Conrad Schuhler hat ein wichtiges Buch über die Neuverteilung der Hegemonieposten in der Welt vorgelegt. Er geht darin der Frage nach, ob und wann ein großer weltweiter Krieg bevorsteht. Eine solche Gefahr sieht er tatsächlich heraufziehen und kann sich ihre Abwendung nur durch eine endlich aktiv werdende Friedensbewegung vorstellen. Sein Buch ist daher allen Friedensaktivisten und -initiativen ans Herz zu legen. Es ist dramatisch – und notwendig.
Ausführlich schildert der Autor, warum westliche Experten einen »Dritten Weltkrieg«, gewissermaßen eine Neuauflage der »Falle des Thukydides« (454 v. Chr. bis 396 v. Chr.), wonach ein Herausforderer den alten Hegemon der Weltordnung nur militärisch ablösen könne, für denkbar halten. China weist ein solches Ansinnen zwar von sich. Der rasante Aufstieg des Landes an die Spitze der Weltwirtschaft hat wissenschaftliche und publizistische Meinungsmacher im Westen jedoch anhaltend irritiert. Und die Führer des Westens alarmiert.
Die Hauptgefahr – ob mit oder ohne Trump – sieht Schuhler darin, dass die USA ihre globalen Führungsansprüche auf die Dauer nicht mehr mit »zivilen« Mitteln durchsetzen können und somit in Versuchung geraten könnten, ihre weit überlegenen militärischen Mittel zu nutzen.
Das Buch ist auch nach der US-Wahl von Bedeutung, denn die Hauptströme der US-Außenpolitik dürften sich auch unter Biden nicht verändern.
Besorgniserregend ist dabei aus Sicht von Friedensaktivisten die alte und neue Unterwürfigkeit der deutschen Politik gegenüber den USA, die unter Trump bisweilen in Frage gestellt wurde. Annegret Kamp-Karrenbauer laut »Ruhrnachrichten« vom 18. 11. 20: Europa könne sich auf absehbare Zeit nicht ohne die USA verteidigen. AKK will ein klares Bekenntnis Deutschlands zur atomaren Abschreckung der Nato; eine gemeinsame Strategie mit den USA gegenüber China; eine weitere Erhöhung der Rüstungsausgaben (2 % des BIP).
Die »Gegner« des sogenannten nordatlantischen Bündnisses sind ausgemacht: In Nato-Kreisen wird die russische und chinesische Gefahr an die Wand gemalt. Mich erinnert die Rhetorik an Adenauers Zeiten, in denen der Kanzler von Mal zu Mal »Ich sage nur China, China, China!« ausrief und vor der UdSSR warnte. Im Jahr 1952 beschwor er die westdeutsche Aufrüstung als notwendig: Es gelte, »mitzutun und mit zu handeln« im Kampf darum, »ob Europa christlich bleibt oder heidnisch wird«. Daher müsse »ein Damm« errichtet werden gegen den »sowjetrussischen Nationalismus« – der »besonders gefährlich« sei, weil er »getragen« werde »vom Kommunismus, der die Herrschaft der Welt erstrebt«. Der Kommunismus ist fort, aber der Nationalismus der Russen so stark wie ehedem. Daher die Einkreisungspolitik auch heute noch. Westdeutschland, so Adenauer 1952 im Bundestag, müsse rüsten, und wer dagegen sei, liefere »die Völker Westeuropas, insbesondere unser deutsches Volk, der Knechtschaft durch den Bolschewismus aus« (lt. Gösta v. Uexküll »Konrad Adenauer«, Reinbek 1987, S. 78/79).
Zu China schreibt Schuhler bereits in der Einleitung, die Fortexistenz des ideologischen Klassenkampfes betonend: »Die Chinesen konkurrieren nicht nur mit ihrem Bruttoinlandsprodukt, sie konkurrieren mit ihrer Ideologie. Und sie scheinen mit ihrer Praxis zu belegen, dass der Markt, wenn er nach den Vorschriften der privaten Profitmaximierung eingesetzt wird, gegen einen sozial orientierten ›Sozialismus chinesischer Prägung‹ verliert.« Die konfrontative Situation würde darüber hinaus durch die »stillen chronischen Bedrohungen, durch Luftverschmutzung, Wassermangel und Klimawandel« eskalieren, die »sich deutlich bemerkbar machen und viel öfter als in der Vergangenheit zu Zusammenstößen führen« würden.
Auf diese kaum überschaubare Gemengelage aufmerksam zu machen, ist ein Verdienst des Buches. Und aus dieser Gemengelage, aus dieser Gefahr – das ist der dringende Apell Conrad Schuhlers – kann auch das Rettende wachsen. Die Friedensbewegung habe in den 1980er Jahren, als sie die USA und die Sowjetunion zum INF-Vertrag drängte, Erfolg gehabt. Es kam zum Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen. Diesen Vertrag haben die USA, wie einige andere Vereinbarungen auch, mittlerweile aufgekündigt; sie wollen in Osteuropa und Asien Atomraketen stationieren. Jedoch: »Die Woge des globalen Protestes gegen Klimakatastrophe und Umweltverschmutzung gibt Hoffnung. Ob Frieden, Klima oder der Horror, der Flüchtlinge aus ihrem Land treibt – die Ursache liegt in den Imperativen der globalen Kapitalverwertung. Wenn die sozialen Bewegungen daraus die Konsequenz ziehen, gemeinsam zu kämpfen, haben wir eine Chance auf Zukunft« (S. 9).
Conrad Schuhler: Wie weit noch bis zum Krieg? Die USA, China, die EU und der Weltfrieden, PapyRossa Verlag, Köln 2020, 143 Seiten, € 12,90.