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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Weltenrettung, Made in China

»Die Erde nahm Fahrt auf. Die Mensch­heit hat­te ihre Rei­se begon­nen. Als die Erde ihre Fahrt begann, ver­ließ uns Groß­va­ter … Auf der Schwel­le zum Tod wie­der­hol­te er immer wie­der den­sel­ben Satz: ›Ach, mei­ne Erde, mei­ne arme, wan­dern­de Erde …‹«

Cixin Liu heißt der Ver­fas­ser der Erzäh­lung »Die wan­dern­de Erde«, aus der die­se Zei­len stam­men, in der Über­set­zung von Johan­nes Fie­der­ling. Liu ist Chi­ne­se, hat lan­ge Zeit als Inge­nieur in einem Kraft­werk gear­bei­tet, bevor er sich ganz sei­ner Schrift­stel­ler­kar­rie­re wid­men konn­te, und dies in einem lite­ra­ri­schen Gen­re, das in Ossietzky sel­ten Gegen­stand der Betrach­tung ist: Er schreibt Sci­ence-Fic­tion, und zwar ver­dammt phan­ta­sie­voll und gut.

Sei­ne Kurz­ge­schich­te über das bevor­ste­hen­de Ende unse­res Son­nen­sy­stems wur­de bald nach ihrer Ver­öf­fent­li­chung im Jahr 2000 mit dem Gala­xy Award aus­ge­zeich­net, dem höch­sten Preis in der Volks­re­pu­blik Chi­na für SF. Im ver­gan­ge­nen Jahr wur­de sie von dem Regis­seur Frant Gwo ver­filmt, der die ursprüng­li­che Geschich­te, wie es in Fil­men häu­fig der Fall ist, aller­dings eher als Ideen­ge­ber, als Matrix nutz­te. Kino­start war in Chi­na der 5. Febru­ar 2019, der Tag des chi­ne­si­schen Neu­jahrs­fe­stes. Der Film wur­de rasch zum bis­her erfolg­reich­sten chi­ne­si­schen Block­bu­ster und soll, umge­rech­net, fast 700 Mil­lio­nen US-Dol­lar ein­ge­spielt haben. Die welt­wei­ten Strea­ming-Rech­te sicher­te sich – und das ist neu – das US-ame­ri­ka­ni­sche Unter­neh­men Net­flix, das den Film seit dem 30. April zum Abruf bereit­stellt. Mir hat der Film einen Rie­sen­spaß berei­tet, selbst wenn hier und da legen­dä­re Vor­läu­fer wie »2001: Odys­see im Welt­raum« von Stan­ley Kubrick oder »The Day After Tomor­row« von Roland Emme­rich hervorlugten.

Der Plot: Die Son­ne hat ihre Was­ser­stoff­re­ser­ven weit­ge­hend ver­braucht, die Erde ist öd und leer, die Men­schen leben in unter­ir­di­schen Städ­ten, vie­les ist ratio­niert, und Hoff­nung auf eine bes­se­re Zukunft gibt es nicht. Da schmie­den Wis­sen­schaft­ler einen ver­we­gen-wag­hal­si­gen Ret­tungs­plan: Mit Hil­fe rie­si­ger Trieb­wer­ke an den Kon­ti­nen­tal­plat­ten wol­len sie die Erde aus der Umlauf­bahn drücken, sie sozu­sa­gen zu einem pla­ne­ta­ren Raum­schiff umfunk­tio­nie­ren und auf den Weg in die Tie­fen des Alls hin zu einer neu­en Gala­xie trei­ben, wo die Mensch­heit eine neue Hei­mat fin­den kann.

Wer nun mit den Schul­tern zuckt, na und, halt wie­der so ein Zukunfts­kram sagt, über­sieht eines: Es sind die Chi­ne­sen, die dies­mal die Welt ret­ten. In die­sem Sin­ne sind Erzäh­lung und Film auch deut­li­che Zei­chen für ein neu­es chi­ne­si­sches Selbst­ver­ständ­nis und für den kul­tu­rel­len Wan­del in dem Rie­sen­reich. Und: Chi­ne­si­sche SF war bis­her außer­halb des Lan­des so gut wie unbekannt.

Kai Mar­chal, der an der Natio­nal Cheng­chi Uni­ver­si­ty in Tai­peh, Tai­wan, Phi­lo­so­phie lehrt, schrieb dazu in der Zeit online (10. Mai 2019): »Chi­ne­si­sche Sci­ence-Fic­tion erlebt erst seit eini­gen Jah­ren eine Renais­sance, was sicher auch eine Fol­ge von Chi­nas neu gefun­de­ner, geo­po­li­ti­scher Hand­lungs­fä­hig­keit ist. Der erfolg­reich­ste Autor … Liu ist zwei­fel­los ein Groß­mei­ster sei­nes Gen­res. Mit schnei­den­der Käl­te ent­wirft er sei­ne Sto­ry­wel­ten, sucht sie stets wis­sen­schaft­lich zu fun­die­ren und zielt doch auf spe­ku­la­ti­ve Über­hö­hung ab. Dabei ist sein Werk von einem tie­fen, sozi­al­dar­wi­ni­stisch anmu­ten­den Pes­si­mis­mus durch­tränkt: Zivi­li­sa­tio­nen müs­sen sich unauf­hör­lich tech­no­lo­gisch fort­ent­wickeln, sonst wer­den sie von höher­ste­hen­den aus­ge­löscht; und mensch­li­che Tugen­den wie Mit­leid oder Nach­sicht kom­men schnell teu­er zu ste­hen. Eini­ge sei­ner frü­hen Geschich­ten las­sen sich dage­gen im Sin­ne einer ethi­schen Kri­tik an der kapi­ta­li­sti­schen Lebens­form lesen, als Plä­doy­er für den Schutz des Ökosystems.«

Das neue chi­ne­si­sche Selbst­be­wusst­sein und Selbst­ver­ständ­nis las­sen sich am deut­lich­sten aus der berühm­ten »Trisolaris«-Trilogie Cixin Lius able­sen. Aus­gangs­punkt des drei­bän­di­gen, ins­ge­samt 2397 Sei­ten umfas­sen­den Romans ist das Jahr 1967, als in Chi­na Maos Kul­tur­re­vo­lu­ti­on tobt, durch die eine jun­ge Astro­phy­si­ke­rin ihre Fami­lie ver­liert. Sie wird in eine gehei­me Mili­tär­ba­sis gebracht, wo sie mit Hil­fe rie­si­ger Radio­wel­len­an­ten­nen nach intel­li­gen­ten Wesen im All sucht. Als sie die­se eines Tages ent­deckt, lädt sie die­se Triso­la­ri­er zum Besuch der Erde ein: Die Ver­fol­gung wäh­rend der Kul­tur­evo­lu­ti­on hat tie­fe Nar­ben hin­ter­las­sen, und Rache kann ja so süß sein, selbst wenn die Rächer von fern­her kom­men und ganz eige­ne Absich­ten mit Erde und Mensch­heit haben. Wer will, kann den Roman auch als Para­bel auf Erobe­rung und Kolo­nia­lis­mus lesen.

»Die wan­dern­de Erde« und die drei »Trisolaris«-Bände sind eben­so wie ande­re Wer­ke von Cixin Liu als Taschen­bü­cher im Hey­ne-Ver­lag erschienen.