Go home, Ami! Ami, go home! / Spalte für den Frieden dein Atom. / Sag Good bye dem Vater Rhein. / Rühr nicht an sein Töchterlein. / Lorelei, solang du singst, / wird Deutschland sein.«
Ernst Busch hat das Lied »Ami, go home« mit diesem Refrain getextet und gesungen als propagandistische Schützenhilfe von Ost nach West zu Beginn der 1950er Jahre, im Kalten Krieg. Es richtete sich gegen die Anwesenheit der US-Streitkräfte in Westdeutschland, wurde aber in entsprechender Übersetzung auch in anderen europäischen Ländern gesungen, vor allem von Mitgliedern kommunistischer Organisationen. Hanns Eisler hat die Musik arrangiert. Vorlage war die Melodie von »Tramp! Tramp! Tramp!«, einem populären Song aus den US-amerikanischen Sezessionskriegen, mit dem gefangenen Nordstaatlern Mut und Hoffnung zugerufen werden sollte. Später, in den 1960ern, sangen die Ostermarschierer immer wieder den Refrain – der ganze Liedtext war zu lang und zu artifiziell – bei ihren Märschen »gegen die Bombe«. Noch später sangen ihn die Demonstranten gegen den Vietnamkrieg der USA, wenn sie vor den Kasernen der amerikanischen Truppen ihre Transparente aufpflanzten.
Ein halbes Jahrhundert weiter heißt es Trump! Trump! Trump! Jetzt soll »der Ami« wirklich heimgehen, ganz offiziell, von einem Viertel der in Deutschland stationierten US-Soldaten ist die Rede. So wenigstens tönt es aus dem Munde des Präsidenten der USA, der damit den in seinen Augen unbotmäßigen Deutschen eine Lektion erteilen will. Vielleicht geht’s aber doch nicht heim, sondern nur einige Kilometer weiter nach Osten, ins Nachbarland. Wenn überhaupt.
Vielleicht werden die Soldaten auch gar nicht abrücken, weil der Präsident so erratisch ist. Weil der Kongress zustimmen müsste. Weil die Militärs und die republikanischen Parteifreunde und die gegnerischen Demokraten und alle Russenfresser dagegen sind, die befürchten, mit Deutschland auch die NATO und die Gewinne des militärisch-industriellen Komplexes zu schwächen. Oder weil die Einsatzfähigkeit der Drohnen in Gefahr ist, die von deutschem Boden aus gesteuert werden. Da in vier Monaten die Präsidentenwahl ansteht, wird bis zu einer wirklichen Entscheidung noch so manches Wasser den Potomac River hinabfließen, an dessen Ufer in Arlington das Pentagon liegt.
Ami, go home. In meinem Bücherregal stehen zwei 20 Jahre alte, noch lieferbare Bücher von Rolf Winter, früherer Chefredakteur von Stern und Geo, im September 2005 im Alter von 78 Jahren gestorben. Gruner + Jahr trauerte damals im Nachruf »um einen großen Journalisten«. Winter hatte sich als Chefredakteur des Stern bemüht, die Glaubwürdigkeit des Blattes nach dem journalistischen Supergau des Jahres 1983, der Hitler-Tagebuch-Affäre, wiederherzustellen.
Winter beschäftigte sich seit 1963 mit den USA, wo er eine Zeitlang wohnte und als Korrespondent für den Stern arbeitete. Ausgerechnet im Jahr 1989 – dem Jahr, in dem der Eiserne Vorhang Löcher bekam, in dem US-Präsident George Bush sen. beim Besuch der Bundesrepublik das wechselseitige Verhältnis als »partners in leadership« beschrieb und in dem schließlich die Mauer fiel – ausgerechnet in diesem geschichtsträchtigen Jahr legte der große Journalist unter dem Titel »AMI GO HOME« sein »Plädoyer für den Abschied von einem gewalttätigen Land« vor.
Winter räumt radikal auf mit all den Mythen, die auch heute noch im politischen Establishment Deutschlands anscheinend unanfechtbar sind, zuvörderst mit der »Wertegemeinschaft«, die dazu führte, dass die »unverbrüchliche deutsch-amerikanische Freundschaft« ebenso wie die »Respektierung der Bündnisse mit den Vereinigten Staaten zur Staatsräson« wurde. Dadurch sei Deutschland zum Partner »einer habituell friedensunfähigen Imperialmacht« geworden. Winter zeichnet Kapitel um Kapitel nach, wie die USA durch Gewalt wurden, was sie sind. Gewalt vom Anbeginn an. Gewalt nach innen und außen. Gewalt und Unterdrückung, »brutale soziale und ökonomische Ausbeutung anderer Staaten wie großer Teile der eigenen Bevölkerung bis hin zum blanken Rassismus«.
Heftige Kontroversen in Politik und Medien folgten der Veröffentlichung des Buches, das zu einem Bestseller wurde. »Hass« wurde Winter vorgeworfen. Mit »Die amerikanische Zumutung« legte er ein Jahr später nach. Sein Credo: Europa brauche Mut, »und zwar den, an sich zu glauben und dem erdrückend übermächtigen transatlantischen Führer – der Partner bleiben mag – zu raten, was überfällig ist: Ami, go home«.
Nachbemerkung: Ich konnte der Verlockung nicht widerstehen, statt einer sachbezogenen Überschrift den Titel »Winter’s Tale« zu wählen. Der Name des Verfassers der beiden Bücher bot diese ziemlich einmalige Möglichkeit, auch wenn »Tale« = Geschichte, Erzählung, Märchen auf die beiden an puren Fakten orientierten Werke nicht zutrifft. »Wintermärchen«, wie die deutsche Buchausgabe in der Übersetzung von Hartmut Zahn heißt, ist ein im wahrsten Sinne des Wortes zauberhafter Fantasy-Roman voller Magie und tiefer Emotionen des amerikanischen Schriftstellers Mark Helprin (73) aus dem Jahre 1983 und spielt im New York des frühen 20. Jahrhunderts. Ossietzky-Leserinnen und -Leser mögen mir die Abschweifung verzeihen.