Neben guten Wünschen zur Wahl als Bundeskanzler und mit allem Respekt vor der Person Olaf Scholz und seinem neuen Staatsamt sehe ich von der nun amtierenden Regierung, die mit großer Ausstrahlung über deutsche und europäische Grenzen hinauswirkt, ernstzunehmende Gefahren ausgehen. Laut Grundgesetz bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der deutschen Politik, auch der Außenpolitik, der ja nun, dank koalitionsinterner Abreden um repräsentative Regierungsämter für die Vorsitzenden der Koalitionspartner FDP und Die Grünen, Frau Annalena Baerbock vorsteht. Nun spricht nichts gegen eine junge Frau in solcher Position, wenn sie das Amt repräsentiert, nicht ihre Person. Wie aber ist es um ihre allgemeinen politischen Voraussetzungen bestellt, um einen international angesehenen und einflussreichen Staat wie die BRD vertreten zu können? Nach bisherigen öffentlichen Erklärungen von Frau Baerbock habe nicht nur ich erhebliche Zweifel an ihrer Kompetenz. Vorschnelle Äußerungen und forsche Auftritte einer Vierzigjährigen sind nicht unbedingt Zeichen mehr für jugendlichen Elan, sondern scheinen unzureichende Kenntnisse in der Sache zu übertünchen.
Die Sache, um die es gegenwärtig vorrangig geht, sind die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sowie zur Volksrepublik China. Antirussische und antichinesische Ausfälle der Außenministerin führen die Ankündigung der »Ampelkoalition« auf eine neue Außenpolitik ad absurdum, wenn Frau Baerbock in peinlichen Interviews über Russland im Vokabular des Kalten Krieges spricht. Das macht Angst.
Nun gut, über deutsch-russische bzw. deutsch-sowjetische Beziehungen kann sie nicht mehr Kenntnisse haben, als ihr in der Schule vermittelt worden sind. Bei der Eingliederung der DDR in die Alt-BRD 1990 war sie etwa zehn Jahre alt und ging noch in die Grundschule. Was damals über die DDR, die Sowjetunion und internationale Politik verbreitet wurde, wird heute, zum Teil wenigstens, differenzierter gesehen. Gegen Russland werden seit über einhundert Jahren verbissen alte Unterstellungen beibehalten.
Dem heutigen Russland wird erneut unterstellt, es rüste zum Krieg gegen die Ukraine, und das müsste die Nato verhindern. Zur Erinnerung: Mit der freien Erfindung von 1946/47, Stalin würde bis zum Rhein vorstoßen, wurde 1948 die Nato gegründet. Die Sowjetunion und die Rote Armee waren am Kriegsende ausgeblutet. Ideen zur Weiterführung des Krieges konnten nur aus militanten Hirnen von Rüstungs- und Kriegsgewinnlern in den USA entspringen. Deutsche Militaristen und Faschisten wollten ihre militärische Niederlage durch »bolschewistische Untermenschen« nicht akzeptieren und hätten weiter Krieg gegen »die Russen« geführt, hätte man sie gelassen. Das antisowjetische Lügengebäude der Nazis wurde in der BRD weitgehend ungeniert übernommen. Adenauer sprach stets von der »Befreiung der Sowjetzone« und davon, dass die Kommunisten an allem Elend schuld wären. Der USA-Präsident nach dem Tode Roosevelts proklamierte seine »Truman-Doktrin«. Sie lautet in Kurzfassung: Russen raus aus Europa, USA rein nach Europa, Deutschland unter Kontrolle. In einer »geheimen Kanzlerakte« vom 21. Mai 1949 wurde die Medienhoheit der westlichen alliierten Sieger über das BRD-Pressewesen geregelt, außerdem wurden alle Bundeskanzler verpflichtet, diese Akte zu unterzeichnen. Deren Gültigkeit soll bis 2099 reichen. Willy Brandt hatte seine Unterschrift unter diesen »Unterwerfungsbrief« zunächst verweigert, aber ihn schließlich doch unterzeichnet (Egon Bahr: Mein Deutschland – http://www.zeit.de/2009/21/D-Souveraenitaet). Wird an dieser »Akte« noch immer festgehalten, dann sind Fragen zur Souveränität der Bundesrepublik sehr berechtigt. Für die USA stehen stets die eigenen Interessen im Vordergrund (siehe Nord Stream 2). Deutschland hat ab Januar 2022 den Vorsitz bei den G7-Staaten – dem »Politbüro« des Kapitalismus. Wessen Interessen wird Frau Baerbock da vertreten?
