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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wer sitzt dann am Tisch …?

Frie­dens­ge­sprä­che bezüg­lich der Ukrai­ne wer­den kom­men, unab­hän­gig von den Prä­mis­sen und Bedin­gun­gen. Der Trend dahin hat sich in den letz­ten Wochen ver­stärkt – ob durch »Plan­spie­le« in eini­gen Zei­tun­gen oder (angeb­lich) ver­trau­li­che »Gedan­ken« eines Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten in den USA. Bis­her zielt das Gros der hie­si­gen öffent­li­chen Mei­nungs­ma­che genau in die Gegen­rich­tung: gegen Russ­land im All­ge­mei­nen und Putin im Beson­de­ren. Aber ist das über­haupt mög­lich, dass nur eine Per­son einen Staat von fast 150 Mil­lio­nen Men­schen bis ins Detail lenkt? Ist die­se Denk­wei­se rea­li­stisch? Oder soll »der Putin« nur als Popanz her­hal­ten – das per­so­ni­fi­zier­te Böse ist leich­ter zu dis­kre­di­tie­ren als eine gan­ze Gesell­schaft? Denn hin­ter dem rus­si­schen Prä­si­den­ten ste­hen vie­le ande­re, die die offi­zi­el­le rus­si­sche Mei­nung ver­tre­ten, die die Welt­la­ge ana­ly­sie­ren und – ist doch kaum zu glau­ben! – Wege fin­den, das Land zu sta­bi­li­sie­ren, trotz der Sank­tio­nen des Wer­te­we­stens. Doch eine der­ar­ti­ge Ana­ly­se scheint hier­zu­lan­de nicht erwünscht: Wenn der west­li­che Main­stream nur auf Per­so­nen zielt, kann er wohl kaum die tat­säch­lich wir­ken­den Zusam­men­hän­ge, Hin­ter­grün­de, Ent­wick­lungs­ten­den­zen erkennen.

In einem der letz­ten Arti­kel von Rüdi­ger Rauls wur­de es so for­mu­liert: Wenn man sein Wunsch­den­ken zur Rea­li­tät erhebt, macht man etwas falsch.

Wie kommt es aber, dass von Medi­en­ge­stal­tern bis zu Poli­ti­kern die rea­len Gege­ben­hei­ten oft nicht erkannt, manch­mal auch aus­ge­blen­det wer­den? Ist dies viel­leicht berufs­be­dingt? Es ist zu ver­mu­ten. Denn jemand, der sich an der mate­ri­el­len Rea­li­tät ori­en­tie­ren muss, könn­te sich das gar nicht erlau­ben – ein Land­wirt kann nicht im Som­mer säen; jeder Mau­rer muss sich nach den Zeich­nun­gen rich­ten; ein Pro­jet­lei­ter hat auf die anfal­len­den Kosten zu ach­ten. Aber wenn Men­schen vie­le Jah­re oder ihr gan­zes Berufs­le­ben lang nur im Polit­be­trieb wir­ken – ob sich dann ihre »Lebens-Bla­se« irgend­wie zu einer abge­kap­sel­ten sur­rea­len Welt entwickelt?

Und dann ist es wohl fast nor­mal, dass man mit den Kol­le­gen auf die bösen ande­ren schimpft – die­se ande­ren sind ja oft nicht dabei, wer­den zum Teil aus­ge­la­den! Und wenn sie dabei sind – war­um soll man auf ein Staats­ober­haupt hören, wenn mehr als 20 EU-Gran­den was ande­res wol­len? Denn sie wol­len etwas: mög­lichst den Sta­tus von vor 30 Jah­ren, wegen der Boden­schät­ze, der Korn­kam­mern. Und der Kau­ka­sus und die Krim sind wun­der­schö­ne Urlaubs­pa­ra­die­se – und da sol­len nicht nur die Rus­sen Gewinn raus­ho­len, da will der Wer­te­we­sten auch dran verdienen!!

Es gibt aktu­ell vie­le Stim­men, die Russ­land das Recht auf eine ange­mes­se­ne Sicher­heit abspre­chen. Die­se Denk­wei­se ist ja nichts Neu­es; das Her­ab­wür­di­gen ande­rer hat in West­eu­ro­pa eine lan­ge Tra­di­ti­on; in den Jahr­hun­der­ten der Leib­ei­gen­schaft hat­ten die Groß­grund­be­sit­zer ja auch vol­ler Dün­kel auf ihre Land­wir­te her­ab­ge­se­hen. Als sich die­se das nicht mehr bie­ten lie­ßen – man leb­te ja prak­tisch täg­lich zusam­men – ver­än­der­te sich die­se Über­heb­lich­keit: Man sah dann her­ab auf kolo­ni­sier­te Völ­ker und im Zuge der Kriegs­hy­ste­rien auf ande­re Staa­ten und deren Ange­hö­ri­ge (»Jeder Stoß ein Fran­zos« im 1. Welt­krieg) – für die mensch­li­che Arro­ganz ist schein­bar kein Mit­tel zu pri­mi­tiv! Heu­te ruft schon ein sehr vor­sich­ti­ger Hin­weis des SPD-Frak­ti­ons­chefs bezüg­lich »Ein­frie­rens« des Ukrai­ne-Kon­flikts einen hyste­ri­schen media­len Auf­schrei her­vor – ein trau­ri­ges Bei­spiel für den angeb­li­chen Pluralismus.

