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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Weihnachtsamnestie 1932

Am 22.12.1932 kam der seit Mai des Jah­res inhaf­tier­te Carl von Ossietzky frei. Eine sog. Weih­nachts­am­ne­stie war durch das noch halb­wegs funk­tio­nie­ren­de Par­la­ment ver­ab­schie­det wor­den, die – auf Druck der SPD – den als »Lan­des­ver­rä­ter« ver­ur­teil­ten Lei­ter der Weltbühne aus der Haft befrei­en soll­te. Im Novem­ber 1931 war er wegen eines Arti­kels zur ille­ga­len Reichs­wehr­fi­nan­zie­rung zu 18 Mona­ten Gefäng­nis ver­ur­teilt wor­den. Ossietzky hat­te den Arti­kel zwar nicht geschrie­ben, aber die Ver­ant­wor­tung dafür über­nom­men. Der Autor hat­te sich nach Paris ins Exil bege­ben. Die Begrün­dung des Leip­zi­ger Gerichts war abstrus genug, aber typisch für das auto­ri­tä­re Justiz­sy­stem, dem jede Form des Anti­mi­li­ta­ris­mus oder gar eines mili­tan­ten Pazi­fis­mus ein Dorn im Auge war. Für das Gericht spiel­te es kei­ne Rol­le, dass die auf­ge­deck­te Finan­zie­rung ille­gal war. Es spiel­te auch kei­ne Rol­le, dass die Infor­ma­tio­nen den ein­schlä­gi­gen Krei­sen im Inland und Aus­land bekannt waren. Da die Infor­ma­tio­nen nur »bestimm­ten Krei­sen« zugäng­lich gewe­sen sei­en, hät­ten sie eben doch als geheim zu gel­ten. Einem Eski­mo waren sie, wie ein kri­ti­scher Kom­men­ta­tor schrieb, eben nicht bekannt. Ossietzky wur­de auf die­se Wei­se als »Lan­des­ver­rä­ter« gebrand­markt. Gleich­zei­tig wur­de so ein Exem­pel sta­tu­iert, das abschreckend wir­ken soll­te. Da ein Gna­den­ge­such – die ein­zi­ge Form einer mög­li­chen Revi­si­on – eben­so abge­lehnt wur­de wie eine Umwand­lung in Festungs­haft, muss­te Ossietzky im Mai sei­ne Haft im Gefäng­nis Tegel antre­ten. Flüch­ten, sich in Sicher­heit brin­gen, ins Exil gehen, woll­te er nicht. Nicht aus Grün­den der Loya­li­tät, wie er am 10.5.1932 in der Weltbühne beton­te, son­dern »weil ich als Ein­ge­sperr­ter am unbe­quem­sten bin«.

Ossietzky war damit dem Gefäng­nis­all­tag unter­wor­fen, unter­bro­chen von einem wei­te­ren Pro­zess, den er dank einer cle­ve­ren Pro­zess­stra­te­gie gewin­nen konn­te. Gefäng­nis­all­tag: Das hieß, auf einen Raum von 6 Qua­drat­me­tern beschränkt zu sein, schlech­tes Essen, Kaf­fee- und Niko­tin­ent­zug, mas­siv ein­ge­schränk­te Kon­tak­te: Sei­ne Frau durf­te ihn nur alle sechs Wochen besu­chen. Ossietzky ver­such­te, sich durch eige­ne Arbeit, u. a. die Vor­be­rei­tun­gen zu einem Deutsch­land­buch, zu beschäf­ti­gen. Erst als er nach 227 Tagen frei­kam, gibt er einen Ein­blick in die »abge­son­der­te« Gefäng­nis­welt, die er erlebt hat, jene »Welt, die ein­ge­mau­ert zwi­schen uns ragt und von der wir weni­ger wis­sen als von Tibet oder der Oster­in­sel« (Weltbühne, 27.12.1932). Das Gefäng­nis in Tegel sei zwar kein »Haus der gewoll­ten Här­te und der tra­di­tio­nel­len Quä­le­rei­en«, aber den­noch ein »Haus des Jam­mers, in dem hin­ter jeder Eisen­tür ein and­rer trau­ri­ger Glo­bus kreist, durch schick­sals­mä­ßi­ge Ver­strickung in die­ser Bahn gehal­ten«. In der Welt des Gefäng­nis­ses gibt es somit kei­ne Schuld, nur Opfer. Den »Recht­spre­chern« sei die Welt der Zel­len­haft natür­lich unbe­kannt. In der Amne­stie­de­bat­te hat­te übri­gens ein deutsch­na­tio­na­ler Abge­ord­ne­ter davor gewarnt, das juri­sti­sche System durch all­zu vie­le Straf­er­läs­se auf­zu­wei­chen. Dadurch wer­de die »Berufs­freu­dig­keit« der Rich­ter gelähmt.

