Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Wiederholung

Ver­mut­lich koste­ten mich Pro­zent­zah­len mei­ne Fern­seh­kar­rie­re. Auf die hin­ter­li­sti­ge Fra­ge der Prü­fer – ich hat­te mich zu Beginn der 1970er Jah­re für ein Regie-Volon­ta­ri­at beim DDR-Fern­se­hen bewor­ben –, wie ich die »Aktu­el­le Kame­ra« fän­de, mein­te ich nass­forsch: Nicht so toll, solan­ge die Redak­teu­re einer LPG, die die Eier­pro­duk­ti­on auf 105,7 Pro­zent gestei­gert habe, mehr Sen­de­zeit in der Haupt­nach­rich­ten­sen­dung ein­räum­ten als bei­spiels­wei­se einer bemann­ten Mond­lan­dung. Ich hät­te auch einen ande­ren Ver­gleich zie­hen kön­nen, doch die Ame­ri­ka­ner waren gera­de dort oben, und auf dem Weg nach Adlers­hof hat­te ich wie­der­holt die Emp­feh­lung auf Schau­fen­ster­schei­ben gese­hen: Nimm ein Ei mehr!

Es exi­stier­te aktu­ell offen­kun­dig eine gewis­se Überproduktion.

Wie eine bis zum Ende mei­nes Vater­lan­des andau­ern­de Nei­gung, in Mel­dun­gen ins­be­son­de­re aus der Wirt­schaft mit Pro­zent­zah­len zu jon­glie­ren. Die­se beweg­ten sich stets im drei­stel­li­gen Bereich und soll­ten den Zuwachs bei Pro­duk­ti­on, Moder­ni­sie­rung, Auto­ma­ti­sie­rung, Plan­erfül­lung und der­glei­chen bekun­den. Die Zah­len blie­ben abstrakt in jeder Hin­sicht, das damit signa­li­sier­te Wachs­tum kam irgend­wie nicht an bei den Men­schen. Es war wie heu­te mit dem Aufschwung.

Und merk­wür­dig: Auch die Pro­zent­ha­sche­rei macht sich heu­te wie­der über­all breit. Super­markt­ket­ten wer­ben mit Schnit­zel- und Schnäpp­chen­prei­sen, bei denen man angeb­lich 33 oder 40 oder gar 62 Pro­zent spa­re, bestimm­te Rei­sen kosten 21 Pro­zent weni­ger, Möbel­häu­ser bie­ten Bet­ten mit 19 Pro­zent »unterm UVP«, und Auto­mar­ken gehen mit XY-Nach­läs­sen in die Rabatt­schlacht. Pro­zen­te, Pro­zen­te, Prozente …

Das alles erin­nert mich fatal an die Ver­gan­gen­heit, die mal die unse­re war, und auch an den Acht­zehn­ten Bru­mai­re, wor­in Marx tref­fend for­mu­lier­te, dass sich Geschich­te zwei Mal zutra­ge: »das eine Mal als Tra­gö­die, das ande­re Mal als Far­ce«. Denn die­se Zah­len sind Fik­ti­on, weil uns der tat­säch­li­che Wert der Ware (respek­ti­ve ihr Tausch­wert) so wenig bekannt ist wie der Mehr­wert respek­ti­ve Pro­fit, den der Pro­du­zent auf dem Markt mit sei­nem Pro­dukt rea­li­siert. Oder pro­fan for­mu­liert: Das ist Wer­be­sprech, der auf die Ein­falt von Men­schen zielt. Man ver­sucht ihnen, also uns, auf die­se Wei­se weis­zu­ma­chen, dass wir spar­ten, weil die Sache doch nun um sound­so­viel Pro­zent preis­wer­ter sei als vordem.

Erstaun­lich, wie das funk­tio­niert. Ich ver­mu­te mal, weil die kol­lek­ti­ve Ver­blö­dung inzwi­schen auf 128,7 Pro­zent gestie­gen ist. Oder klas­sisch for­mu­liert: »Zwei Din­ge sind unend­lich, das Uni­ver­sum und die mensch­li­che Dumm­heit. Aber beim Uni­ver­sum bin ich mir noch nicht ganz sicher.« Die­se ernüch­tern­de Fest­stel­lung wird Albert Ein­stein zugeschrieben.

Doch so hun­dert­pro­zen­tig sicher ist man sich nicht, dass er dies gesagt haben soll.