Friedensgespräche bezüglich der Ukraine werden kommen, unabhängig von den Prämissen und Bedingungen. Der Trend dahin hat sich in den letzten Wochen verstärkt – ob durch »Planspiele« in einigen Zeitungen oder (angeblich) vertrauliche »Gedanken« eines Präsidentschaftskandidaten in den USA. Bisher zielt das Gros der hiesigen öffentlichen Meinungsmache genau in die Gegenrichtung: gegen Russland im Allgemeinen und Putin im Besonderen. Aber ist das überhaupt möglich, dass nur eine Person einen Staat von fast 150 Millionen Menschen bis ins Detail lenkt? Ist diese Denkweise realistisch? Oder soll »der Putin« nur als Popanz herhalten – das personifizierte Böse ist leichter zu diskreditieren als eine ganze Gesellschaft? Denn hinter dem russischen Präsidenten stehen viele andere, die die offizielle russische Meinung vertreten, die die Weltlage analysieren und – ist doch kaum zu glauben! – Wege finden, das Land zu stabilisieren, trotz der Sanktionen des Wertewestens. Doch eine derartige Analyse scheint hierzulande nicht erwünscht: Wenn der westliche Mainstream nur auf Personen zielt, kann er wohl kaum die tatsächlich wirkenden Zusammenhänge, Hintergründe, Entwicklungstendenzen erkennen.
In einem der letzten Artikel von Rüdiger Rauls wurde es so formuliert: Wenn man sein Wunschdenken zur Realität erhebt, macht man etwas falsch.
Wie kommt es aber, dass von Mediengestaltern bis zu Politikern die realen Gegebenheiten oft nicht erkannt, manchmal auch ausgeblendet werden? Ist dies vielleicht berufsbedingt? Es ist zu vermuten. Denn jemand, der sich an der materiellen Realität orientieren muss, könnte sich das gar nicht erlauben – ein Landwirt kann nicht im Sommer säen; jeder Maurer muss sich nach den Zeichnungen richten; ein Projetleiter hat auf die anfallenden Kosten zu achten. Aber wenn Menschen viele Jahre oder ihr ganzes Berufsleben lang nur im Politbetrieb wirken – ob sich dann ihre »Lebens-Blase« irgendwie zu einer abgekapselten surrealen Welt entwickelt?
Und dann ist es wohl fast normal, dass man mit den Kollegen auf die bösen anderen schimpft – diese anderen sind ja oft nicht dabei, werden zum Teil ausgeladen! Und wenn sie dabei sind – warum soll man auf ein Staatsoberhaupt hören, wenn mehr als 20 EU-Granden was anderes wollen? Denn sie wollen etwas: möglichst den Status von vor 30 Jahren, wegen der Bodenschätze, der Kornkammern. Und der Kaukasus und die Krim sind wunderschöne Urlaubsparadiese – und da sollen nicht nur die Russen Gewinn rausholen, da will der Wertewesten auch dran verdienen!!
Es gibt aktuell viele Stimmen, die Russland das Recht auf eine angemessene Sicherheit absprechen. Diese Denkweise ist ja nichts Neues; das Herabwürdigen anderer hat in Westeuropa eine lange Tradition; in den Jahrhunderten der Leibeigenschaft hatten die Großgrundbesitzer ja auch voller Dünkel auf ihre Landwirte herabgesehen. Als sich diese das nicht mehr bieten ließen – man lebte ja praktisch täglich zusammen – veränderte sich diese Überheblichkeit: Man sah dann herab auf kolonisierte Völker und im Zuge der Kriegshysterien auf andere Staaten und deren Angehörige (»Jeder Stoß ein Franzos« im 1. Weltkrieg) – für die menschliche Arroganz ist scheinbar kein Mittel zu primitiv! Heute ruft schon ein sehr vorsichtiger Hinweis des SPD-Fraktionschefs bezüglich »Einfrierens« des Ukraine-Konflikts einen hysterischen medialen Aufschrei hervor – ein trauriges Beispiel für den angeblichen Pluralismus.
Aber es gibt noch viel rabiatere Stimmen: Maßgebliche Personen und Entscheider haben bereits kundgetan, dass sie Russland in Kleinstaaten zergliedert haben möchten – vielleicht um so agieren zu können, wie es früher in Lateinamerika möglich war, als man dort mittels IWF und/oder SOUTHCOM schalten und walten konnte. Andere und nicht weniger maßgebliche Personen möchten am liebsten ganz Russland mit »bösen Überraschungen« überziehen. Diejenigen sitzen selbst ganz weit weg, außerhalb der Reichweite jeder ballistischen Rakete – und andere (Ukrainer, vielleicht auch Soldaten aus Nato-Ländern) sollen für sie die Drecksarbeit machen!
Aber zurück zum Ausgangspunkt: Russland scheint aktuell nicht zu schwächeln, eher scheint dem Wertewesten die Munition auszugehen. Es wird demnach Gespräche geben müssen, ob über einen Waffenstillstand, Gebietsansprüche, künftige Sicherheitsgarantien oder anderes. Und die russische Seite analysiert bereits seit langem die politischen Meinungen: wer die russische Politik in welcher Form bewertet und kommentiert, wer ihr die politischen Rechte eines souveränen Staates zugestanden hat (aber auch, wer Russland die Eigenständigkeit seiner Entscheidungen und Sicherheitsinteressen abgesprochen hat), und welche Personen dies waren.
Genau auf dieser Basis wird Russland die Gesprächspartner auswählen, mit denen es sich irgendwann an den Verhandlungstisch setzen wird – aber auch, wer darüber berichten darf. Ein französischer Präsident, der ganz vorn dran war mit Panzern, jetzt auch von Bodentruppen redet? Ein ehemaliger britischer Premier, der 2022 gegen die ersten Gespräche war? Irgendjemand von der deutschen CDU oder FDP? Bissige Politiker aus den baltischen Staaten? Eine EU-Kommissionspräsidentin, die zahlreiche Sanktionen gegen Russland vorangetrieben hat? Diejenigen, die beim Vermögensklau gegen jedes Völkerrecht mitgespielt haben? Eine Regierung, die sich ihre milliardenteure Infrastruktur zum Gasimport zerstören lässt – ohne jedwede Konsequenz? Meinungsmacher, die von einseitigen Darstellungen bis zu unwahren Behauptungen gegen Russland polemisieren? Ob man Russland mag oder nicht – schon hieraus ist erkennbar: Solche politischen Anti-Apologeten (oder sollte man von gegnerischen Kräften reden?) werden bei Verhandlungen und der entsprechenden Berichterstattung von Russland wohl kaum mehr akzeptiert bzw. zugelassen. Vielleicht müssen dann die deutschen Medien in der Türkei nachfragen, ob von dort ein Kollege für sie berichtet …
Aber vielleicht entwickelt sich die Politik auch dahin, dass Europa bei kommenden Verhandlungen gar nicht mit am Tisch sitzen wird oder darf, da man ja bisher nichts weiter war als ein braver US-Erfüllungsgehilfe.