… – sagn’s, was g‘schieht dann mit mein‘m Hund?« 1968, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, sang der Wiener Kabarettist Georg Kreisler das Lied über Herrn Meier, der sich wegen eines möglichen Atomkrieges um seinen Hund sorgt. Seither sind 50 Jahre vergangen und der totgeglaubte Kalte Krieg ist wieder auferstanden. Die Sorge, dass der neue Kalte Krieg plötzlich heiß wird, ist so abwegig nicht. Es gibt die Supermacht USA, welche über ein gewaltiges militärisches Potential verfügt, aber gleichzeitig mit unvorstellbaren 21 Billionen Dollar verschuldet ist, wobei hier keinesfalls amerikanische »billions« gemeint sind, sondern die mit zwölf Nullen. Unter dem derzeitigen Präsidenten wird sich der Schuldenberg gewiss nicht verkleinern, weshalb man auf die verführerische Idee kommen könnte, das Schuldenproblem militärisch zu lösen – mit einem externen Amoklauf. Das Deutsche Reich hat übrigens im Zweiten Weltkrieg diese Lösung, anfangs mit Erfolg, ausprobiert.
Es gibt die Großmacht Russland, welche immer noch über ein beachtliches militärisches Potential verfügt, jedoch nicht mehr wie die Sowjetunion über das Glacis, jene strategischen Zwischenräume, die das eigene Land vom potentiellen Gegner trennt. Die Gebiete sind heute weitgehend unter der Dominanz der NATO. Wie bedrohlich Russland die Situation empfindet, zeigte sich, als absehbar wurde, dass die Krim zum NATO-Aufmarschgebiet werden würde.
Es gibt die aufsteigende Großmacht China, die in ihrer Geschichte besonders unter der Dominanz imperialer Mächte zu leiden hatte und daher sensibel auf das Hegemoniestreben anderer Nationen reagiert. Das Land ist daher bestrebt, sein Glacis vor allem im chinesischen Meer zu vergrößern und so einen potentiellen Gegner auf Distanz zu halten sowie militärtechnisch mit den anderen Großmächten Schritt zu halten.
Neben den drei genannten Mächten gibt es noch weitere Länder, die durch hohe Militärausgaben hervorstechen. Hierzu gehören die »kleinen« Atommächte England, Frankreich, Israel, Indien und Pakistan. Weltweit haben sich die Militärausgaben 2018 um 2,5 Prozent erhöht. Waffensysteme werden ständig modernisiert, selbst bisher ausgesparte Bereiche wie der Weltraum und die Tiefsee sollen militärisch genutzt werden. Es werden intelligente Drohnen und »smart bombs« entwickelt, die es ermöglichen sollen, den Gegner ohne eigene Verluste zu besiegen. Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, sollte sich über die Konsequenzen der Rüstungsspirale klar sein: Es hat längerfristig keinen Sinn, Waffen nicht oder nur in kleinen Kriegen auszuprobieren. Die steigenden Aktienkurse der Rüstungskonzerne beweisen, dass Carl von Ossietzkys Satz an Aktualität nichts verloren hat: »Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede.«
Dazu kommt das ungeheure Kernwaffenpotential der großen und kleinen Atommächte, die die Effizienz ihrer neuesten technischen Errungenschaften nur zu gerne unter realen Bedingungen in einem echten Krieg unter Beweis stellen würden.
Das Menetekel von Hiroshima ist weit weg. Die militärische Führung sieht vor allem die günstige Kosten-Nutzen-Rechnung der »Bombe«, schließlich braucht man zur Vernichtung eines ganzen Landstrichs heutzutage nur ein bis zwei Exemplare. Schon während des Koreakrieges forderte der US-Oberbefehlshaber McArthur 1951 den Einsatz von 34 Atombomben. Der damalige Präsident Truman besaß die Weisheit, die Bitte abzuschlagen. Auch während des Vietnamkrieges gab es hohe US-Militärs, die auf die atomare Karte setzen wollten.
Schon bei den ersten Versuchen in der Wüste von Nevada wurden die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung systematisch kleingeredet. Heute weiß man, dass der Einsatz von Atomwaffen nicht nur zu Genschäden bei Menschen, Tieren und Pflanzen führen würde, sondern auch eine Abkühlung der Erdatmosphäre um zwei bis sechs Grad zur Folge hätte. Selbst ein »kleiner« Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan, eine beängstigend aktuelle Möglichkeit, hätte weltweit erhebliche Klimaschäden zur Folge. Zudem bewegt sich der Planet ohnehin gerade auf eine Klimakatastrophe zu, die verharmlosend als »Wandel« bezeichnet wird.
