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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Wie Flasche leer!«

Die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung wag­te sich am 10. Janu­ar aus der Deckung und warf sich wacker ver­bal mit einem Leit­ar­ti­kel hin­ter den abge­fah­re­nen grü­nen Zug aufs Gleis. Danach folg­ten meh­re­re Leser­brie­fe im glei­chen Tenor: Baer­bocks drei Jah­re lang prak­ti­zier­te »femi­ni­sti­sche Außen­po­li­tik« sei nicht nur pein­lich gewe­sen, son­dern habe »deut­schen Inter­es­sen« gescha­det. Unmit­tel­ba­rer Anlass für die­se Abrech­nung war der Auf­tritt der Außen­mi­ni­ste­rin in wei­ßen Jeans in Damas­kus, als ihr der Gast­ge­ber demon­stra­tiv den Hand­schlag ver­wei­ger­te. Baer­bock dazu? Sie habe »deut­lich gemacht, dass man die­ses Ver­hal­ten miss­bil­li­ge, sag­te sie hin­ter­her« (FAZ, 10. Janu­ar). Wer ist »man«? Und: War nicht auch die­se Reak­ti­on anma­ßend und über­grif­fig? Undi­plo­ma­tisch war sie auf jeden Fall.

Hele­ne »Leni« Ber­ner (1904-1992) erzähl­te mir ein­mal, wie ver­är­gert Fried­rich Wolf war, als sie ihm die Klei­der­ord­nung als Diplo­mat bei­brach­te. Sie hat­te in den zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­ren einen Mode­sa­lon in Ber­lin betrie­ben, doch eigent­lich war sie Kund­schaf­te­rin der sowje­ti­schen Mili­tär­auf­klä­rung, und ihr flo­rie­ren­des Geschäft am Ku’damm dien­te ein­zig dazu, Nach­rich­ten von der Kund­schaft zu gewin­nen. Ihre Kun­din­nen waren mit Män­nern aus der poli­ti­schen Klas­se ver­hei­ra­tet und dar­um erst­klas­si­ge Quel­len. Kapi­tan (= Haupt­mann) Ber­ner kam 1945 mit der Roten Armee nach Ber­lin zurück und war vier Jah­re lang in der Sowje­ti­schen Mili­tär­ad­mi­ni­stra­ti­on (SMAD) tätig. 1949, nach Grün­dung der DDR, rekru­tier­te die DDR-Füh­rung die Anti­fa­schi­stin Ber­ner als Eti­ket­te-Leh­re­rin im Außen­mi­ni­ste­ri­um. Sie hat­te schließ­lich mal einen Mode­sa­lon geführt, hieß es zur Begrün­dung. Zehn Jah­re lang war sie dann »Lei­te­rin der Abtei­lung Schu­lung« im Mini­ste­ri­um, wie sich ihre Funk­ti­on nannte.

Der Arzt und Schrift­stel­ler Fried­rich Wolf soll­te als erster Bot­schaf­ter der DDR nach War­schau gehen, wider­wil­lig zwar, aber er ging. Sein Unmut zeig­te sich auch in der zum Amt gehö­ren­den Klei­der­ord­nung, die ihm Leni Ber­ner kun­dig bei­brach­te. Wolf wei­ger­te sich, so sag­te sie mir, einen bür­ger­li­chen Frack oder einen Cut zu tra­gen. Sol­che Rudi­men­te höfi­schen Ver­hal­tens lehn­te er prin­zi­pi­ell ab. Trat der Sozia­lis­mus nicht an mit der Absicht, die kapi­ta­li­sti­sche Aus­beu­ter­ord­nung in allen ihren Tei­len zu über­win­den? Und nun soll­te er deren Regeln auch noch fol­gen? Am Ende unter­warf sich der Kom­mu­nist Wolf der Par­tei­dis­zi­plin und damit der ver­lang­ten Klei­der­ord­nung, also den in der Diplo­ma­tie herr­schen­den bür­ger­li­chen Umgangsformen …

