Die Einladung zur Jubiläumsausstellung des 80-jährigen Malers Hans Ticha im Kurt Tucholsky Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg führte zu einer wunderbaren Wiederbegegnung, noch dazu in einer durch die Pandemie belasteten Zeit.
Dass sich Peter Böthig, Chef des in der Bundesrepublik einmaligen Tucholsky-Literaturkleinods, ständig darum bemüht, die Sammlung von Zeitzeugnissen aus der viel zu knappen Lebenszeit und dem persönlichen Umfeld des vielseitigen Schriftstellers und bissigen Spötters nicht nur zu ergänzen, sondern die Attraktivität des Museums durch Vorträge und Ausstellungen in den historischen Schlossräumen zu bereichern, waren wir gewohnt. Außer den Biographen des Mannes, den jeweiligen Stadtschreibern und weiteren interessanten Literaten und Künstlern aus der Region oder entfernteren Gebieten haben wir um den originalen Schreibtisch Tucholskys herum schon manch anregende Veranstaltung erleben können.
Nun also eine Einladung zu Hans Tichas »Geburtstagsbildern«, und das am 15. August, wenige Tage vor seinem 80. Wiegenfest. Bis zum 3. Januar 2021 besteht die Möglichkeit, sich in Rheinsberg in sein Werk zu vertiefen.
Unser erster Kontakt mit dem Künstler kam Ende der 70er Jahre zustande, als der studierte und praktizierende Pädagoge und nachfolgende Absolvent der Weißenseer Hochschule für bildende und angewandte Kunst im kulturbewegten Prenzlberger Kollwitzkiez lebte und sich längst dem Risiko des freischaffenden Malers und Buchillustrators hingegeben hatte. Wir hatten mit ihm zu tun, als er sich auf Drängen von Regisseur Fritz Decho bereitfand, die Ausstattung unserer »simplen Ulk- und Scherzstunde« »Bananen mit Reißverschluss« zu übernehmen. Sein Bühnenvorhang, die Lätzchen der Darsteller, die Programmflyer und sonstigen Requisiten verschmolzen als originelle Entsprechungen nahtlos mit den Texten von Kurt Tucholsky, Karl Valentin, Roda Roda, Lene Voigt, Gerhard Branstner, Jo Schulz und anderen. Tichas künstlerische Darstellungsart beeindruckte uns stark – seine eigenwilligen geometrisch-rhombischen Formen, die kräftige Farbgebung und die Betonung von Besonderheiten sind unübertroffen. Einige der von uns nach dem Ende des Ensembles erworbenen und aufbewahrten Requisiten flossen nachträglich noch in die Rheinsberger Ausstellung ein.
Zu weiteren gemeinsamen Vorhaben mit dem damaligen Berliner Lehrerensemble kam es leider nicht, da Fritz Decho den Künstler durch eine übersteigerte Reaktion vergrault hatte. Dann folgte wenige Jahre später die »Wende«, die den 1940 im tschechischen Děčín an der Elbe geborenen Künstler von der Spree an den Rhein spülen sollte. In der DDR war Hans Ticha mit seinen bei den Kunstausstellungen in Dresden gezeigten Werken unliebsam in die Kritik geraten. Er hatte eine Fußballmannschaft provokativ mit überdimensionalen Gliedmaßen und bedauernswert kleinen Köpfen dargestellt, was in der dem Leistungssport zugeneigten DDR auf wenig positive Resonanz stieß.
Wie es der Zufall wollte: Als wir nach dem Mauerfall unseren betagten Moskwitsch zur ersten West-Tour in die reizvolle Lübecker Bucht lenkten, lernten wir ein Juristen-Ehepaar kennen, das die Malerei begeistert als neben- oder nachberufliches Hobby betrieb und dafür seine Garage zu einer Galerie umfunktioniert und veredelt hatte. Das gemeinsame Interesse an der Kunst wurde durch die Frage gekrönt, ob wir »Ostkünstler« kennen würden, die man für eine Ausstellung in ihre »GIG«; die »Galerie in der Garage«, einladen könnte. Da kam uns Hans Ticha in den Sinn. Dass unserem Vorschlag prompt die Einladung nach Timmendorfer Strand folgte, erfuhren wir allerdings erst Jahre später.
Die nächste Berührung mit dem Werk des Malers, Graphikers und eindrucksstarken Buchillustrators kam durch unsere Mitgliedschaft in der Büchergilde Gutenberg zustande. In deren Tucholsky-, Jandl-, Čapek- und Ringelnatz-Lizenzausgaben fand und hinterließ der Schüler Werner Klemkes und Arno Mohrs seine unverwechselbare künstlerische Handschrift.
Seine Werke sind unter anderem in der Neuen Nationalgalerie Berlin, den Staatlichen Kunstsammlungen Schwerin, dem Kunstmuseum Halle-Moritzburg und dem Haus der Geschichte der BRD Bonn zu bewundern.
Hans Ticha ist in seiner Originalität und Gestaltungsfülle unerreichbar. Er strahlt sanfte Ironie und herben Spott aus und geht zugleich einfühlsam mit Lyrik um, beobachtet anerkennend ungewöhnliche Tätigkeiten, entwirft Kinder- und Tierporträts, zeichnet Blumen und Beeren, entwirft Plakate, Briefmarken und Ex-Libris und beweist in seinem gesamten künstlerischen Vorgehen kritisches Herangehen, Neugier, Vernunft und Menschenliebe.
Kurt Tucholskys »Gut geschrieben ist gut gedacht« kann man auf Hans Ticha vielleicht so übertragen: »Gut gezeichnet ist kritisch betrachtet.«
Wolfgang und Marlis Helfritsch