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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wider die Selbstgewissheit der Satten

Wenn einem wie Jür­gen Haber­mas die Zor­nes­ader schwillt, und zwar nicht im stil­len Phi­lo­so­phen­käm­mer­lein, son­dern in aller Öffent­lich­keit, dann will das was hei­ßen. So gesche­hen in der Sep­tem­ber­aus­ga­be der Blät­ter für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik, wo er der deut­schen Bun­des­re­gie­rung wegen ihres, wie er meint, man­geln­den Mutes in der Euro­pa­po­li­tik wie­der ein­mal die Levi­ten liest.

Das Schwer­ge­wicht sei­ner Straf­pre­digt liegt jedoch auf der Ver­schie­bung der innen­po­li­ti­schen Macht­ba­lan­ce, gekenn­zeich­net durch den Umstand, dass sich »zum ersten Mal in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik rechts von der Uni­on eine erfolg­rei­che Par­tei eta­blie­ren konn­te«. Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er habe sich als Bun­des­vor­sit­zen­de der CDU mit ihrem unrea­li­sti­schen Behar­ren auf der Unver­ein­bar­keit einer Koali­ti­on der Christ­lich-Demo­kra­ti­schen Uni­on sowohl mit der Lin­ken als auch mit der Rech­ten ihr eige­nes Grab geschau­felt. Der West-CDU, die auf ihren Wahl­pla­ka­ten schon bei den ersten Bun­des­tags­wah­len Her­bert Weh­ner und die SPD mit dem Slo­gan »Alle Wege des Mar­xis­mus füh­ren nach Mos­kau« denun­ziert hat­te, fal­le der »längst über­fäl­li­ge Abschied von einer mora­li­sie­ren­den Dis­kri­mi­nie­rung der Lin­ken« immer noch schwer.

Haber­mas erin­nert dar­an, dass Kon­rad Ade­nau­er die anti­kom­mu­ni­sti­sche Front­stel­lung wäh­rend des Kal­ten Krie­ges benutzt habe, um die alten NS-Eli­ten, die in fast allen Berei­chen ihre alten Posi­tio­nen wie­der ein­ge­nom­men hat­ten, ein­zu­bin­den. Der Anti­kom­mu­nis­mus habe damals in gro­ßen Tei­len einer Bevöl­ke­rung, die Hit­ler mit über­wäl­ti­gen­der Mehr­heit bis zum bit­te­ren Ende unter­stützt habe, das Aus­wei­chen vor einer selbst­kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit den eige­nen Ver­strickun­gen erleich­tert. »Ren­a­zi­fi­zie­rung des öffent­li­chen Lebens« nann­te das der Vor­sit­zen­de der Jüdi­schen Gemein­de und Ausch­witz-Über­le­ben­de Heinz Galin­ski laut FAZ vom 21. Febru­ar 1959.

Hat der Ver­weis des bedeu­tend­sten deut­schen Phi­lo­so­phen und Sozio­lo­gen der Gegen­wart auf den Dreck vor der eige­nen Tür unse­re poli­ti­schen Tugend­wäch­ter aus ihrer Selbst­ge­wiss­heit auf­ge­scheucht? Da müss­te es schon um etwas ande­res gehen als die Dis­kri­mi­nie­rung der Lin­ken in Deutsch­land. Als am Mut­ter­tag des Jah­res 1952 in Essen ein kom­mu­ni­sti­scher Demon­strant wäh­rend einer ver­bo­te­nen Kund­ge­bung gegen die Wie­der­be­waff­nung durch eine Poli­zei­ku­gel in den Rücken töd­lich getrof­fen wur­de, ließ sich ein Beam­ter beim Aus­la­den des leb­lo­sen Kör­pers nach Zeu­gen­aus­sa­gen durch den Satz ver­neh­men: »Das Schwein ist schon tot.« Bis auf eine Aus­nah­me hat kei­ne ein­zi­ge über­re­gio­na­le Zei­tung das Ereig­nis kom­men­tiert. Die poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Aus­gren­zung der kom­mu­ni­sti­schen Min­der­heit erlaub­te es dem Nach­rich­ten­ma­ga­zin Der Spie­gel sogar, nicht ein­mal nach­richt­lich von den Gescheh­nis­sen Notiz zu neh­men; sie wur­den ein­fach totgeschwiegen.

Im Gefol­ge des von der Bun­des­re­gie­rung ange­streng­ten Ver­bots der KPD ver­lo­ren 1956 Aber­tau­sen­de ihre Lebens­grund­la­ge. Wer als Jour­na­list bei einer kom­mu­ni­sti­schen Zei­tung gear­bei­tet hat­te, galt in sei­nem Beruf als eben­so unver­mit­tel­bar wie ein Bäcker mit Bäcker­krät­ze. Bewer­ber für den öffent­li­chen Dienst und den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk wur­den bereits vor dem Radi­ka­len­er­lass und der Berufs­ver­bots­pra­xis auf ihre poli­ti­sche Zuver­läs­sig­keit hin über­prüft und gege­be­nen­falls angeschwärzt.

Von den Nazis ver­folg­te Wider­stands­kämp­fer wur­den mit dem Ent­zug ihrer Wie­der­gut­ma­chungs­an­sprü­che bestraft und muss­ten mit­un­ter sogar bereits erhal­te­ne Lei­stun­gen zurück­zah­len, wenn sie sich wei­ter­hin für die Zie­le der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei betä­tig­ten, deret­we­gen sie schon in der NS-Zeit bestraft wor­den waren. Zu einer Art inqui­si­to­ri­schen Orgie wuchs sich der Ver­fol­gungs­wahn nach der Ein­ver­lei­bung der DDR aus, als die Sie­ger im Wett­streit der Syste­me dem bereits auf dem Boden lie­gen­den Geg­ner auch noch mora­lisch das Genick zu bre­chen ver­such­ten, indem sie die DDR mit dem natio­nal­so­zia­li­sti­schen Unrechts­staat, des­sen Die­ner in der Robe die west­deut­sche Justiz unge­scho­ren gelas­sen hat­te, auf eine Stu­fe stellten.

Wie ein Stück aus dem Toll­haus nimmt sich die Ren­ten­kür­zung für die durch Kin­der­läh­mung schwer behin­der­te Son­ja Axen aus. Unter Hin­weis auf die Tätig­keit ihres Man­nes, des Ausch­witz-Über­le­ben­den Her­mann Axen, im Polit­bü­ro der SED wur­de ihr der Wit­wen­an­teil an der Ent­schä­di­gungs­ren­te ihres Man­nes aberkannt. Der Wit­we des ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten am Volks­ge­richts­hof der Nazis, Roland Freis­ler, hin­ge­gen wur­de eine zusätz­li­che Scha­dens­aus­gleichs­ren­te mit der Begrün­dung zuge­spro­chen, dass ihr 1945 bei einem Luft­an­griff ums Leben gekom­me­ner Mann im Fall sei­nes Über­le­bens nach dem Krieg als Rechts­an­walt oder Beam­ter des höhe­ren Dien­stes tätig gewe­sen wäre.

Viel­leicht erwa­chen die beflis­se­nen Ver­tei­di­ger der Men­schen­rech­te ange­sichts sol­cher Fuß­trit­te gegen Gerech­tig­keit und Men­schen­wür­de aus ihrer Selbst­ge­wiss­heit und neh­men doch noch den von Haber­mas gefor­der­ten über­fäl­li­gen Abschied von der mora­li­sie­ren­den Dis­kri­mi­nie­rung der Linken.