Vermutlich kosteten mich Prozentzahlen meine Fernsehkarriere. Auf die hinterlistige Frage der Prüfer – ich hatte mich zu Beginn der 1970er Jahre für ein Regie-Volontariat beim DDR-Fernsehen beworben –, wie ich die »Aktuelle Kamera« fände, meinte ich nassforsch: Nicht so toll, solange die Redakteure einer LPG, die die Eierproduktion auf 105,7 Prozent gesteigert habe, mehr Sendezeit in der Hauptnachrichtensendung einräumten als beispielsweise einer bemannten Mondlandung. Ich hätte auch einen anderen Vergleich ziehen können, doch die Amerikaner waren gerade dort oben, und auf dem Weg nach Adlershof hatte ich wiederholt die Empfehlung auf Schaufensterscheiben gesehen: Nimm ein Ei mehr!
Es existierte aktuell offenkundig eine gewisse Überproduktion.
Wie eine bis zum Ende meines Vaterlandes andauernde Neigung, in Meldungen insbesondere aus der Wirtschaft mit Prozentzahlen zu jonglieren. Diese bewegten sich stets im dreistelligen Bereich und sollten den Zuwachs bei Produktion, Modernisierung, Automatisierung, Planerfüllung und dergleichen bekunden. Die Zahlen blieben abstrakt in jeder Hinsicht, das damit signalisierte Wachstum kam irgendwie nicht an bei den Menschen. Es war wie heute mit dem Aufschwung.
Und merkwürdig: Auch die Prozenthascherei macht sich heute wieder überall breit. Supermarktketten werben mit Schnitzel- und Schnäppchenpreisen, bei denen man angeblich 33 oder 40 oder gar 62 Prozent spare, bestimmte Reisen kosten 21 Prozent weniger, Möbelhäuser bieten Betten mit 19 Prozent »unterm UVP«, und Automarken gehen mit XY-Nachlässen in die Rabattschlacht. Prozente, Prozente, Prozente …
Das alles erinnert mich fatal an die Vergangenheit, die mal die unsere war, und auch an den Achtzehnten Brumaire, worin Marx treffend formulierte, dass sich Geschichte zwei Mal zutrage: »das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce«. Denn diese Zahlen sind Fiktion, weil uns der tatsächliche Wert der Ware (respektive ihr Tauschwert) so wenig bekannt ist wie der Mehrwert respektive Profit, den der Produzent auf dem Markt mit seinem Produkt realisiert. Oder profan formuliert: Das ist Werbesprech, der auf die Einfalt von Menschen zielt. Man versucht ihnen, also uns, auf diese Weise weiszumachen, dass wir sparten, weil die Sache doch nun um soundsoviel Prozent preiswerter sei als vordem.
Erstaunlich, wie das funktioniert. Ich vermute mal, weil die kollektive Verblödung inzwischen auf 128,7 Prozent gestiegen ist. Oder klassisch formuliert: »Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.« Diese ernüchternde Feststellung wird Albert Einstein zugeschrieben.
Doch so hundertprozentig sicher ist man sich nicht, dass er dies gesagt haben soll.