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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wie der Geheimdienst Politik macht

Es ist die Zeit für Popu­li­sten: Die übli­chen Ver­däch­ti­gen aus der CSU- und AFD-Poli­tik-Rie­ge nen­nen Kli­ma-Akti­vi­sten jetzt Kli­ma-Ter­ro­ri­sten, auch für Hard­li­ner in Poli­zei- und Ord­nungs­be­hör­den gel­ten sie nicht wegen ihrer Pro­test­me­tho­den, son­dern wegen ihrer poli­ti­schen For­de­run­gen mitt­ler­wei­le als »Ver­fas­sungs­fein­de«. Das ruft den Ver­fas­sungs­schutz auf den Plan.

Der deut­sche Ver­fas­sungs­schutz ist etwas sehr Beson­de­res. Einen sol­chen Geheim­dienst haben ande­re west­li­che Demo­kra­tien nicht. Es ist ein Geheim­dienst, der im Inland späht. Er rich­tet sich nicht gegen Kri­mi­nel­le, son­dern gegen Per­so­nen und Grup­pen, die für poli­tisch gefähr­lich gehal­ten wer­den. Er spio­niert Bür­ge­rin­nen und Bür­ger aus, die kei­ne Geset­ze ver­let­zen, son­dern ihre demo­kra­ti­schen Rech­te wahr­neh­men. Dabei hat der Ver­fas­sungs­schutz enorm gro­ße Frei­hei­ten, enorm gro­ße Macht.

Das kri­ti­siert Ronen Stein­ke, in Ber­lin leben­der Jour­na­list und Autor, der vor allem für die Süd­deut­sche Zei­tung recher­chiert und schreibt. In sei­nem neu­en Buch geht er der Fra­ge nach, ob die­ser Geheim­dienst die Demo­kra­tie schützt oder ihr eher scha­det. Seit Jah­ren recher­chiert er im Milieu der Inlands­spio­ne, hat Spio­na­ge­chefs inter­viewt und Agen­ten bei der Arbeit beglei­tet. Auf über 200 Sei­ten beschreibt er Aspek­te wie behörd­li­che NS-Kon­ti­nui­tä­ten des Ver­fas­sungs­schut­zes, erin­nert an die Zeit des »Radi­ka­len­er­las­ses«, schil­dert das flä­chen­decken­de Ver­sa­gen bei der Auf­klä­rung der NSU-Mor­de, bis hin zur digi­ta­len Quel­len-Über­wa­chung und der Prä­senz des »Dien­stes« aktu­ell in den sozia­len Medi­en. Les­bar und span­nend zeigt er, wie der Ver­fas­sungs­schutz ope­riert, sei­ne V-Leu­te vorgehen.

Der Inlands­ge­heim­dienst, so Stein­ke, der in Deutsch­land mit 8000 Agen­tin­nen und Agen­ten unter­wegs sei, über­wa­che im Land nicht nur Extre­mi­sten, die unse­re Ver­fas­sung gefähr­den und bekämp­fen, son­dern auch Men­schen, die sich legal poli­tisch enga­gie­ren, etwa aus der Kli­ma-Pro­test-Bewe­gung. Damit agie­re der Ver­fas­sungs­schutz gegen Grup­pen, die auf lega­lem Wege ihre Mei­nung sagen, kri­ti­siert Stein­ke. Er lege über die­se Men­schen Akten an, dro­he und schüch­te­re sie ein.

Stein­ke geht es nicht dar­um, poli­tisch Par­tei zu ergrei­fen für die von den Behör­den ins Visier genom­me­nen Grup­pen. Als Ver­tei­di­ger eines libe­ra­len Rechts­staa­tes stört er sich vor allem dar­an, wie stark mit­un­ter an Grund­rech­ten wie Mei­nungs­frei­heit und Pres­se­frei­heit gerüt­telt wird sowie lin­ke und rech­te Grup­pie­run­gen mit Dop­pel­stan­dards beur­teilt wer­den. Er kri­ti­siert die deut­schen Ver­fas­sungs­schutz­äm­ter als »Poli­tik-Beob­ach­tungs-Geheim­dienst«– mit einer offen­sicht­li­chen Ein­äu­gig­keit: Die Horch- und Blick­po­sten waren tra­di­tio­nell eher schwach nach rechts gerich­tet. Der Feind stand links!

Dem Mann, der als Ver­fas­sungs­schutz-Prä­si­dent über die frei­heit­li­che Grund­ord­nung des Lan­des zu wachen beauf­tragt war, wid­met Stein­ke ein gan­zes Kapi­tel: Hans-Georg Maa­ßen. Sechs Jah­re, bis 2018, war er der ober­ste Ver­fas­sungs­schüt­zer – und geriet immer häu­fi­ger in die öffent­li­che Kri­tik. Maa­ßen, CDU-Mit­glied, fiel durch popu­li­sti­sches Gerau­ne zur Merkel´sche Migra­ti­ons­po­li­tik auf, baga­tel­li­sier­te die Hetz­jag­den von Chem­nitz, wo Rechts­ra­di­ka­le Men­schen ver­folg­ten und ver­prü­gel­ten, die sie für Aus­län­der hiel­ten. Und Maa­ßen ver­such­te wie­der­holt, eine Beob­ach­tung der AFD zu stop­pen. Im Herbst 2018 been­de­te Maa­ßen sei­ne Beam­ten­kar­rie­re, um in die Poli­tik zu gehen. Bei der Bun­des­tags­wahl 2021 trat er in Thü­rin­gen erfolg­los als Direkt­kan­di­dat für die CDU an. Danach sorg­te er immer wie­der mit rechts­la­sti­gen und anti­se­mi­ti­schen Äuße­run­gen für Empö­rung in der eige­nen Par­tei und der Öffent­lich­keit. Der CDU-Bun­des­vor­stand woll­te ihn los­wer­den und beschloss im Febru­ar des­halb ein Par­tei­aus­schluss­ver­fah­ren gegen Maa­ßen. Ein Kreis­par­tei­ge­richt aber lehn­te die­ser Tage den Antrag der Bun­des­par­tei ab. Die Tat­sa­che, dass ein Mann wie Maa­ßen der ober­ste Ver­fas­sungs­schüt­zer des Lan­des sein konn­te, ist bei­na­he beäng­sti­gend. Die Cau­sa Maa­ßen macht deut­lich: Demo­kra­tie gerät auch von Innen in Schieflage.

Ronen Stein­ke ist eine infor­ma­ti­ve und irri­tie­ren­de Innen­an­sicht einer Insti­tu­ti­on gelun­gen, die vor allem eines zeigt: Eine Debat­te über den Geheim­dienst ist überfällig.

 Ronen Stein­ke: Ver­fas­sungs­schutz. Wie der Geheim­dienst Poli­tik macht, Ber­lin Ver­lag, 220 S., 24 €.