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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Weiter in die Barbarei

Seit Rosa Luxem­burg in ihrer »Juni­us-Bro­schü­re« 1916 ohne Quel­len­an­ga­be Fried­rich Engels die Fest­stel­lung in den Mund leg­te, dass die bür­ger­li­che Gesell­schaft vor dem Dilem­ma ste­he, ent­we­der zum Sozia­lis­mus über­zu­ge­hen oder in die Bar­ba­rei zurück­zu­fal­len, wird die Fra­ge ven­ti­liert, ob der Aus­spruch authen­tisch ist oder nicht. Aber ist das wirk­lich ent­schei­dend? Unstrit­tig hät­ten es sowohl Engels als auch Marx so sagen kön­nen! Es gibt eini­ge Stel­len bei Engels, die ver­mu­ten las­sen, dass es von ihm stammt. Das soll­te dazu genü­gen. Recht hat Rosa Luxem­burg auf jeden Fall dar­in, dass man sich sei­ner­zeit bis heu­te zu wenig Gedan­ken dar­über gemacht hat, was »Rück­fall in die Bar­ba­rei« bedeu­tet. Sie kon­kre­ti­siert: »Ein Blick um uns in die­sem Augen­blick zeigt, was ein Rück­fall in die Bar­ba­rei bedeu­tet. Die­ser Welt­krieg – das ist ein Rück­fall in die Bar­ba­rei. Der Tri­umph des Impe­ria­lis­mus führt zur Ver­nich­tung der Kul­tur – spo­ra­disch wäh­rend der Dau­er eines moder­nen Krie­ges und end­gül­tig, wenn die nun begon­ne­ne Peri­ode der Welt­krie­ge unge­hemmt bis zur letz­ten Kon­se­quenz ihren Fort­gang neh­men soll­te« (Her­vor­he­bung vom Autor).

Dass Krie­ge Rück­fall in die Bar­ba­rei sind, galt 1916 wie 2024. Rosa Luxem­burg sprach rea­li­täts­nah von Welt­krie­gen, und eben nicht nur vom dem, der sei­ner­zeit tob­te. Sie wie auch Tuchol­sky, Wede­kind u. a. sahen bei einem Tri­umph des Impe­ria­lis­mus wei­te­re Welt­krie­ge vor­aus. Wenn auch die Okto­ber­re­vo­lu­ti­on und in deren Fol­ge der Viel­völ­ker­staat UdSSR dem Impe­ria­lis­mus eine Frie­dens­macht ent­ge­gen­stel­len konn­te, reich­ten die sozia­li­sti­schen Kräf­te nicht aus, den vor­aus­ge­ahn­ten II. Welt­krieg zu ver­hin­dern. Der II. Welt­krieg ende­te zwar erneut mit einem Tri­umph des Impe­ria­lis­mus, aber zugleich auch mit einer uner­war­te­ten Schwä­chung. Die sozia­li­sti­sche Staa­ten­ge­mein­schaft hat­te 40 Jah­re lang eine Stär­ke erreicht, die den Impe­ria­lis­mus von einem III. Welt­krieg abhielt.

