Dass »unsere Ziele von Freiheit und Gleichheit nicht an den Mauern des ›Stummen Zwangs‹ der ökonomischen Verhältnisse zerschellen«, wie Wolfgang Abendroth (1906-1985), der Nazi-Widerständler, Staatsrechtler und Politikwissenschaftler nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des deutschen Faschismus analysierte, diese Erkenntnis zählt heute zu einer Art Geheimwissen. Wenn also die Frankfurter Paulskirche benutzt wird, um über die Frage zu parlieren, »Wie verhandelbar unsere Freiheit« sei, dringt man zu dieser Kernfrage nicht vor. Dem flexiblen, anpassungsfähigen Armin Laschet fiel auf, dass »Meinungsfreiheit« gefährdet sei, wenn friedensbewegte Kritiker der Aufrüstung, Waffenlieferungen und Kriege, oder gar (!) Pazifisten als »Russlandversteher« verunglimpft würden. Was heftigen Widerspruch der Vorsitzenden des deutschen Ethikrats, Alena Buyx, auslöste: Sie könne »kaum an sich halten!« Fernsehbekannt und qua Amt prädestiniert, auf alle Fragen die »richtigen« Antworten zu haben, spielte sie die Rolle der glühenden, machtpolitischen »hier-darf-man-doch-alles-sagen-Verfechterin«. Laschet gebrauche ein beliebtes, gleichwohl falsches Narrativ. »Jeder könne in deutschen Talkshows seine Meinung sagen!« Die politische Machtentscheidung, besonders im gegenwärtigen Deutschland, die Ausschaltung der Kritik von den Kommandohöhen der Medien, wird »im Kampf um das Bewusstsein der Gesellschaft« getroffen, was der kritische Journalist und Historiker, Wilhelm von Sternburg (Jg. 1939), noch wusste. Insoweit ist der heutige Journalismus in eine »unheilige Allianz« mit der Macht eingetreten. Der Journalismus ist in einer neuen Phase der Verschleierung der Wirklichkeiten: Kritiker der deutschen Ukrainepolitik werden nieder- und mundtot gemacht, erst gar nicht eingeladen. Die vom CDU-geführten Bildungs- und Forschungsministerium der großen Koalition im Jahr 2016 als Mitglied vorgeschlagene, seit 2020 als Vorsitzende fungierende Alena Buyx, bestreitet manipulative Meinungsmache. Gleichwohl sitzt sie einem nicht unabhängigen Gremium vor, deren Mitglieder zu 90 Prozent von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Deutschen Bundestag gewählt werden: dem Deutschen Ethikrat.
Ein weiteres typisches Beispiel dafür, wie jeden Tag Presse, Funk, Fernsehen und neue Medien, Journalistinnen und Journalisten, zuvörderst Medienkonzerne, funktionieren, ist das Thema der »Desinformationspolitik«. Ein Agieren mit Informationen zum Zwecke der Lenkung, auch mit Hilfe von Täuschung, zur Durchsetzung von Interessen. Nur ein freier Informationszugang und Informationsvielfalt können die freie Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen. Mit ideologischer Brille und verengter Gedankenführung werden die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt; das Ende der Aufklärung ist erreicht (Wilhelm von Sternburg, 1995, ARD).
