Obwohl Diether Dehm dem linken und der bayerische CSU-Mann Peter Gauweiler dem rechten politischen Lager angehört, sind sie befreundet. Ein tieferer Grund mag darin liegen, dass beide den im Politikbetrieb herrschenden Zynismus verabscheuen und mit offenem Visier jede Kriegspolitik ablehnen. Weil sie öfter mal aus der Reihe tanzen, gelten solche Politiker in ihren eigenen Parteien oft als ebenso gefährlich wie bei ihren Gegnern. Austragungsorte der daraus erwachsenden Kämpfe sind auch die Medien, die sich einen delikaten Sport nicht nur daraus machen, das Verhalten solcher Dissidenten zu skandalisieren, sondern auch eigene Intrigen spinnen. Sowohl Dehm als auch Gauweiler haben trotz etlicher Tiefschläge nicht aufgegeben. »Wer den Pranger überlebt, lebt besser als manche, die ihn angekettet haben«, schrieb Gauweiler Dehm ins Vorwort seines autobiographischen Buches über die zahlreichen, seine politische Laufbahn säumenden Skandale. Es bietet tiefe Einblicke vor allem in die Spaltungen des breit gefächerten politischen Lagers, das sich als links bezeichnet.
Das wichtigste Überlebenselixier am Pranger ist bekanntlich Humor, über den Dehm reichlich verfügt. Als eloquentes und witziges politisches Talent von den 68ern und SPD-nahen Jugendorganisationen sowie den Gewerkschaften entdeckt, wurde er schon damals auch schärfstens bekämpft, weil er eher mit Kommunisten als mit Trotzkisten und rechten SPDlern zusammenarbeitete. Auch aus seiner Zugehörigkeit zur Stamokap-Gruppe erwuchs ihm Feindschaft. Bei mangelndem Antikommunismus und scharfen Angriffen auf die an Naziverbrechen mitschuldige Deutsche Bank hörte und hört in der BRD jeder Spaß auf.
Spaß verschaffte sich Dehm aber stets auch selbst mit seiner zweiten, künstlerischen Identität. Er trat als Imitator von Politikern auf, schrieb für renommierte Satiriker Fernsehsendungen, dichtete berühmte Schlager wie »Tausendmal berührt«. Von ihm stammt der Text der alten SPD-Hymne »Das weiche Wasser bricht den Stein« und von »Aufsteh´n« für die Bots. Darüber hinaus hat er etliche, zeitweilig politisch engagierte Größen des Kulturbetriebs gemanagt, darunter Klaus Lage, Katja Ebstein, Katarina Witt, Anne Haigis, die Bots und Wolf Biermann.
Dehm legt an etlichen Beispielen dar, wie es zum seltsamen Zusammenwirken zwischen rechten Politikern, der Presse bis hin zur – ehemals als links geltenden – Frankfurter Rundschau und Mitstreitern an der vermeintlich noch gemeinsamen linken Front kam. Eine Episode betrifft das 1980 von ihm gemanagte zweite »Rock gegen Rechts«-Festival. Es kam zu einer regelrechten Bühnenschlacht, weil Daniel Cohn-Bendit verhindern wollte, dass Peter Gingold, KZ-Überlebender und DKP-Mitglied, eine Ansprache hielt, um stattdessen Appelle von Hausbesetzern durchzusetzen.
Als Dehm 1990 als Bundestagskandidat der SPD in Frankfurt am Main nominiert war, erschien im US-Magazin Forbes eine kurze Meldung, er werde demnächst als Ost-Spion enttarnt. Obwohl kein schlüssiger Beweis vorlag, führte das nicht nur dazu, dass die CDU-Gegenkandidatin Erika Steinbach, die spätere Bundesvorsitzende der Vertriebenen, ihn aufforderte, die Kandidatur niederzulegen, sondern auch Teile der eigenen Partei. Versorgt mit Leihstimmen der Grünen – wohinter laut Dehm eine Intrige Joschka Fischers stand – gewann Steinbach den Wahlkreis. Die Stasi-Legende wurde 1996 reloaded, nachdem Biermann etliche Jahre nach dem legendären, von Dehm 1976 gemanagten Konzert in Dortmund, öffentlich erklärte, Dehm habe nach seiner Ausbürgerung der Stasi Informationen über seine, Biermanns Aktivitäten in der Bundesrepublik, zugespielt. Dass es neben zweifelhaft zusammengestoppelten angeblichen Beweisen aus der Gauck-Behörde dort eine zweifelsfreie, im Jahr 1978 beginnende Opferakte gab, weil Dehm im Namen westdeutscher Künstler dem Staatsrats- und SED-Politbüromitglied Kurt Hager eine Protestnote gegen Biermanns Ausbürgerung übergeben hatte und seitdem in der DDR zur Fahndung ausgeschrieben war, interessierte die einzig am Rufmord interessierte Presse nicht. Unbeachtet blieb auch, dass das von drei Frankfurter Ortsvereinen der SPD anberaumte Parteiausschlussverfahren wegen fehlender Beweise eingestellt wurde.
Als unter der Führung seines Genossen Gerhard Schröder, in dessen Umfeld es etliche engagierte Stamokaps gab, klar wurde, dass die SPD einen weiteren scharfen Rechtsdrall erhielt, trat Dehm 1998 zur PDS über, wo er mehrere Leitungsfunktionen innehatte. Noch immer sitzt er im Bundestag für die Linkspartei. Auch hier galt und gilt er vielen als unbequem, vor allem weil er Sahra Wagenknecht unterstützte. Auch hier hatte er Ausschlussverfahren durchzustehen, die er jedoch bis heute ebenfalls überstand.
Das Buch enthält viele Scans der unsäglichen Presseattacken gegen Dehm, weitere können auf der Website des Verlags bestaunt werden. Die Bild-Zeitung war sogar einem Roman der taz-Redakteurin Elke Schmitter gefolgt und hatte Dehm des Prostituiertenmords verdächtigt. Der Skandalumwitterte musste sich oft vor Gericht verantworten beziehungsweise Gerichte anrufen, um den gegen ihn in Gang gesetzten Kampagnen entgegenzutreten. Da gerichtskräftige Dementis nicht oder nur kleinlaut publik wurden, blieb von dem angeblichen Sündenregister im öffentlichen Bewusstsein einiges hängen. Damit muss Dehm leben. Richtig mögen ihn fast nur ähnliche Skandalnudeln wie Peter Gauweiler, die in der Lage sind, mit Angriffen, woher sie auch immer kommen, offensiv umzugehen.
Die Lektüre ist ebenso aufrüttelnd wie kurzweilig.
Diether Dehm: »Meine schönsten Skandale. Von Ruf- und anderen Morden«, Das Neue Berlin, 256 Seiten, 20 €