Ich weiß überhaupt nicht, warum in diesem Land, der Bundesrepublik Deutschland, dem freiesten Land der Welt, so viel gemeckert wird. Es mag an uns Deutschen liegen, denn ein wirklicher Grund liegt nicht vor. Zumindest nicht, was die Steuern betrifft. Und es geht auch nicht um Steuerhinterziehung, die natürlich auch reichlich stattfindet, aber verboten ist. Wir müssen nicht auf die Cayman-Inseln, nach Monaco, Luxemburg, Irland oder den US-Staat Delaware ausweichen, wie es alle Konzerne oder die Reicheren tun. Nein, das Geld liegt auch bei uns auf der Straße, sozusagen vor unseren Türen. Wir müssen auch nicht unbedingt wohlhabend sein; für die dicken Sachen schon, aber normalerweise müssen wir uns nur ein wenig sachkundig machen und notfalls einen Steuerberater oder eine Steuerberaterin einschalten – die holen mehr heraus als sie kosten. Manche Leute müssten überhaupt, z. B. als Rentner oder Rentnerin, einfach nur eine Steuererklärung abgeben – das brächte wegen der Freibeträge schon Geld ein.
Natürlich reicht das für die »dicken Sachen«, für höhere Summen, nicht. Und so kommen wir auf das eigentliche Thema: auf die Bereicherung durch die reiche Oberschicht zu sprechen. Mensch muss nämlich etwas haben, etwas besitzen, Eigentümer sein, dann lässt sich – legal – eine Menge machen. Es reicht schon eine kleine Eigentumswohnung, sie muss allerdings vermietet sein und Einkommen bringen, generieren, wie es heute so schön heißt. Die Einkünfte müssen versteuert werden, klar, aber als Eigentümer hat man auch Kosten, beim Kauf, durch Reparaturen usw. Das alles kann man »absetzen«. »Lohnsteuerjahresausgleich« – dass ich nicht lache. Einer der vielen Euphemismen, die das Steuerrecht für die Dummen parat hält. Beschönigung, Verbrämung sagt wikipedia dazu. Ohne Eigentum und Einkommensteuer gibt es da nicht viel zu holen. Die ärmeren Schichten der Bevölkerung zahlen das alles zum größten Teil über die Verbrauchsteuern, die für alle gleich hoch sind, aber längst nicht alle gleich treffen: u. a. die Mineralölsteuer (Diesel und Benzin), die Tabaksteuer, die Umsatzsteuer. Was für den einen Peanuts sind, wird für manch anderen einfach zu teuer. Wobei ein Großteil der Bevölkerung für sein Einkommen einer möglichst geregelten Arbeit nachgehen muss, während Leute mit hohem Einkommen oder Erbschaften ihr nicht direkt benötigtes Geld lukrativ anlegen können. Wo es sich ohne eigene Anstrengung vermehrt. Auch Vorstandsvorsitzende oder Politiker verdienen einen großen Teil oder den Hauptteil ihres Einkommens nicht mit Arbeit, sondern mit Geldanlagen. Sie streichen die Dividenden und Zinsen ein, für die andere arbeiten müssen. Und während die Presse Jubelarien über DAX-Konzerne und über die Gewinne von Konzernen loslässt, hören wir im Radio Forderungen von CDU-Politikern nach Kürzungen des Bürgergeldes.
Ich will hier nicht ins Einzelne gehen, das tut ein Buch, mit dem sich der Autor eine Menge Arbeit gemacht hat, indem er akribisch die Möglichkeiten der Steuerersparnis oder (legalen) Steuervermeidung aufzählt. Wer das Buch durchliest, wird sich mit Recht die Frage stellen, wer hat eigentlich die Steuergesetze gemacht und für wen. Die Antwort wird klar: Die Nutznießer selbst haben – direkt oder über Lobbygruppen und -vereine – starken Einfluss auf die Gesetzgebung genommen. Selbst bei Erstattungen sind die »Reichen« dank ihrer höheren Steuersätze besser dran: Sie bekommen dann ja auch höhere Summen wieder zurück. Der Spitzensteuersatz beträgt zurzeit 42 Prozent, die Vermögensteuer wurde vor Jahren abgeschafft. Wer macht hier die Steuergesetze? Außerdem: Jemand, der so viel verdient bzw. bekommt, dass er 42 Prozent Einkommensteuer zahlen müsste, hat so viel Geld für Geldanlagen übrig, dass er blöd wäre, wenn er nichts unternehmen würde, um in der Steuer herunterzukommen. Einem Gerücht nach sollen die einzigen, die den höchsten Steuersatz zahlen, reiche Witwen sein, die keine Ahnung haben oder denen es, weil sie genug Geld haben, egal ist.
