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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wie wir Amerikaner wurden

In mei­ner Kind­heit gab es Ame­ri­ka­ner. In fast jeder Bäcke­rei. Es waren fla­che, halb­ku­gel­för­mi­ge Back­wa­ren, die auf der glat­ten Sei­te ent­we­der mit Zucker­guss oder mit Scho­ko­la­de bestri­chen waren. Manch­mal auch halb und halb. Black and white, Ame­ri­ka­ner eben. In mei­ner süd­deut­schen Klein­stadt gab es kei­ne ech­ten Ame­ri­ka­ner. Die lern­te ich erst auf einer Rei­se mit mei­nen Eltern in einem Restau­rant ken­nen. Zwei adret­te Offi­zie­re, einer setz­te mir sei­ne Mili­tär­müt­ze auf, mach­te ein Foto mit sei­ner Pola­roid und schenk­te es mir. Spä­ter kam Susi zu uns, die Aus­tausch­schü­le­rin mei­ner älte­ren Schwe­ster. Ich frag­te sie keck: »Have you Dol­lars?«, und hat­te das erste Mal einen Dol­lar­schein in der Hand, der damals unge­fähr vier Mark koste­te. Das war auch die Zeit, in der ich Micky­maus­hef­te, vor allem aber die Aben­teu­er von Donald Duck ver­schlang. Im Radio hör­te man neben deut­schen Inter­pre­ten öfter Schla­ger­sän­ger aus den USA, die in einem drol­li­gen Deutsch san­gen. Der Höhe­punkt die­ser Wel­le war »Muss i denn, muss i denn, zum Städ­te­le hin­aus«, gesun­gen von Elvis Pres­ley. Auch Ken­ne­dy war noch gut bera­ten, mit sei­nem »Ich bin ein Ber­li­ner« die Her­zen der Deut­schen in deren eige­ner Spra­che zu erobern. Aber es war ein Abge­sang. Die Band, wel­che abends in den Kel­ler­räu­men der nahe­ge­le­ge­nen Volks­schu­le pro­ben durf­te, übte schon damals auf Englisch.

Ähn­lich war es bei den Kino­fil­men. Deut­sche Schmon­zet­ten waren zwar beliebt, aber ame­ri­ka­ni­sche Western und Monu­men­tal­fil­me wie »Ben Hur« oder »Die Brücke am Kwai« setz­ten ganz neue Maß­stä­be. Als das Fern­se­hen für die brei­te Mas­se erschwing­lich wur­de, waren auch in die­sem Medi­um Seri­en wie »Bonan­za«, »Auf der Flucht« oder »Dal­las« für eine gan­ze Gene­ra­ti­on prä­gend. Apro­pos prä­gend: Es muss in die­sen 60er und 70er Jah­ren gewe­sen sein, als sich die Bezeich­nung »Your Honor« für »Herr Rich­ter« durch die wört­li­che Syn­chro­ni­sie­rung so fest­setz­te, dass bis heu­te vie­le Ange­klag­te ihren deut­schen Rich­ter mit »Euer Ehren« anspre­chen. Anfang der 2000er Jah­re wur­de es schick, in Vor­trä­gen und Kor­re­spon­den­zen eng­li­sche Flos­keln unter­zu­brin­gen. Ich bekam einen Brief von einem Mak­ler, in dem ein omi­nö­ses »imho« auf­tauch­te, ger­ne wur­de auch ein BTW ins Spiel gebracht, und seit dem Sie­ges­zug des Inter­nets mach­te sich das LOL breit.

Mit der Ein­füh­rung des Pri­vat­fern­se­hens 1984 beka­men ame­ri­ka­ni­sche Medi­en­for­ma­te einen domi­nie­ren­den Ein­fluss. US-Fil­me und TV-Seri­en wur­den – schon aus Kosten­er­spar­nis – im gro­ßen Stil ein­ge­kauft, ame­ri­ka­ni­sche Fern­seh­shows wur­den für deut­sche Zuschau­er aufbereitet.

Als 1968 die Stu­den­ten­be­we­gung begann und welt­weit gegen den Viet­nam­krieg der Ame­ri­ka­ner pro­te­stiert wur­de, schmä­ler­te das den kul­tu­rel­len Ein­fluss der USA kaum. Die Auf­ar­bei­tung der ver­dräng­ten Nazi­ver­bre­chen, die Ent­lar­vung von Alt­na­zis in Poli­tik, Justiz und Uni­ver­si­tä­ten, die Ableh­nung der Eltern als schwei­gen­de Mit­wis­ser oder Täter för­der­te die Suche nach neu­en Iden­ti­tä­ten. Auf ein sol­ches Land konn­te man unmög­lich stolz sein. Es war jene Gene­ra­ti­on, wel­che sich im Aus­land lie­ber als Hol­län­der oder Schwei­zer aus­gab, wenn sie nach ihrer Her­kunft gefragt wur­de. Rebel­len gab es schließ­lich auch in Ame­ri­ka, Bob Dylan, Joan Baez, Jim­my Hen­drix waren unver­däch­ti­ge Ido­le, Alter­na­ti­ven zum deut­schen Mief. Wer jung und unpo­li­tisch war, begei­ster­te sich für das ange­nehm sor­gen­freie Leben im son­ni­gen Kali­for­ni­en, wel­ches die »Beach Boys« und die »Mamas und Papas« besangen.