Aber es gibt noch viel rabia­te­re Stim­men: Maß­geb­li­che Per­so­nen und Ent­schei­der haben bereits kund­ge­tan, dass sie Russ­land in Klein­staa­ten zer­glie­dert haben möch­ten – viel­leicht um so agie­ren zu kön­nen, wie es frü­her in Latein­ame­ri­ka mög­lich war, als man dort mit­tels IWF und/​oder SOUTHCOM schal­ten und wal­ten konn­te. Ande­re und nicht weni­ger maß­geb­li­che Per­so­nen möch­ten am lieb­sten ganz Russ­land mit »bösen Über­ra­schun­gen« über­zie­hen. Die­je­ni­gen sit­zen selbst ganz weit weg, außer­halb der Reich­wei­te jeder bal­li­sti­schen Rake­te – und ande­re (Ukrai­ner, viel­leicht auch Sol­da­ten aus Nato-Län­dern) sol­len für sie die Drecks­ar­beit machen!

Aber zurück zum Aus­gangs­punkt: Russ­land scheint aktu­ell nicht zu schwä­cheln, eher scheint dem Wer­te­we­sten die Muni­ti­on aus­zu­ge­hen. Es wird dem­nach Gesprä­che geben müs­sen, ob über einen Waf­fen­still­stand, Gebiets­an­sprü­che, künf­ti­ge Sicher­heits­ga­ran­tien oder ande­res. Und die rus­si­sche Sei­te ana­ly­siert bereits seit lan­gem die poli­ti­schen Mei­nun­gen: wer die rus­si­sche Poli­tik in wel­cher Form bewer­tet und kom­men­tiert, wer ihr die poli­ti­schen Rech­te eines sou­ve­rä­nen Staa­tes zuge­stan­den hat (aber auch, wer Russ­land die Eigen­stän­dig­keit sei­ner Ent­schei­dun­gen und Sicher­heits­in­ter­es­sen abge­spro­chen hat), und wel­che Per­so­nen dies waren.

Genau auf die­ser Basis wird Russ­land die Gesprächs­part­ner aus­wäh­len, mit denen es sich irgend­wann an den Ver­hand­lungs­tisch set­zen wird – aber auch, wer dar­über berich­ten darf. Ein fran­zö­si­scher Prä­si­dent, der ganz vorn dran war mit Pan­zern, jetzt auch von Boden­trup­pen redet? Ein ehe­ma­li­ger bri­ti­scher Pre­mier, der 2022 gegen die ersten Gesprä­che war? Irgend­je­mand von der deut­schen CDU oder FDP? Bis­si­ge Poli­ti­ker aus den bal­ti­schen Staa­ten? Eine EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin, die zahl­rei­che Sank­tio­nen gegen Russ­land vor­an­ge­trie­ben hat? Die­je­ni­gen, die beim Ver­mö­gens­klau gegen jedes Völ­ker­recht mit­ge­spielt haben? Eine Regie­rung, die sich ihre mil­li­ar­den­teu­re Infra­struk­tur zum Gasim­port zer­stö­ren lässt – ohne jed­we­de Kon­se­quenz? Mei­nungs­ma­cher, die von ein­sei­ti­gen Dar­stel­lun­gen bis zu unwah­ren Behaup­tun­gen gegen Russ­land pole­mi­sie­ren? Ob man Russ­land mag oder nicht – schon hier­aus ist erkenn­bar: Sol­che poli­ti­schen Anti-Apo­lo­ge­ten (oder soll­te man von geg­ne­ri­schen Kräf­ten reden?) wer­den bei Ver­hand­lun­gen und der ent­spre­chen­den Bericht­erstat­tung von Russ­land wohl kaum mehr akzep­tiert bzw. zuge­las­sen. Viel­leicht müs­sen dann die deut­schen Medi­en in der Tür­kei nach­fra­gen, ob von dort ein Kol­le­ge für sie berichtet …

Aber viel­leicht ent­wickelt sich die Poli­tik auch dahin, dass Euro­pa bei kom­men­den Ver­hand­lun­gen gar nicht mit am Tisch sit­zen wird oder darf, da man ja bis­her nichts wei­ter war als ein bra­ver US-Erfüllungsgehilfe.