Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Winter’s Tale

Go home, Ami! Ami, go home! /​ Spal­te für den Frie­den dein Atom. /​ Sag Good bye dem Vater Rhein. /​ Rühr nicht an sein Töch­ter­lein. /​ Lore­lei, solang du singst, /​ wird Deutsch­land sein.«

Ernst Busch hat das Lied »Ami, go home« mit die­sem Refrain getex­tet und gesun­gen als pro­pa­gan­di­sti­sche Schüt­zen­hil­fe von Ost nach West zu Beginn der 1950er Jah­re, im Kal­ten Krieg. Es rich­te­te sich gegen die Anwe­sen­heit der US-Streit­kräf­te in West­deutsch­land, wur­de aber in ent­spre­chen­der Über­set­zung auch in ande­ren euro­päi­schen Län­dern gesun­gen, vor allem von Mit­glie­dern kom­mu­ni­sti­scher Orga­ni­sa­tio­nen. Hanns Eis­ler hat die Musik arran­giert. Vor­la­ge war die Melo­die von »Tramp! Tramp! Tramp!«, einem popu­lä­ren Song aus den US-ame­ri­ka­ni­schen Sezes­si­ons­krie­gen, mit dem gefan­ge­nen Nord­staat­lern Mut und Hoff­nung zuge­ru­fen wer­den soll­te. Spä­ter, in den 1960ern, san­gen die Oster­mar­schie­rer immer wie­der den Refrain – der gan­ze Lied­text war zu lang und zu arti­fi­zi­ell – bei ihren Mär­schen »gegen die Bom­be«. Noch spä­ter san­gen ihn die Demon­stran­ten gegen den Viet­nam­krieg der USA, wenn sie vor den Kaser­nen der ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen ihre Trans­pa­ren­te aufpflanzten.

Ein hal­bes Jahr­hun­dert wei­ter heißt es Trump! Trump! Trump! Jetzt soll »der Ami« wirk­lich heim­ge­hen, ganz offi­zi­ell, von einem Vier­tel der in Deutsch­land sta­tio­nier­ten US-Sol­da­ten ist die Rede. So wenig­stens tönt es aus dem Mun­de des Prä­si­den­ten der USA, der damit den in sei­nen Augen unbot­mä­ßi­gen Deut­schen eine Lek­ti­on ertei­len will. Viel­leicht geht’s aber doch nicht heim, son­dern nur eini­ge Kilo­me­ter wei­ter nach Osten, ins Nach­bar­land. Wenn überhaupt.

Viel­leicht wer­den die Sol­da­ten auch gar nicht abrücken, weil der Prä­si­dent so erra­tisch ist. Weil der Kon­gress zustim­men müss­te. Weil die Mili­tärs und die repu­bli­ka­ni­schen Par­tei­freun­de und die geg­ne­ri­schen Demo­kra­ten und alle Rus­sen­fres­ser dage­gen sind, die befürch­ten, mit Deutsch­land auch die NATO und die Gewin­ne des mili­tä­risch-indu­stri­el­len Kom­ple­xes zu schwä­chen. Oder weil die Ein­satz­fä­hig­keit der Droh­nen in Gefahr ist, die von deut­schem Boden aus gesteu­ert wer­den. Da in vier Mona­ten die Prä­si­den­ten­wahl ansteht, wird bis zu einer wirk­li­chen Ent­schei­dung noch so man­ches Was­ser den Poto­mac River hin­ab­flie­ßen, an des­sen Ufer in Arling­ton das Pen­ta­gon liegt.

Ami, go home. In mei­nem Bücher­re­gal ste­hen zwei 20 Jah­re alte, noch lie­fer­ba­re Bücher von Rolf Win­ter, frü­he­rer Chef­re­dak­teur von Stern und Geo, im Sep­tem­ber 2005 im Alter von 78 Jah­ren gestor­ben. Gru­ner + Jahr trau­er­te damals im Nach­ruf »um einen gro­ßen Jour­na­li­sten«. Win­ter hat­te sich als Chef­re­dak­teur des Stern bemüht, die Glaub­wür­dig­keit des Blat­tes nach dem jour­na­li­sti­schen Super­gau des Jah­res 1983, der Hit­ler-Tage­buch-Affä­re, wiederherzustellen.

