge die Atom­macht Russ­land mit ihrer Armee in der Ukrai­ne steht, sagt der Rea­lis­mus, ster­ben Men­schen, stirbt die Ukrai­ne. Der Tod kann nur durch Waf­fen­still­stand und Ver­hand­lun­gen auf­ge­hal­ten wer­den und nicht durch Eska­la­ti­on. Und letz­tens: Auch Russ­land, wie jedes ande­re Land, braucht Frie­den als Vor­aus­set­zung für ein gutes Leben sei­ner Bevöl­ke­rung, braucht Sicher­heit. Und wei­ter: Russ­land wird den »Sie­ges­plan« Selen­sky­js nicht akzep­tie­ren. Das bedeu­tet: Blei­ben bei­de Sei­ten hart, Eska­la­ti­on! Nato-Trup­pen in die Ukrai­ne und sogar Atom­krieg! Wer die­se Rich­tung befeu­ert, eska­liert: denn Eska­la­ti­on ist ein beid­sei­ti­ger spi­ral­för­mig betrie­be­ner Prozess.

Selen­sky­js ver­zwei­fel­ter Plan und des­sen Umset­zung wür­de die Eska­la­ti­ons­dy­na­mik wei­ter ver­schär­fen. Prä­si­dent Biden und Bun­des­kanz­ler Scholz schrecken (noch) davor zurück, die gefor­der­ten weit­rei­chen­den Rake­ten zu lie­fern, dafür jedoch Streu­mu­ni­ti­on und Gleit­bom­ben. Den para­fier­ten Istan­bu­ler Ver­trags­ent­wurf im April/​Mai 2024 hat der »Westen« im Glau­ben auf mili­tä­ri­sche Sie­ge ver­strei­chen las­sen, dafür Hun­dert­tau­sen­de Opfer und Zer­stö­rung in Kauf genommen.

Die Rechts­grund­sät­ze der Ver­ein­ten Natio­nen, das Gewalt­ver­bot und Frie­dens­ge­bot wur­den seit 1990 mehr­fach gebro­chen. Auch von Russ­land. Die KSZE-Ver­trä­ge, den Frie­den zu wah­ren, Abrü­stung und Zusam­men­ar­beit der Staa­ten her­zu­stel­len und den Schutz der Men­schen­rech­te zu garan­tie­ren, sind gebro­chen wor­den. Auch von Russland.

Frie­den schaf­fen, hieß frü­her und heißt aktu­ell, dass Sicher­heit nur als gemein­sa­me das (Über-)leben der Men­schen dau­er­haft ermög­li­chen kann. Nicht durch Kon­fron­ta­ti­on, Gewalt und Krieg.

Das bedeu­tet: »Ende aller Kriegs­hand­lun­gen.« Das bedeu­tet: »Rück­kehr zu ernst­haf­ten Ver­hand­lun­gen.« Das bedeu­tet, eine Gesprächs­füh­rung sich (wieder-)anzueignen, die akzep­tiert, dass ande­re Staa­ten Sicher­heit für sich, für ihren Staat, anders defi­nie­ren als der »Westen« oder als Chi­na und Indi­en für sich. Hier­aus ergibt sich logi­scher­wei­se, zu ver­han­deln – oder Unter­gang. Erst dann kön­nen Abrü­stung und Abbau der Gewalt­an­wen­dung folgen.

Zur Vor­ge­schich­te des Kriegs Russ­lands gegen die Ukrai­ne gehö­ren aus Putins Sicht die Ergeb­nis­se der 1990er Jah­re, die er in sei­ner Rede im Deut­schen Bun­des­tag im Jahr 2001 benennt und sechs Jah­re spä­ter in sei­ner »Klar­text­re­de« auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz zuspitzt: Russ­land nicht als gleich­be­rech­tigt in Euro­pa aner­kannt zu haben. Die »Maidan«-Ereignisse 2013/​2014 und die Krim­be­set­zung durch rus­si­sche Sol­da­ten sind Fol­gen von Natio­na­lis­mus auf allen Sei­ten, von Ein­mi­schung, Eska­la­ti­on und Wir­ren, auf die der »Westen«, ins­be­son­de­re die USA, Ein­fluss genom­men hat.

Ansät­ze zu einer gemein­sa­men Frie­dens­ord­nung in Euro­pa haben sich nach Auf­fas­sung Russ­lands ver­flüch­tigt, Gemein­sam­kei­ten sind nicht aus­ge­baut wor­den. Dage­gen för­der­ten die Staa­ten Kon­flik­te und Gewalt­ein­satz. Anders als über die­se Kon­flikt­si­tua­tio­nen zu spre­chen, zu Lösun­gen zu gelan­gen, mit einem Modus Viven­di für alle Sei­ten, kön­nen Waf­fen­still­stand und Frie­den nicht erreicht wer­den, geschwei­ge denn dau­er­haft sein. Aner­ken­nen bedeu­tet, den ande­ren Staat, des­sen Kul­tur und Exi­stenz, als glei­ches Sub­jekt zu akzep­tie­ren.

Die histo­ri­sche Schuld der Euro­pä­er und der Ver­ei­nig­ten Staa­ten liegt dar­in, die­se Grund­sät­ze gegen­über Russ­land unter Gor­bat­schow und Jel­zin nicht respek­tiert zu haben, gemein­sa­me Sicher­heit in Euro­pa eige­nen Macht­in­ter­es­sen und geo­po­li­ti­schen Ambi­tio­nen unter­ge­ord­net zu haben. Gleich­zei­tig ver­säum­te das EU-Euro­pa einen eige­nen Frie­dens­plan für ein neu­es Euro­pa zu ent­wickeln, das Gemein­sa­me Sicher­heit zum Ziel hat­te. Auch dafür gibt es einen Haupt­ver­ant­wort­li­chen auf der ande­ren Sei­te des Atlantiks.

Alle, die lei­den­den Völ­ker die­ser Erde und die Wohl­le­ben­den, brau­chen Frie­den. Wol­len wir war­ten, bis die Zeit dafür »reif« ist, wie Regie­rungs­po­li­ti­ker und Mili­tär­ex­per­ten den Kriegs­geg­nern ent­ge­gen­schleu­dern? Wol­len wir in der Ukrai­ne und anders­wo auf die Schreck­nis­se eines lang­dau­ern­den Stel­lungs­krie­ges wie 1916 war­ten, auf ein lang­sa­mes Vor­rücken der rus­si­schen Armee, auf die Fort­set­zung des Mor­dens, das Leben Hun­dert­tau­sen­der dahin­rafft? Wol­len wir auf den Atom­krieg war­ten? Wie er sich an der Kuba-Kri­se zu ent­zün­den droh­te? Ken­ne­dy und Chruscht­schow konn­ten, glück­li­cher­wei­se, ein­len­ken und umden­ken. Aus der Tür­kei und Kuba wur­den die Atom­ra­ke­ten abge­zo­gen. Weil wir nicht auf das Glück set­zen dür­fen, dass rich­ti­ge Per­so­nal an der rich­ti­gen Stel­le zu haben, um die Eska­la­ti­on einer Aus­wei­tung der Krie­ge zu ver­hin­dern, sind Waf­fen­still­stand und Ver­hand­lun­gen jetzt zwin­gend. Die Alter­na­ti­ve bedeu­tet: Anar­chie der Gewalt.