Ich will kurz einige Möglichkeiten des Steuersparens aufführen, die genauen Anleitungen dazu – das ist ja nicht verboten – erläutert das Buch, dessen Kosten natürlich von der Steuer abgesetzt werden können.
Es gibt Grundfreibeträge, die längst nicht allen bekannt oder bewusst sind. Vorsorgeaufwendungen können abgesetzt werden (das erkennt man sogar am Steuervordruck). Ach ja, wir sollen ja keine Papiervordrucke mehr gebrauchen, sondern das Elsterportal der Finanzämter nutzen. Das ist kompliziert und Sie haben Angst davor? Richtig, das müssen Sie natürlich den Steuerberater machen lassen, meinen Sie, einer oder eine der Reichen, Höher- oder Hochverdienenden (mit dem Begriff »verdienen« habe ich meine Schwierigkeiten) würde das selbst machen?
Es folgen außergewöhnliche Belastungen. Die haben Sie nicht? Fragen Sie Ihren Steuerberater, der wird Ihnen etwas anderes erzählen. Und haben Sie keine Angst vor fehlerhaften Angaben – die Finanzämter können gar nicht alles überprüfen, dazu haben sie viel zu wenig Personal. Warum nur?
In letzter Zeit wurde viel über das »Dienstwagenprivileg« diskutiert, vor allem seit die SPD und die Grünen an der Regierung beteiligt sind. Mit diesem Privileg, das steuerfinanziert sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer begünstigt, wird manches Gehalt aufgebessert auf Kosten der Allgemeinheit. Es wurde aber bisher nicht abgeschafft, wer hat da wohl seine Hände (sprich: Interessen) im Spiel? Bei der Gelegenheit möchte ich auf einen weiteren Euphemismus hinweisen, mit dem sich schon Karl Marx beschäftigt hat: Wer nimmt die Arbeit und wer gibt sie? Ist es nicht genau andersherum als wir die Begriffe nutzen? Anscheinend ist unsere geballte Regierungsmacht – ähnlich wie bei der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen – nicht in der Lage, Änderungen zu beschließen. Woran liegt das wohl? Manche scharfen Kritiker fragen: Wer regiert in unserem Land eigentlich wirklich?
Selbständige und Gewerbetreibende haben aufgrund ihrer Tätigkeiten weitere Möglichkeiten, auf die Höhe ihrer Steuerzahlungen Einfluss zu nehmen, die Normalverdiener nicht haben. Das beginnt mit der Anrechnung von Teilen der privaten Wohnung als »Arbeitsraum«, von Nutzung des oder der privaten PKWs als Firmenfahrzeuge oder der Aufteilung allgemeiner Materialkosten. Natürlich lassen die das normalerweise durch ihren Steuerberater erledigen. Dessen Kosten selbstredend auch von der Steuer abgesetzt werden können.
Ein wichtiger und umfangreicher Bereich sind Immobilien. Hier fängt es bereits mit der erwähnten kleinen, vermieteten Eigentumswohnung an und geht mit Häusern, auch Villen, Häuserblöcken und Gewerbeimmobilien weiter. Natürlich betrifft das nicht Otto und Ottilie Normalverbraucher/in, sondern sie trifft es: Diese zahlen zusammen mit der Unterschicht für die entstehenden Steuerlöcher. Es gibt riesige Immobilienkonzerne, die auch international arbeiten. Auch das »Geschäftskonzept«“ des Herrn Benko aus Österreich sah nie vor, dass der Herr Oberhemden verkauft. Ihm ging es nur um die Immobilien. Nicht die Steuergesetzgebung oder gar die Steuerverwaltung haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern eine unvorhersehbare wirtschaftliche Entwicklung. Oder sollte man sagen »vorhersehbar« – und der Herr und seine Leute und viele Politiker waren nur zu dumm oder zu größenwahnsinnig? Im Kapitalismus muss man eigentlich immer mit solchen Entwicklungen rechnen.