Ent­we­der gibt es im heu­ti­gen Aus­wär­ti­gen Amt kei­ne Per­son, die wie sei­ner­zeit Leni Ber­ner Ein­fluss auf den Dress­code der aus­wär­ti­gen Reprä­sen­tan­ten des deut­schen Staa­tes nimmt, oder aber die­se sind, anders als Fried­rich Wolf, bera­tungs­re­si­stent. Viel­leicht jedoch sind sie auch nur arro­gant und bla­siert, weil sie sich auf­grund ihres Amtes für all­wis­send und all­mäch­tig hal­ten, zumin­dest ande­ren über­le­gen füh­len. Man erin­ne­re sich etwa an Außen­mi­ni­ster-Dan­dy Hei­ko Maas, der im Juli 2019 ein von einem Wehr­macht­sol­da­ten geraub­tes Kunst­werk den Uffi­zi­en in Flo­renz mit Getö­se zurück­gab – mit schwar­zer Kra­wat­te und im schwar­zen Hemd. Schwarz­hem­den gehör­ten in Mus­so­li­nis Ita­li­en zur Uni­form der Faschi­sten-Miliz. Ita­li­ens Regie­rung schwieg damals indi­gniert über die­sen Affront.

Die grü­ne Nach­fol­ge­rin im Amte trat mit fal­scher Beklei­dung wie­der­holt in ähn­li­che Fett­näp­fe. Erin­nert sei nur an ihre Visi­te im ver­gan­ge­nen Jahr in Bei­jing, wo sie mit einem lege­ren Hosen­an­zug und ande­ren unhöf­li­chen Gesten die Gast­ge­ber verärgerte.

Im Kern aller­dings geht es nicht um Klei­dung und Ver­hal­ten, mit denen Baer­bock demon­stra­tiv mit diplo­ma­ti­schen Gepflo­gen­hei­ten und Bräu­chen bricht. Dahin­ter ver­birgt sich eine Hal­tung der Anma­ßung und Über­heb­lich­keit. Und natür­lich gestat­ten die Auf­trit­te auch Rück­schlüs­se auf die vor­han­de­ne oder eben die feh­len­de Qua­li­fi­ka­ti­on, die jedes Amt erfor­dert. Spe­zi­ell die nöti­gen Fähig­kei­ten fürs Aus­wär­ti­ge Amt, das sich, neben­bei, im Haus am Fried­richs­wer­der­schen Markt in Ber­lins Mit­te befin­det. Dort war bis 1989 der Sitz des Zen­tral­ko­mi­tees der SED. Im Unter­schied zum gegen­über­lie­gen­den Außen­mi­ni­ste­ri­um der DDR, das sofort von den west­deut­schen Okku­pan­ten nie­der­ge­ris­sen wor­den war, ließ man die­ses Gebäu­de jedoch ste­hen. Ver­mut­lich weil es in den drei­ßi­ger Jah­ren von der Reichs­bank errich­tet wor­den war. (Die Betei­li­gung die­ser Insti­tu­ti­on an den Nazi-Ver­bre­chen in den Kon­zen­tra­ti­ons- und Ver­nich­tungs­la­gern – Stich­wort Zahn­gold – hat­te in Nürn­berg zur Ver­ur­tei­lung auch des hier täti­gen Reichs­bank­prä­si­den­ten geführt. Das aber, wie gesagt, nur neben­bei. Es gibt selbst­re­dend kei­ne Ver­bin­dung zwi­schen der brau­nen Ver­gan­gen­heit und der grü­nen Gegen­wart des Hau­ses. Und ein Geni­us loci exi­stiert auch nicht.)

War­um hat die poli­ti­sche Klas­se der Bun­des­re­pu­blik – deren Sprach­rohr die FAZ ist – die offen­sicht­li­che Unfä­hig­keit der grü­nen Außen­mi­ni­ste­rin oder des grü­nen Wirt­schafts­mi­ni­sters Habeck nicht frü­her ange­spro­chen? »Den Grü­nen wird zu Recht zugu­te­ge­hal­ten, dass sie in der Ukrai­ne ent­schlos­se­ner waren«, ent­schul­digt die FAZ, was – der diplo­ma­ti­schen Ver­hül­lung ent­le­digt – eigent­lich heißt: Die grü­nen Trans­at­lan­ti­ker haben den bedin­gungs­lo­sen Kriegs­kurs der Nato und deren Füh­rungs­macht USA kon­se­quen­ter als ande­re durch­ge­setzt. Das ist die ein­zi­ge Erklä­rung, wes­halb die von Anfang an erkenn­bar kon­zep­ti­ons­lo­se grü­ne Außen- und Wirt­schafts­po­li­tik klag­los bis dato hin­ge­nom­men wor­den war.

