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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wer nicht spricht, kann nicht verhandeln

Washing­ton war der Schau­platz eines poli­ti­schen Dra­mas, des­sen kom­mu­ni­ka­ti­ve und psy­cho­lo­gi­sche Dimen­sio­nen weit über die USA und die Ukrai­ne hin­aus­rei­chen. Der bri­san­te Schlag­ab­tausch zwi­schen Donald Trump und Wolo­dym­yr Selen­skyj offen­bart nicht nur das Schei­tern eines ver­meint­li­chen Frie­dens­ge­sprächs, son­dern auch tie­fer­lie­gen­de struk­tu­rel­le Defi­zi­te in der inter­na­tio­na­len Diplo­ma­tie. Was sich im Oval Office abspiel­te, ist kein blo­ßes poli­ti­sches Miss­ge­schick, son­dern das Sym­ptom eines gefähr­li­chen Trends: die Ver­ro­hung der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on, die eine fried­li­che Kon­flikt­lö­sung zuneh­mend erschwert.

Das miss­glück­te Gespräch zwi­schen Trump und Selen­skyj ver­lief nach einem kom­mu­ni­ka­ti­ons­psy­cho­lo­gi­schen Muster, das Eska­la­tio­nen fast zwangs­läu­fig her­vor­ruft: Feh­len­de gemein­sa­me Grund­an­nah­men, diver­gie­ren­de Ziel­set­zun­gen und per­sön­li­che Eitel­kei­ten haben das Gespräch von Beginn an auf eine Bahn gelenkt, die in einem offe­nen Kon­flikt enden musste.

Trump posi­tio­nier­te sich als Ver­mitt­ler, der den Krieg »been­den« wol­le, wäh­rend Selen­skyj sei­ne Sicht­wei­se kom­pro­miss­los for­mu­lier­te: Frie­den kön­ne es nur mit Garan­tien geben, und mit einem Aggres­sor wie Putin kön­ne man nicht ver­han­deln. Das Pro­blem war jedoch nicht allein inhalt­li­cher Natur, son­dern vor allem eines der psy­cho­lo­gi­schen Wahr­neh­mung: Selen­skyj betrach­te­te Trump nicht als neu­tra­len Media­tor, son­dern als jeman­den, der nicht ver­steht, wor­um es in die­sem Krieg wirk­lich geht. Trump wie­der­um war irri­tiert von Selen­sky­js aus sei­ner Sicht undank­ba­rer Haltung.

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­psy­cho­lo­gisch wur­de damit ein Grund­mu­ster akti­viert, das man als »kogni­ti­ve Dis­so­nanz« bezeich­nen kann: Die Kon­tra­hen­ten inter­pre­tie­ren die­sel­be Situa­ti­on völ­lig unter­schied­lich, füh­len sich unver­stan­den und reagie­ren dar­auf mit Abwehr, Aggres­si­on und Eska­la­ti­on. Wäh­rend Trump sich in der Rol­le des prag­ma­ti­schen Ver­mitt­lers sah, emp­fand Selen­skyj das Gespräch als Ver­such, ihn zu zwin­gen, eine Kapi­tu­la­ti­ons­er­klä­rung abzu­ge­ben. Die Fol­ge: Das Gespräch eska­lier­te in eine per­sön­li­che Feh­de, die weit über den Anlass hinauswirkt.

Ein zen­tra­ler Fak­tor in der Eska­la­ti­on war der Kampf um die Deu­tungs­ho­heit. Trumps Dro­hung – »Ent­we­der Frie­den oder du kämpfst allein wei­ter« – spie­gelt eine bru­ta­le Ver­ein­fa­chung eines kom­ple­xen Kon­flikts, die Selen­skyj in eine Posi­ti­on der Schwä­che drängt. Der ukrai­ni­sche Prä­si­dent kon­ter­te mit sei­ner eige­nen dra­sti­schen Per­spek­ti­ve: »Putin ist ein Mör­der, mit ihm kann man nicht ver­han­deln.« In der Fol­ge geriet das Gespräch in eine Sack­gas­se, die kei­ne Kom­pro­mis­se zuließ.