Bei Einkünften aus Kapitalvermögen sind die Möglichkeiten schon im eigenen Land fast grenzenlos, ganz abgesehen von den Möglichkeiten im Ausland. Mit Kapitalvermögen sind allerdings nicht die Sparkonten und andere einfache Regelungen für Kleinsparer gemeint. Nach Schätzungen der Deutschen Bundesbank hatten die Deutschen im Jahr 2000 ca. 2.000 Milliarden Euro im Ausland angelegt. Ob es sich um versteuertes Geld, hinterzogene Steuern oder Erbschaften handelt, ist nicht bekannt, denn da wirkt das Steuergeheimnis. Manche Finanzminister, die diese Probleme kennen, sagen: lieber 25 Prozent von X als null Prozent von Nix. Und so erfanden sie die Abgeltungssteuer, bei der es oft bleibt. Droht man als Steuerhinterzieher erwischt zu werden, kann man sich noch schnell vorher per Selbstanzeige melden. Dann muss man zwar Steuern nachzahlen, wird aber nicht bestraft.
Manche Steuerbetrügereien fallen auf, z. B. die Cum-cum und Cum-Ex-Aktiengeschäfte oder der Wirecard-Skandal. Die Verwicklungen unseres derzeitigen Bundeskanzlers in die Aktienbetrügereien im Zusammenhang mit der beteiligten Bank sind noch nicht aufgeklärt. Das verwundert eigentlich nicht, man sollte ihn freisprechen, denn er ist Kanzler in einem – wie ich es persönlich gern formuliere – Betrugs- und Verschwendungssystem. Obwohl sicher etliche Betriebswirtschaftsexperten und -expertinnen einwenden mögen, vieles sei doch legal, zum Beispiel dass Großkonzerne wie Starbucks oder Amazon ihre Gewinne in irgendeiner Südsee-Oase versteuern, indem sie ihren offiziellen Firmen- und Steuersitz dorthin verlegt haben,
Wir halten fest: Es gibt eine Menge Möglichkeiten, Steuern zu sparen oder zu vermeiden. Nur nicht für alle und schon gar nicht für alle gleich. Wer hat schon sein kleines Flugzeug auf dem Flugplatz Essen-Mülheim stehen, um damit steuerfrei nach Berlin zu fliegen? Eine Bürgerinitiative kämpft schon lange gegen diesen Flugplatz, allerdings nicht wegen der Steuern, sondern wegen der Lärm- und Abgasbelastung. Auch diese Belastungen treffen den größten Teil der Bevölkerung ebenso wie die Steuerbelastung – zugunsten der reicheren oberen Bevölkerungsschicht.
Die Gering- und Normalverdiener zahlen um die 42 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Da die obere Klasse wirtschaftlich und politisch sehr stark und die Mehrheit der Bevölkerung zwar schimpft, aber sonst gleichgültig und inaktiv ist, wird sich daran wohl vorerst nicht viel ändern. Noch nicht einmal das Tempolimit kommt durch, obwohl es der Natur und unseren Lungen guttun würde.
Begriffe wie Steuergerechtigkeit oder der Gleichheitsgrundsatz, wie sie in unseren Gesetzen vorkommen, schweben in der Wirklichkeit am fernen Horizont. Sie, die Gerechtigkeit, ist in diesem Bereich nicht erwünscht bzw. passt nicht ins System. Dass manche immer noch meinen, jeder, der will, der kann, ist reiner Kinderglaube. Wer hat, dem wird gegeben – oder wie der Volksmund das mit dem Teufel und dem größten Haufen ausdrückt.
Franz Kohout: Austeilende Ungerechtigkeit. Wie die Wohlhabenden sich am Steuerstaat bereichern, edition fatal, 2023, 24 €.