Nach Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Militärpaktes 1991 hatte die Nato keinen »Feind« mehr. Die Rüstungsindustrie wollte aber weiterhin Spitzengewinne erzielen, also suchte sie neue Feinde und führte Kriege gegen arabische Staaten wie Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien, in Afrika und Lateinamerika. Entgegen allen Vereinbarungen um 1990 steht die Nato heute an den Grenzen Russlands. Politische Hasardeure setzen zum Sprung nach den Bodenschätzen des größten Landes der Welt an. Junge westliche Heißsporne, die im Kriegshandwerk Männlichkeit demonstrieren und Helden werden wollen, sollten Kriegsgräber z. B. auf den Seelower Höhen östlich von Berlin besuchen, da liegen 17- bis 20-Jährige, mancher von denen wollte ein Held sein. Das deutsche Volk in Ost und West wollte nie wieder in Kriege verwickelt werden. Frau Baerbock will nach Pressemeldungen in Litauen eine Bundeswehrkaserne bauen – wozu?
Die deutsche Geschichte ist seit 1918 von Antibolschewismus, Antisowjetismus, Antikommunismus, Antisemitismus und jüngst einer lächerlichen, aber sehr gefährlichen militanten Russophobie durchsetzt.
Deutschland, genauer das deutsche Volk, hat gegenüber den Völkern des größten Staates der Erde eine historische Schuld abzutragen, die ihm die Regierungen des deutschen Kaisers, der Weimarer Republik, die faschistische Naziregierung und nicht zuletzt seit 1949 auch alle Bundesregierungen aufgebürdet haben. Der kaiserliche General Hoffmann hat im Frühjahr 1918 in den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk der Sowjetregierung einen Raubfrieden mit riesigen territorialen Verlusten aufgezwungen. Eine besondere Perfidie war, dass deutsche Truppen während der Friedensverhandlungen die Kriegshandlungen fortsetzten. Es folgte die Invasion von 16 kapitalistischen Staaten in Sowjetrussland, um die Sowjetregierung zu stürzen. Dieser provozierte und geschürte Bürgerkrieg endete 1922 mit dem Sieg der Roten Armee über die Eindringlinge.
In Berlin entstand am 1. Dezember 1918 eine »Antibolschewistische Liga« und wurde zum Dachverband anderer »zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus« entstandener Organisationen. Was Hitlerdeutschland den Völkern der UdSSR angetan hat, muss ich nicht ausdrücklich benennen. Bevölkerung und Regierungen der DDR mögen mit »Deutsch-Sowjetischer Freundschaft« manches übertrieben oder geschönt haben, aber es war ehrlicher Wille der Mehrheit des Volkes, mit den Völkern Russlands und Europas nur noch im Frieden leben zu wollen. Auf einer Vortragsreise für die Deutsch-Sowjetische Freundschaftsgesellschaft (DSF) in der BRD 1955 erzählten mir ältere Arbeiter, dass sie im Krieg in sowjetischen Fabriken »Rote Ecken« vorgefunden hätten, in denen Maschinen aus Deutschland standen, die die Sowjetregierung in der Krise 1929 aus Deutschland eingekauft hatte und die zum Grundstock für ihren eigenen wirtschaftlichen Aufbau wurden. Tausende deutsche Arbeiter wurden in dieser Krise vor der Arbeitslosigkeit bewahrt, berichteten einige. Die Westmächte hatten damals eine Embargopolitik gegen Sowjetrussland beschlossen.
Alles das will Frau Baerbock in »neuer« Qualität fortsetzen? Historische Fakten sind Handwerkszeug der Außenpolitik. Unlängst haben sich amerikanische Generale und ehemalige US-Außenpolitiker an Präsident Biden mit der Aufforderung gewandt, keine Zuspitzung des Verhältnisses zwischen den USA und Russland sowie China zuzulassen. Wer heute für deutsche Außenpolitik zuständig ist, der muss erkennen wollen, dass die USA die deutsche Bundesrepublik als Hegemon der EU ansehen und darum ausgewählt haben, mit Hilfe der Nato-Keule den Einfluss Russlands aus Europa weiter hinauszudrängen – Truman-Doktrin für 2022 neu aufgelegt. Eine solche Politik widerspricht deutschen und europäischen Interessen. Die USA kümmern sich primär darum, den Einfluss der VR China in Asien einzudämmen. Deutschland rückt damit in eine vordere Position um die politischen Vormachtkämpfe in der kapitalistischen Welt. Mit einer solchen »Arbeitsteilung« wird die BRD zum Komplizen von USA-Aggressionen. Wie mag dieses Komplott wohl ausgehen? Ein Leben immer am Rande eines militärischen Infernos? Die Bundesregierung sollte unser Volk fragen, ob es eine solche Rolle für Deutschland haben will.