… so der Titel eines Erinnerungsbuchs voller lebendiger Geschichten aus vielen Arbeitskämpfen seit 1979, die Jürgen Hinzer, der mutige, streitbare Gewerkschaftssekretär der NGG in Frankfurt, vierzig Jahre lang und noch bis heute unermüdlich geführt hat. Die schon 140 Jahre alte, aber relativ kleine Gewerkschaft der Nahrungs-, Genuss- und Gaststättenbranche operierte deutschlandweit in einst überwiegend kleinen und mittelständischen Betrieben, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend unter den Druck der multinationalen Konzerne gerieten: von Brauereien und Molkereien, Backwarenbetrieben, Hotellerie, Catering-Firmen und Autobahn-Raststätten bis zu Coca-Cola-Fabriken. Heute agiert sie auch in den neuen Bereichen der Rider und Driver von Lieferdiensten oder bei den Beschäftigten der Schlachthäuser.
Der 1948 in einem Flüchtlingslager geborene Hinzer wuchs im Aachener Kohlerevier auf und machte schon als 14-Jähriger eine Maurerlehre, lernte dann in der Bundesjugendschule des DGB, von den 68ern um Wolfgang Abendroth und von Jakob Moneta. 1976 schloss er ein Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg erfolgreich ab. Er verfügt also über viele Fähigkeiten und Talente – vor allem versteht er es, mit Empathie auf andere Menschen zuzugehen. Und so wurde er als Streikbeauftragter an viele Orte gerufen und organisierte insgesamt 153 Arbeitskämpfe – ein Rekord!
Nicht selten musste er vor Ort erst für die Einrichtung gewerkschaftlicher Vertretungen sorgen, um dann zusammen mit den Beschäftigten Tarifverhandlungen für kürzere Arbeitszeiten und bessere Löhne unterstützen zu können. Nicht immer mit langfristigem Erfolg, aber meist mit der Schaffung eines Bewusstseins bei denjenigen, die für ihre Rechte gekämpft und miteinander Solidarität praktiziert hatten.
Berichte aus der Welt der Arbeit sind ja absolut unterrepräsentiert nicht nur in der bundesdeutschen Literatur – wenn man von den Ansätzen der 60er und 70er Jahre absieht –, sie kommen auch in der Allgemeinkultur eigentlich nicht vor. So ist es allein schon interessant, durch die 224 Seiten dieses mit vielen Fotos reich dokumentierten Materials zu blättern, das Claus-Jürgen Göpfert, langjähriger Redakteur der Frankfurter Rundschau, fachmännisch zusammengetragen hat und damit in dreißig Kapiteln kurze Einblicke gibt in den Alltag von Millionen Menschen.
Da ist z. B. ein Bericht über den ersten Solidaritätsstreik für die 35-Stunden-Woche, der Anfang der 80er Jahre auch bei der Nestlé-Tochter Eurest am Frankfurter Flughafen von Jürgen Hinzer und Manfred Marasek als erster Warnstreik initiiert wurde. Bei dieser zu den größten Caterern Europas zählenden Firma gab es bis dahin keinen Betriebsrat, und sie beschäftigte entsprechend viele Migranten als sogenannte Niedriglöhner. Dort griffen die beiden Gewerkschafter ein und klärten die Ausländer über ihre Rechte auf. Der DGB hatte bereits bundesweit die Losung für die 35-Stunden-Woche ausgegeben, und 1984 gelang mit dem Erreichen von 38,5 Std. endlich der Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung, zunächst in der Metall- und Druckindustrie.
Seitdem sind vier Jahrzehnte vergangen und der Anspruch, dieses Ziel auch in anderen Bereichen endlich durchzusetzen, ist wohl nicht verfrüht. Das wird derzeit von den Einzelgewerkschaften der Lokführer der Deutschen Bahn, im Luftverkehr und im öffentlichen Bereich auch versucht, wo Arbeitsniederlegungen die Allgemeinheit stärker tangieren als einzelne Fabrikkämpfe. Doch macht der Blick zurück auch deutlich, wie stark sich die Arbeits- und Kampfbedingungen verändert haben – Krise und Inflation stellen die Ideologie der Sozialpartnerschaft zunehmend in Frage, und der sogenannte Fachkräftemangel stärkt den Belegschaften den Rücken. Bei vielen ausstehenden Tarifabschlüssen sind aber neue Arbeitskämpfe angesagt, vorhersehbare Veränderungen in der Produktion schaffen Ängste, und oft nimmt die Vereinzelung zu.