Die tie­fer­lie­gen­de Pro­ble­ma­tik ist hier­bei die Unfä­hig­keit, Sicht­wei­sen zu ver­ei­nen. Frie­dens­ver­hand­lun­gen set­zen vor­aus, dass bei­de Sei­ten sich auf eine gemein­sa­me Basis ver­stän­di­gen – nicht nur inhalt­lich, son­dern auch auf der Ebe­ne der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Doch genau hier schei­ter­te das Gespräch. Selen­skyj spricht von exi­sten­zi­el­ler Bedro­hung, Trump hin­ge­gen von einem »Deal«, den man aus­han­deln kön­ne. Die­se Unver­ein­bar­keit macht eine fried­li­che Lösung wenig wahrscheinlich.

Das Deba­kel im Wei­ßen Haus ist nicht nur eine ver­pass­te Gele­gen­heit für Frie­dens­ge­sprä­che, son­dern auch ein Prä­ze­denz­fall für die Ver­schlech­te­rung der inter­na­tio­na­len Diplo­ma­tie. In der moder­nen Geo­po­li­tik geht es längst nicht mehr nur um mili­tä­ri­sche Stär­ke oder wirt­schaft­li­che Macht, son­dern zuneh­mend auch um die Art und Wei­se, wie kom­mu­ni­ziert wird.

Wenn grund­le­gen­de Gesprächs­re­geln nicht mehr ein­ge­hal­ten wer­den, wenn Respekt­lo­sig­keit und Ego­trips die Ober­hand gewin­nen, dann wird der Dia­log unmög­lich. Trump demon­strier­te dies durch sei­ne Her­an­ge­hens­wei­se an Selen­skyj: Er setz­te ihn öffent­lich unter Druck, ver­lang­te Dank­bar­keit und droh­te indi­rekt mit dem Ent­zug der Unter­stüt­zung. Selen­skyj wie­der­um ver­stärk­te den Kon­flikt, indem er Trump fron­tal angriff und ihm unter­schwel­lig Nai­vi­tät unter­stell­te. Die­se Form der Kon­fron­ta­ti­on führt nicht zu einer Dees­ka­la­ti­on, son­dern zu einer noch grö­ße­ren Ver­här­tung der Fronten.

Aus frie­dens­po­li­ti­scher Sicht ist das eigent­li­che Pro­blem die­ser Eska­la­ti­on nicht die per­sön­li­che Feind­schaft zwi­schen Trump und Selen­skyj, son­dern die grund­le­gen­de Unfä­hig­keit, eine kon­struk­ti­ve diplo­ma­ti­sche Spra­che zu fin­den. Gera­de in Zei­ten glo­ba­ler Unsi­cher­hei­ten ist es essen­zi­ell, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le offen­zu­hal­ten und Streit­ge­sprä­che nicht als per­sön­li­che Krie­ge zu führen.

Für eine ech­te Dees­ka­la­ti­on wäre es erfor­der­lich gewe­sen, eine gemein­sa­me Basis zu schaf­fen, die bei­de Sei­ten nicht als voll­stän­di­ge Nie­der­la­ge wahr­neh­men. Trump hät­te das Gespräch so len­ken müs­sen, dass Selen­skyj sich nicht als blo­ßer Emp­fän­ger von For­de­run­gen, son­dern als gleich­wer­ti­ger Part­ner auf Augen­hö­he fühlt. Eben­so hät­te Selen­skyj sein diplo­ma­ti­sches Geschick ein­set­zen müs­sen, um sei­ne Sicher­heits­be­den­ken nicht als kate­go­ri­sche Bedin­gung, son­dern als ver­han­del­ba­re Posi­ti­on zu prä­sen­tie­ren. Erst wenn bei­de Sei­ten ein Min­dest­maß an Ver­trau­en und Gemein­sam­keit fin­den, kann ein Dia­log pro­duk­tiv werden.