Der deut­sche Selbst­hass begün­stig­te die kul­tu­rel­le Vor­herr­schaft der USA, das ame­ri­ka­ni­sche Eng­lisch wur­de zu einem schein­bar neu­tra­len Ersatz für die kom­pro­mit­tier­te eige­ne Spra­che. Auf dem Ber­li­ner Tunix-Kon­gress im Audi­max der TU 1979, einer Ver­an­stal­tung zahl­rei­cher undog­ma­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen, war neben ande­ren auch die­ses Trans­pa­rent zu sehen: »I hate my ger­man lan­guage«. Nach dem Ende der DDR gab es bei eini­gen Lin­ken die Befürch­tung, dass ein neu­es groß­deut­sches Reich ent­ste­hen könn­te. 1990 ent­stand das Bünd­nis »Radi­ka­le Lin­ke«, wel­ches unter der Devi­se »Nie wie­der Deutsch­land« gegen die Wie­der­ver­ei­ni­gung und für die Auf­lö­sung des deut­schen Vol­kes agi­tier­te. Die­se spä­ter als »Anti­deut­sche« bezeich­ne­ten Grup­pen bedien­ten sich vor­zugs­wei­se der eng­li­schen Spra­che (»no tears for krauts«) und stan­den für die bedin­gungs­lo­se Unter­stüt­zung des Staa­tes Isra­el und des­sen Schutz­macht USA.

Mit dem Kal­ten Krieg begann ein reger Kul­tur­aus­tausch, der die West­deut­schen im Kampf gegen Ein­flüs­se von jen­seits des Eiser­nen Vor­hangs stäh­len soll­te. Im Juni 1950 wur­de in West­ber­lin der Kon­gress für kul­tu­rel­le Frei­heit gegrün­det, eine Ver­ei­ni­gung, die sich an euro­päi­sche Intel­lek­tu­el­le rich­te­te und maß­geb­lich vom US-Geheim­dienst CIA finan­ziert wur­de. Sieg­fried Lenz und Hein­rich Böll waren die bekann­te­sten deut­schen Vertreter.

Schon in den 50er Jah­ren gab es für deut­sche Schü­ler die Mög­lich­keit, für ein Jahr an eine ame­ri­ka­ni­sche Schu­le zu gehen. Bis heu­te ist es für 16- bis 17-Jäh­ri­ge, deren Eltern über die finan­zi­el­len Mit­tel ver­fü­gen, das belieb­te­ste Gast­land, zwi­schen 10.000 und 13.000 Jugend­li­che rei­sen jedes Jahr für einen Schul­auf­ent­halt in die USA. In den letz­ten Jah­ren sind die Zah­len aller­dings – ver­mut­lich wegen Trump und Coro­na – zurück­ge­gan­gen. An die 50 Orga­ni­sa­tio­nen sind auf die­sem lukra­ti­ven Markt tätig, man muss mit Kosten zwi­schen 5000 und 20.000 Euro rech­nen. Wer heu­te in Wirt­schaft, Poli­tik und Medi­en eine Füh­rungs­po­si­ti­on hat, war nicht sel­ten in jun­gen Jah­ren auf einer ame­ri­ka­ni­schen High-School oder Uni­ver­si­tät. Der BMW-Vor­stands­vor­sit­zen­de Oli­ver Zip­se hat an ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten stu­diert, die grü­ne Außen­mi­ni­ste­rin Baer­bock war eben­so wie der Inten­dant des WDR, Tom Burow, Aus­tausch­schü­ler in den USA, letz­te­rer war von 1994 bis 1999 Kor­re­spon­dent der ARD in Washing­ton. Ein Stu­di­en­auf­ent­halt im Aus­land macht sich gut im Lebens­lauf, vor allem wenn die­ser »trans­at­lan­tisch« geprägt ist. Bereits vor 1989 gab es ein­fluss­rei­che Orga­ni­sa­tio­nen, die eine enge Bin­dung an die west­li­che Füh­rungs­macht pro­pa­gier­ten. Nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on ent­stan­den wei­te­re Netz­wer­ke, die sich vor allem um jun­ge Poli­ti­ker bemüh­ten, die man für fähig hielt, in naher Zukunft Füh­rungs­äm­ter ein­zu­neh­men. Früh hat­te man erkannt, dass die grü­ne Par­tei zu einem wich­ti­gen Fak­tor in der deut­schen Par­tei­en­land­schaft wer­den könn­te. Die Rech­nung ging auf. In dem jet­zi­gen Drei­er­bünd­nis der Regie­rung sind die Grü­nen die stramm­sten Atlantiker.

Wohl kaum ein Land ist uns heu­te so ver­traut wie Ame­ri­ka, obwohl es viel wei­ter weg ist als Bel­gi­en oder Ungarn. Es sind nicht nur die unzäh­li­gen Fil­me und Seri­en, wel­che uns die­ses Land pene­trant so nahe­brin­gen, als wären wir ein Teil davon. Jede Nach­rich­ten­sen­dung, jede Zei­tungs­aus­ga­be berich­tet uns täg­lich an her­vor­ra­gen­der Stel­le über alles, was dort geschieht. Es wird aus­führ­lich über Sport­ar­ten und Sport­ler infor­miert, die in Euro­pa weit­ge­hend unbe­kannt sind, eben­so über den Tod von US-Schau­spie­lern oder Sän­gern, von denen man noch nie gehört hat. Es gibt ihn, die­sen ver­zück­ten Blick auf Ame­ri­ka, jenen rüpel­haf­ten gro­ßen Bru­der, dem man wegen sei­nes unwi­der­steh­li­chen Charmes alles ver­zeiht. Für vie­le scheint Ame­ri­ka eine Art Wahl­hei­mat zu sein, frei­lich ohne Wahl­recht. Seit Ken­ne­dy, spä­te­stens aber seit Oba­ma, sind die mei­sten Deut­schen glü­hen­de Anhän­ger der Demo­kra­ten. Eigent­lich sind wir die bes­se­ren Amerikaner.