Die Diplo­ma­tie war (und ist noch immer) bei der Lösung des Ukrai­ne-Kon­flik­tes ver­ab­schie­det. Die ober­ste deut­sche Diplo­ma­tin war füh­rend auch dar­an betei­ligt, dass aus dem Krieg des Westens gegen Russ­land pro­pa­gan­di­stisch »Putins Krieg« gemacht wur­de. Die von ihr und ihrem Par­tei­freund Habeck ver­brei­te­te Mär, Russ­land habe Gas- und Öl-Lie­fe­run­gen ver­wei­gert, hat sich inzwi­schen als Nar­ra­tiv durch­ge­setzt. In Wahr­heit haben maß­geb­lich die Grü­nen die Ener­gie-Häh­ne zuge­dreht. Und als das den USA nicht rasch genug ging, sorg­ten die­se dafür, dass die Ost­see-Pipe­lines gesprengt wurden.

Die poli­ti­sche Klas­se hat Baer­bocks Nar­re­tei­en für eine »regel­ba­sier­te« Welt, ihr vor­geb­li­ches Enga­ge­ment für Frau­en- und Men­schen­rech­te drei lan­ge Jah­re durch­ge­hen las­sen, solan­ge davon nicht das Grund­prin­zip ver­letzt wur­de, dass näm­lich Außen­po­li­tik der Durch­set­zung natio­na­ler Inter­es­sen zu die­nen hat. Natio­na­le Inter­es­sen sind vor­dring­lich wirt­schaft­li­cher Natur. Es geht nicht um Demo­kra­tie und Frei­heit und ande­re Phra­sen, nicht um die Beleh­rung ande­rer Staa­ten, wie die­se zu leben und ihre Außen­po­li­tik zu gestal­ten haben. Es geht ein­zig und allein um die Siche­rung von Absatz­märk­ten und Roh­stoff­res­sour­cen, also um Profitinteressen.

Der Baer­bock­sche Dilet­tan­tis­mus igno­rier­te die­sen fun­da­men­ta­len Zusam­men­hang. Wie eben »der Westen« es nicht begrif­fen hat­te, dass die übri­gen Staa­ten der Welt sich nicht mehr in ihre natio­na­len Belan­ge rein­re­den las­sen wol­len. Selbst­be­wusst begin­nen sie sich mit- und unter­ein­an­der zu orga­ni­sie­ren. Hät­te die deut­sche Außen­po­li­tik bei­zei­ten erkannt, dass es wirk­lich eine Zei­ten­wen­de gibt, und zwar eine glo­ba­le, dann wäre die­se auch nicht zu ver­hin­dern gewe­sen. Aber das AA hät­te dar­auf wenig­stens – in »deut­schem Inter­es­se« – stra­te­gisch reagie­ren kön­nen, sofern Intel­li­genz und diplo­ma­ti­sches Ver­mö­gen dort behei­ma­tet gewe­sen wären.

Das hal­be Jahr­tau­send eines kolo­nia­len und post­ko­lo­nia­len Zeit­al­ters geht zu Ende. Baer­bocks grü­ne femi­ni­sti­sche Außen­po­li­tik und Habecks grü­ne Wirt­schafts­po­li­tik sind dar­in nicht ein­mal Fuß­no­ten gewe­sen. Oder um mit dem Satz des ita­lie­ni­schen Fuß­ball­trai­ners Tra­pat­to­ni bei des­sen Abrech­nung mit der mise­ra­blen Spiel­wei­se sei­ner Mann­schaft zu spre­chen: »Die waren schwach wie eine Fla­sche leer!«