Der Unter­gang der sozia­li­sti­schen Staa­ten­ge­mein­schaft und die Auf­lö­sung des War­schau­er Ver­tra­ges – wie­der­um ein Tri­umph des Impe­ria­lis­mus – führ­te zur Wen­de in Rich­tung Bar­ba­rei. Nicht die von bür­ger­li­chen Apo­lo­ge­ten und geläu­ter­ten Sozia­li­sten ver­hei­ße­ne Zukunft brach an, son­dern bar­ba­ri­sche Krie­ge in Jugo­sla­wi­en und in der Golf­re­gi­on. Mit­ten­drin und an vor­der­ster Stel­le stets der US-Impe­ria­lis­mus und wech­seln­de Wil­li­ge. Kann man des­halb nicht mit Fug und Recht sagen, dass der Rück­fall in die Bar­ba­rei nicht bereits nach dem Unter­gang des Sozia­lis­mus begann? Wie naiv waren die­je­ni­gen, die mein­ten, der Unter­gang der sozia­li­sti­schen Staa­ten wäre mit zivi­li­sa­to­ri­schem Fort­schritt gleich­zu­set­zen. Das Dilem­ma hat auch nach 30 Jah­ren sei­ne Rele­vanz nicht ver­lo­ren, son­dern ganz im Gegen­teil. Die Bar­ba­rei nimmt immer feste­re Kon­tu­ren an; sie sta­bi­li­siert sich. Die welt­wei­te Rechts­ent­wick­lung, das Erstar­ken prä- und offen faschi­sti­scher Akteu­re, die gewal­ti­ge Mili­ta­ri­sie­rung, das Schü­ren von Hass gegen ande­re Völ­ker, die per­ma­nen­te Zer­stö­rung des Völ­ker­rechts und das Über­schrei­ten roter Lini­en sind alles über­deut­li­che Sym­pto­me von Bar­ba­rei, von Ent­mensch­li­chung und Kul­tur­lo­sig­keit. Staa­ten, Poli­ti­ker und Kon­zern­bos­se hal­ten sich nicht mehr an die gering­sten Regeln der Zivi­li­sa­ti­on. Pro­fit­sucht, Stre­ben nach ego­isti­scher Aus­nut­zung poli­ti­scher und staat­li­cher Macht, die Pri­va­ti­sie­rung des Staa­tes zugun­sten Super­rei­cher ist im vol­len Gang. Ein Lehr­buch­bei­spiel lie­fert die sich for­mie­ren­de Trump-Admi­ni­stra­ti­on, die den Mil­li­ar­dä­ren neben ihrer unbe­grenz­ten und unkon­trol­lier­ten öko­no­mi­schen Macht gleich noch die staat­li­che Macht zuschanzt, wodurch ein impe­ria­li­sti­scher Ide­al­zu­stand ein­tritt. Es bedarf weder Lob­by­ar­beit noch Bestechung der Gewerk­schaf­ten, weder Mani­pu­la­ti­on der Bevöl­ke­rung noch ande­re kost­spie­li­ge Machen­schaf­ten. Das Groß­ka­pi­tal hat immer mehr die unein­ge­schränk­te Macht in Staat und Gesell­schaft. Weit weni­ger als 1 Pro­zent der Men­schen beherrscht fast die gan­ze Welt; sie herr­schen, über 5-6 Mil­li­ar­den Men­schen, über die Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se, über die Ver­tei­lung der Güter, über die Armeen, über den Ein­satz von Atom­waf­fen. Eine von Bar­ba­ren beherrsch­te Welt!

Kein Auf­schrei der Zivi­li­sa­ti­on, kein Auf­schrei einer Koali­ti­on der Ver­nunft! Zei­chen dafür, die­sen Wahn­sinn zu stop­pen, sind nicht in Sicht. Nicht ein­mal die For­de­rung nach einem sofor­ti­gen Stopp von Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne ist unter Lin­ken kon­sens­fä­hig. Welch ein Trau­er­spiel? Wel­che Tra­gö­die? Wie tief ist ein Groß­teil von Sozia­li­sten gesun­ken? Sie erken­nen nicht, wie sie zu nütz­li­chen Idio­ten impe­ria­li­sti­scher Kapi­tal­in­ter­es­sen gewor­den sind, und glau­ben, wenn sie einer impe­ria­li­sti­schen Kriegs­par­tei die allei­ni­ge Schuld zuzu­wei­sen, auf der mora­lisch rich­ti­gen Sei­te zu ste­hen. Schlimm dar­an ist, dass sie damit die ver­blie­be­nen Frie­dens­kräf­te schwä­chen und nicht stär­ken, wie sie in ihrer unbe­schreib­li­chen Ein­falt glauben.

Lasst uns die War­nun­gen, die mit dem von Rosa Luxem­burg ins Bewusst­sein gerück­ten Dilem­ma von Sozia­lis­mus und Bar­ba­rei ver­bun­den sind, ins­be­son­de­re vor der Lieb­knecht-Luxem­burg-Demon­stra­ti­on, immer wie­der sagen, damit sie nicht ein­mal zu wenig gesagt wur­den, denn es droht ein Krieg, der die Mensch­heit ver­nich­ten und den Pla­ne­ten aus der Bahn wer­fen könn­te. Wer­fen wir uns den Mäch­ti­gen ent­ge­gen, ent­lar­ven wir sie, fal­len wir ihnen in den Arm im Inter­es­se der Mensch­heit und des Planeten!