Ein wei­te­res zen­tra­les Ele­ment wäre eine fle­xi­ble Anpas­sung der Nar­ra­ti­ve gewe­sen. Trumps Vor­stel­lung eines »Deals« kol­li­diert mit Selen­sky­js Sicher­heits­be­dürf­nis – doch die­se bei­den Per­spek­ti­ven müs­sen nicht unver­ein­bar sein. Eine diplo­ma­ti­sche Annä­he­rung hät­te eine Lösung in der Mit­te ermög­li­chen kön­nen: ein Abkom­men, das sowohl kon­kre­te Sicher­heits­ga­ran­tien als auch eine rea­li­sti­sche Exit-Stra­te­gie für die Kriegs­par­tei­en beinhaltet.

Zudem hät­te der gesam­te Gesprächs­rah­men anders gestal­tet wer­den müs­sen. Diplo­ma­ti­sche Ver­hand­lun­gen, ins­be­son­de­re in so heik­len Fra­gen, soll­ten nicht vor lau­fen­den Kame­ras und einer war­ten­den Pres­se geführt wer­den. Öffent­li­che Eska­la­tio­nen zer­stö­ren Ver­hand­lungs­spiel­räu­me, da sich die Betei­lig­ten gezwun­gen füh­len, sich vor ihrem jewei­li­gen Publi­kum zu pro­fi­lie­ren. Eine dis­kre­te Gesprächs­at­mo­sphä­re ohne media­len Druck hät­te eine offe­ne­re Dis­kus­si­on und Kom­pro­miss­be­reit­schaft gefördert.

Schließ­lich wäre ein selbst­kri­ti­scher Blick auf die eige­nen Posi­tio­nen not­wen­dig gewe­sen. Die star­re Hal­tung bei­der Sei­ten zeugt von einer feh­len­den Refle­xi­on über die eige­nen Gren­zen und Mög­lich­kei­ten. Eine prag­ma­ti­sche Betrach­tung der real­po­li­ti­schen Lage hät­te bei­den Betei­lig­ten ver­deut­li­chen kön­nen, dass Kom­pro­mis­se kein Zei­chen von Schwä­che, son­dern eine Vor­aus­set­zung für Frie­den sind. Doch die­ser Wil­le zur Selbst­re­fle­xi­on fehl­te – und so wur­de aus einem poten­zi­el­len Frie­dens­ge­spräch eine wei­te­re Eska­la­ti­ons­stu­fe in einem bereits fest­ge­fah­re­nen Konflikt.

Das geschei­ter­te Gespräch zwi­schen Trump und Selen­skyj ist mehr als ein diplo­ma­ti­scher Eklat – es ist ein Sym­bol für die gefähr­li­che Ero­si­on der inter­na­tio­na­len Kom­mu­ni­ka­ti­on. In einer Welt, die ohne­hin von Kon­flik­ten, Miss­trau­en und poli­ti­scher Pola­ri­sie­rung geprägt ist, führt eine sol­che Eska­la­ti­on zu noch mehr Unsi­cher­heit. Wenn füh­ren­de Poli­ti­ker sich nicht mehr an grund­le­gen­de Gesprächs­re­geln hal­ten, wenn Respekt und Empa­thie durch Ego­is­mus und Kon­fron­ta­ti­on ersetzt wer­den, dann gibt es kei­nen Frie­den – weder auf dem Papier noch in der Realität.

Die Fra­ge ist daher nicht, ob Trump oder Selen­skyj »recht« hat­ten, son­dern die größ­te Leh­re aus die­sem Vor­fall soll­te die Erkennt­nis sein, dass der Frie­den nicht auf dem Schlacht­feld ent­schie­den wird, son­dern am Ver­hand­lungs­tisch – und in der Art, wie gespro­chen wird. Wer nicht spricht, kann nicht ver­han­deln. Und wer nicht ver­han­deln kann, wird ewig im Krieg gefan­gen bleiben.