Gerade die Gefahr des Abbaus von Produktionsstandorten stellte und stellt zunehmend eine Herausforderung für die davon Betroffenen dar, in einer globalisierten Arbeitswelt mit wachsender Rationalisierung und Prekarisierung. In solchen Situationen waren und sind die Arbeitskämpfe durchaus nicht immer erfolgreich, aber Hinzer konnte die Menschen motivieren, ihre Rechte zu erkennen und nicht zu resignieren, sondern aktiv zu werden. Er hat über Jahrzehnte gerade in der Provinz, wo die Verhältnisse oft patriarchalisch zementiert schienen, vieles verändert und gilt als ein wirklicher Pionier der bundesdeutschen Arbeiterbewegung.
Jürgen Hinzer ließ es sich auch nicht nehmen, sogar bei Urlaubsreisen ins Ausland Kontakt zu dortigen Arbeitskämpfen aufzunehmen und beratend einzugreifen. Auf diese Weise praktizierte er seinen »Internationalismus konkret«, so 2005 in Südfrankreich, als er mit Düsseldorfern Gate Gourmet-Streikenden aus der NGG über Nacht anreiste, um die französischen Kollegen in einer von Schließung bedrohten Nestlé-Tochter zu unterstützen. In Deutschland wurde der Streik der Düsseldorfer Gate-Gourmet-Beschäftigten gegen ihren US-amerikanischen Arbeitgeber, den Investmentfonds Texas Pacific Group, mit sechs Monaten Dauer zum längsten der NGG-Geschichte und fand viel prominente Unterstützung, vom DGB-Vorsitzenden Michael Sommer über Oskar Lafontaine bis zum späteren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche der BRD, Nikolaus Schneider. Der warnte damals vor dem wachsenden Einfluss multinationaler Konzerne und der damit einhergehenden Gefährdung demokratischer Strukturen.
Horst Schmitthenner, langjähriger Vorsitzender der IG-Metall, erwähnte in einem Interview, das Göpfert 2023 mit ihm führte, wie er Hinzer in den frühen 90er Jahren – bei der Kampagne »Fünf vor zwölf« – kennengelernt hatte, die gegen den drohenden Sozialabbau als Folge der deutschen Einheit protestierte. Und er unterstützte Hinzer immer wieder vielerorts mit wichtigen Solidaritätsadressen der IG-Metall, so auch bei dem Streik in der Dorint-Hotellerie in Wiesbaden während der zweitägigen Tagung der Nato-Verteidigungsminister der EU (Ende Februar 2007), als Hinzer medienwirksam erklärte, dann müssten »die Kriegsminister ihre Betten halt selbst machen«. Er ließ die Streikenden mit lauten internationalen Solidaritätsliedern durch die Innenstadt ziehen. Ob sowas nicht auch Ärger provoziert habe innerhalb der IG-Metall? Ja auch, so Schmitthenner, aber: »Einer muss auf den Tisch hauen im Sinne einer klaren kapitalismuskritischen Position.« Eine solche hat Hinzer immer wieder Kraft und mehrheitlich Zuspruch verliehen. Denn in den Zeiten des internationalen Turbo-Kapitalismus bleibt der Kampf gegen die Verhältnisse aktuell und wichtiger denn je. »Streiks sind keine Folklore aus vergangenen Zeiten, auch keine einfachen Demonstrationen, denn sie zeigen ganz praktisch, wer die eigentliche Arbeit macht«, schreibt Freddy Adjan im Vorwort des Buches, ihre Organisierung erfordere viel Arbeit, denn »Streiks fallen nicht vom Himmel«, wie Jürgen Hinzer es ausdrückt. Nicht der Erfolg vor den Schranken des Arbeitsgerichts sei entscheidend, sondern der »wirksame Streik in den Betrieben«, sagt er, »nur der übe wirklichen Druck aus, der am Ende auch zum Erfolg führe. Und bei Aktionen müssen die Gewerkschafter vorangehen und ein positives Beispiel geben. Sie müssen die ersten sein, die sich vors Tor der Fabrik setzen, um den Lastwagen den Weg zu versperren.« Und Hinzer ist – mit vielen Mitstreitern – noch immer mittendrin.
Claus-Jürgen Göpfert, Andrea Wenzek: »Wer nicht hören will, wird bestreikt!« Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979, VSA, Hamburg 2023, 224 S., 16,80 €. Nächste Lesungen mit Diskussion in: Leipzig, 23. März, Volkshaus, 17 Uhr; Zwickau, 27. März 2024, DGB-Haus, 18 Uhr; Wiesbaden, 9.April 2024, Georg-Buch-Haus, 18.30 Uhr; Aachen, 25. April, VHS, 19 Uhr.