Der Aufmacher der Frankfurter Rundschau am Ostersamstag: »ISW warnt vor Putins angeblicher ›einziger Siegesstrategie‹ in der Ukraine«. Die FR stützt sich auf einen Bericht des »Institute for the Study of War (ISW)« vom 27. März. Darin wird behauptet, »der Westen und die Ukraine« könnten den Krieg nur gewinnen, wenn der russischen Desinformation etwas entgegengesetzt werde. Auch die Bundesregierung und die deutsche Innenministerin nutzen das Potenzial, das der Begriff Desinformation (nur der anderen!) als Politikinstrument öffnet. Das ISW rechnet vor, wie überlegen der Westen (inklusive Nato) sei – angesichts einer Wirtschaftskraft von zusammen 63 Billionen Dollar dieser Staaten zu 1,9 Billionen von Russland und seinen Verbündeten. Russland habe eine Informationskampagne gestartet, »um zu verbreiten, dass der Krieg aufgrund der russischen Dominanz nicht zu gewinnen« sei. Diese Tatsache gebe »einen Einblick in die wirkliche Strategie des Kremls und seine einzige echte Hoffnung auf Erfolg: die westlichen Verbündeten der Ukraine, allen voran die USA, zur Handlungsunfähigkeit zu bringen.« Ergo: »Würde sich der Westen also mehr engagieren«, schließt das ISW, hätte »Russland keine Chance, den Ukraine-Krieg zu gewinnen« – eine Tatsache, die Russland bewusst sei. Und weiter: Putin ziele auf die »Wahrnehmung von Kosten, Prioritäten, Risiken, Vorteilen, Übereinstimmung mit unseren Werten und Auswirkungen unseres eigenen Handelns« ab. Man kann allgemein davon ausgehen, dass Desinformation als Waffe von allen Seiten eingesetzt wird. Beim Kriegsengagement der Nato-Länder mit beschränktem Einsatz der Waffenpotenziale spielen viele andere Aspekte eine bedeutende Rolle, neben organisatorisch-strategischen Aspekten, etwa Fragen nach Konsequenzen: Kommt der Krieg nach Europa? Droht die Zerstörung anderer Staaten? Erhöhen fortgesetzte Waffenlieferungen die Risiken und Gefährdungslagen, z. B. sozialer Destabilisierung ganzer Gesellschaften? Warum gibt es keine Friedensplanung oder Vorschläge des Westens (der Nato)?
Das (noch) Unbeantwortete und die fehlende Planung legen einerseits die ungeklärte Strategie des Westens (und der Nato) offen und andererseits das Ringen anderer Akteure, wie der amerikanischen Denkfabrik »Institute for the Study of War«, um Strategien und Optionen geopolitischen Handelns: Die Vereinigten Staaten hätten »die Macht, die einzige Erfolgsstrategie Russlands zu vereiteln«. Zwar habe man in der Vergangenheit zugelassen, dass »Russland eine übergroße Rolle bei der Gestaltung der amerikanischen Entscheidungsfindung« spiele. Man müsse also darauf achten, Entscheidungen zu treffen, die mit eigenen »Interessen, Werten und Tatsachen in Verbindung stehen und nicht fremdgesteuert sind«. Nach eingehender Lektüre des Berichts wird offensichtlich, dass »russische Desinformationspolitik« mit unkritischer Berichterstattung der Frankfurter Rundschau gepaart, das Gegenteil von Aufklärung, selbst Desinformation werden kann, weil die eigentlichen Hintergründe und Interessen der »amerikanischen Denkfabrik« ausgeklammert bleiben. Die Studien sicherheitspolitischer Denkfabriken widerspiegeln Debatten über globale Strategien des US-amerikanischen Imperiums – Varianten wie jene vom hochdekorierten Viersternegeneral David Petraeus, der die US- und Koalitionsstreitkräfte im Irak und in Afghanistan kommandiert hatte; Petraeus, der sich als »liberaler Rockefeller-Republikaner« sieht, will keinen Atomkrieg riskieren, keine Eskalation infolge eines Waffeneinsatzes, wie etwa durch Einrichtung einer Flugverbotszone über die Ukraine (Herbst 2022). Das Vorstandsmitglied des ISW hält eskalationsfähige Kriegswaffen für nicht einsetzbar. Im Vorstand der Denkfabrik ist auch William »Bill« Kristol, bedeutender Protagonist des Neokonservatismus in den USA. Kristol plädiert für die militärisch gestützte Hegemonie der USA weltweit sowie für die umfassende Revision des Völkerrechts. Oder der am 27. März 2024 gestorbene »Joe« Lieberman, der mit den Republikanern der Bush jun.-Zeit beim völkerrechtswidrigen »War on Terror« kollaborierte. Gegründet wurde das Institut 2007 von der Militärhistorikerin Kimberly Kagan als Reaktion auf die Stagnation der Kriege im Irak und in Afghanistan, im Kern finanziert von einer Gruppe von Rüstungsunternehmen. Ihr erklärtes Ziel: vom »Imperial Moment« (Titel ihres Buches aus 2010) für die amerikanische Zukunft zu lernen, der Vision des Instituts. Wir brauchen dagegen den guten Journalismus, der Hintergründe aufdeckt, Informationen kritisch darbietet, um über Freiheit und Zukunft zu verhandeln, gebunden an Vernunft, Gleichheit der Menschen und humane Lebensverhältnisse.