Wenn man über die Auswirkungen von Kriegen spricht, kann man bestenfalls die vergangenen Schlachten betrachten. Der Zweite Weltkrieg, schrecklich genug mit seinen 70 Millionen Toten und Zerstörungen, ist gut dokumentiert. Der Dritte Weltkrieg wurde bis jetzt nur selten in einigen Filmen als Fiktion mehr oder weniger drastisch dargestellt. In den 70er Jahren sprach die NATO vom »Fulda-Gap«, einer von gegnerischen Panzern ausnutzbaren »Lücke« im Mittelgebirge bei Fulda, und plante, einen angenommenen Vormarsch der Roten Armee dort durch den Abwurf von 141 Atombomben zu stoppen. Inzwischen gibt es sicherlich andere Planspiele. Dass diese Mitteleuropa aussparen, ist zu bezweifeln. Vom alten Europa würde wohl nicht viel übrig bleiben, massive Zerstörungen, durch Radioaktivität verursachte Opfer sowie große Waldbrände brächten gewaltige Flüchtlingsströme von Überlebenden mit sich.
Doch selbst wenn Deutschland nicht unmittelbar betroffen sein sollte, wären die Auswirkungen auf die Bevölkerung gewaltig. Viele Güter werden heute nicht mehr an einem Ort produziert, so dass eine funktionierende Infrastruktur überlebenswichtig ist. Sie ist jedoch abhängig von Treibstoff, Gas und Elektrizität. Viele Produkte werden zudem nicht mehr in Deutschland hergestellt, oft nicht einmal mehr in Europa. In Kriegszeiten werden zuerst die Handelswege zusammenbrechen, wenig später auch die Energiewirtschaft. Die europäische Stromversorgung ist heute ein kompliziertes, fragiles Verbundsystem, das selbst in Friedenszeiten Frequenzschwankungen nicht immer beherrscht. Was es bedeutet, wenn der Strom plötzlich ausfällt, durften die Bewohner des Berliner Stadtteils Köpenick Ende Februar erfahren. Über 30 Stunden war der Südosten Berlins lahmgelegt, mit teils dramatischen Auswirkungen. Das Notstromaggregat eines Krankenhauses war defekt, erst ein Generator des Technischen Hilfswerks konnte den Betrieb notdürftig aufrechterhalten. Auch Patienten, die zu Hause auf Atemgeräte angewiesen waren, mussten umständlich Hilfe anfordern, jegliche Telefonverbindung war lahmgelegt. Heizen war nicht möglich, da fast alle Heizanlagen auf Strom angewiesen sind. Für einen umfassenden Stromausfall wäre die Stadt nicht vorbereitet, Wasser, Strom und Telekommunikation fallen aus.
Die Krankenversorgung wäre im Katastrophenfall kaum noch funktionsfähig. Schon jetzt arbeitet das auf Profitmaximierung getrimmte System am Limit. Auch ohne Krieg fehlen wichtige Krebsmedikamente, deren Hersteller die Produktion aus Kostengründen nach Indien ausgelagert haben und die zudem nur noch an einem einzigen Ort für den Weltmarkt hergestellt werden. Lebensmittel werden kaum noch im Umland produziert, sondern kommen aus dem europäischen Ausland oder aus Übersee. Dazu kommt, dass Lebensmittellager sowie Schutzräume in den 90er Jahren vielfach aus Kostengründen abgeschafft wurden. Ob die europäischen Regierungen für den Fall der Fälle Notfallpläne in den Schubladen haben, ist nicht bekannt. Wahrscheinlicher sind ein nicht beherrschbares Chaos und eine hilflose Regierung.
Der Glaube an den immerwährenden technisch verbrämten Fortschritt ist trügerisch, unsere Zivilisation ist brüchig. Gut möglich, dass wir binnen weniger Monate ins Mittelalter zurückkatapultiert würden. Oder wie der Genforscher und Schriftsteller Erwin Chargaff es für das Jahr 2062 mutmaßte: »Ob es dann schon wieder Fahrräder geben wird?« (Erwin Chargaff: »Kritik der Vernunft«)
Der labile Zustand der Welt, die immer spürbareren Klimaveränderungen, die wachsenden Egoismen von Staaten und Regierungen, die Zunahme irrationaler, zum Teil religiös gefärbter Theorien bilden eine gefährliche, unberechenbare Mischung. Ein Kriegsgrund ist schnell gefunden, die digitale Technik reduziert die Reaktionszeit auf Sekunden. 1964 lief in den deutschen Kinos »Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben«, eine Satire über einen verrückt gewordenen amerikanischen General, der einen Atomangriff auf die Sowjetunion befiehlt. Georg Kreisler muss an diesen Film gedacht haben, denn das ist das Ende vom Lied: »Es könnt ja sein, a General wird leicht verruckt, so daß er irgendwie aufs falsche Knöpferl druckt. Dann geht am End die ganze Welt zugrund. Das wäre fürchterlich, denn was macht dann mein Hund?«