Win­ter beschäf­tig­te sich seit 1963 mit den USA, wo er eine Zeit­lang wohn­te und als Kor­re­spon­dent für den Stern arbei­te­te. Aus­ge­rech­net im Jahr 1989 – dem Jahr, in dem der Eiser­ne Vor­hang Löcher bekam, in dem US-Prä­si­dent Geor­ge Bush sen. beim Besuch der Bun­des­re­pu­blik das wech­sel­sei­ti­ge Ver­hält­nis als »part­ners in lea­der­ship« beschrieb und in dem schließ­lich die Mau­er fiel – aus­ge­rech­net in die­sem geschichts­träch­ti­gen Jahr leg­te der gro­ße Jour­na­list unter dem Titel »AMI GO HOME« sein »Plä­doy­er für den Abschied von einem gewalt­tä­ti­gen Land« vor.

Win­ter räumt radi­kal auf mit all den Mythen, die auch heu­te noch im poli­ti­schen Estab­lish­ment Deutsch­lands anschei­nend unan­fecht­bar sind, zuvör­derst mit der »Wer­te­ge­mein­schaft«, die dazu führ­te, dass die »unver­brüch­li­che deutsch-ame­ri­ka­ni­sche Freund­schaft« eben­so wie die »Respek­tie­rung der Bünd­nis­se mit den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zur Staats­rä­son« wur­de. Dadurch sei Deutsch­land zum Part­ner »einer habi­tu­ell frie­dens­un­fä­hi­gen Impe­ri­al­macht« gewor­den. Win­ter zeich­net Kapi­tel um Kapi­tel nach, wie die USA durch Gewalt wur­den, was sie sind. Gewalt vom Anbe­ginn an. Gewalt nach innen und außen. Gewalt und Unter­drückung, »bru­ta­le sozia­le und öko­no­mi­sche Aus­beu­tung ande­rer Staa­ten wie gro­ßer Tei­le der eige­nen Bevöl­ke­rung bis hin zum blan­ken Rassismus«.

Hef­ti­ge Kon­tro­ver­sen in Poli­tik und Medi­en folg­ten der Ver­öf­fent­li­chung des Buches, das zu einem Best­sel­ler wur­de. »Hass« wur­de Win­ter vor­ge­wor­fen. Mit »Die ame­ri­ka­ni­sche Zumu­tung« leg­te er ein Jahr spä­ter nach. Sein Cre­do: Euro­pa brau­che Mut, »und zwar den, an sich zu glau­ben und dem erdrückend über­mäch­ti­gen trans­at­lan­ti­schen Füh­rer – der Part­ner blei­ben mag – zu raten, was über­fäl­lig ist: Ami, go home«.

Nach­be­mer­kung: Ich konn­te der Ver­lockung nicht wider­ste­hen, statt einer sach­be­zo­ge­nen Über­schrift den Titel »Winter’s Tale« zu wäh­len. Der Name des Ver­fas­sers der bei­den Bücher bot die­se ziem­lich ein­ma­li­ge Mög­lich­keit, auch wenn »Tale« = Geschich­te, Erzäh­lung, Mär­chen auf die bei­den an puren Fak­ten ori­en­tier­ten Wer­ke nicht zutrifft. »Win­ter­mär­chen«, wie die deut­sche Buch­aus­ga­be in der Über­set­zung von Hart­mut Zahn heißt, ist ein im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes zau­ber­haf­ter Fan­ta­sy-Roman vol­ler Magie und tie­fer Emo­tio­nen des ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­lers Mark Hel­prin (73) aus dem Jah­re 1983 und spielt im New York des frü­hen 20. Jahr­hun­derts. Ossietzky-Lese­rin­nen und -Leser mögen mir die Abschwei­fung verzeihen.