Wäh­rend der 227 Tage, die Ossietzky im Gefäng­nis ver­bringt, ver­stärkt sich die Faschi­sie­rung des Lan­des. Immer wie­der wer­den die ent­spre­chen­den Wei­chen in die­ser Rich­tung gestellt, Alter­na­ti­ven kläg­lich ver­ge­ben oder igno­rant abge­wie­sen. Eine sol­che Wei­chen­stel­lung war die Prä­si­den­ten­wahl 1932, die noch vor Ossietz­kys Haft­an­tritt statt­fand. Ossietzky hat­te unmiss­ver­ständ­lich für den KPD-Kan­di­da­ten Thäl­mann Stel­lung bezo­gen. Wie konn­te man glau­ben, dass aus­ge­rech­net Hin­den­burg Hit­ler stop­pen soll­te? So lau­te­te die Argu­men­ta­ti­on der SPD, die kei­nen eige­nen Kan­di­da­ten auf­stell­te. Eine Woche vor Haft­an­tritt schreibt Ossietzky den auf­rüt­teln­den Arti­kel »Ein run­der Tisch war­tet«, in dem er deut­lich macht, dass nur eine geschlos­sen han­deln­de Volks­front die Ver­nich­tung der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­klas­se ver­hin­dern kann. Dabei weiß er natür­lich um die fun­da­men­ta­len Dif­fe­ren­zen der bei­den Par­tei­en und die immer wie­der­hol­ten, stets para­ten Schuld­zu­wei­sun­gen. Doch gleich­zei­tig fragt er war­nend: »Wer­det ihr mor­gen über­haupt noch Gele­gen­heit zur Aus­spra­che haben? Wird man euch das noch erlau­ben?« (Weltbühne, 3.5.1932).

Die­se Ein­schät­zung soll­te sich nur als all­zu wahr erwei­sen. Zu einer Ein­heits­front kam es nur in ein­zel­nen Fäl­len, etwa beim Streik der Ber­li­ner Ver­kehrs­be­trie­be im Som­mer 1932. Hit­ler konn­te bei Wahl­er­geb­nis­sen, die sich stets um 30 Pro­zent beweg­ten, war­ten, bis man ihn rief. Die For­de­rung nach »Ein­bin­dung der rech­ten Kräf­te« wur­de immer stär­ker. Bereits Hein­rich Brü­ning hat­te ohne Par­la­ment regiert, um sei­ne Austeri­täts­maß­nah­men auf Kosten der sozi­al Schwa­chen durch­zu­set­zen. Auch der Nach­fol­ger Franz von Papen, des­sen par­la­men­ta­ri­sche Basis noch dürf­ti­ger war, woll­te das Heft in der Hand behal­ten. Im Som­mer wur­den die Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen SA und SS wie­der zuge­las­sen, durch deren Ein­satz Hit­ler jene bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­de schuf, deren nur er Herr wer­den kön­ne. In Preu­ßen wur­de die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Regie­rung abge­setzt. Als es bei den Novem­ber­wah­len einen emp­find­li­chen Dämp­fer für Hit­lers Faschi­sten gab, ver­fiel man dar­auf, den Gene­ral Schlei­cher als neu­en Kanz­ler zu instal­lie­ren. Doch der Druck sei­tens der Indu­strie, Hit­ler end­lich die Macht über­ge­ben wur­de, immer stär­ker. All dies änder­te nichts an der Wei­ge­rung der SPD, end­lich die Akti­ons­ein­heit mit der KPD zu realisieren.

Ossietzky ver­folg­te die Ent­wick­lun­gen aus sei­ner Gefäng­nis­zel­le. Unter dem Pseud­onym Tho­mas Mur­ner schrieb er wei­ter­hin Arti­kel und nahm sich dabei auch Din­ge vor, die von der repu­bli­ka­ni­schen Lin­ken ver­nach­läs­sigt wur­den, wie etwa Otto Stra­ssers »deut­schen Sozia­lis­mus«, die Ideo­lo­gie des Tat­krei­ses oder den Anti­se­mi­tis­mus, den er als »dem Natio­na­lis­mus bluts­ver­wandt« cha­rak­te­ri­sier­te. An zwei heu­te eher unbe­kann­ten Wer­ken zeig­te Ossietzky, wie der lite­ra­ri­sche Anti­se­mi­tis­mus funk­tio­niert, wie hane­bü­chen und lächer­lich die Ver­su­che sind, das Jüdi­sche als angeb­lich volks­fremd hin­zu­stel­len und nach dem jüdi­schen Ton­fall bei Marx oder jüdi­scher Gestik bei Hei­ne nach­zu­spü­ren. Für Ossietzky zeigt sich hier nur eine müh­sam unter­drück­te Bereit­schaft zum Pogrom. Iro­nisch schlägt er den weni­ger intel­lek­tu­ell beschwer­ten Zeit­ge­nos­sen und -genos­sin­nen vor, »das Stück Pöbel in sich zu ent­bin­den« und ihrer Wut gegen­über den jüdi­schen Mit­bür­gern aggres­si­ven Aus­druck zu ver­lei­hen, sie zu belei­di­gen, zu ernied­ri­gen, sie phy­sisch und psy­cho­lo­gisch zu drang­sa­lie­ren. Vor Gerich­ten bräuch­ten sie dabei kei­ne Angst zu haben, denn die­se wür­den der »bedräng­ten See­len­la­ge sicher Ver­ständ­nis ent­ge­gen­brin­gen« (Weltbühne, 19.7.1932).

Gibt es Anzei­chen dafür, dass Ossietzky nach der Rück­kehr in sein Büro Hoff­nung schöpf­te? Natür­lich waren die Ergeb­nis­se der Novem­ber­wah­len rela­tiv ermu­ti­gend, doch eine Akti­ons­ein­heit von Kom­mu­ni­sten und Sozi­al­de­mo­kra­ten war nicht in Sicht. Letz­te­re beharr­ten wei­ter­hin auf den Grund­la­gen ver­fas­sungs­mä­ßi­ger Lega­li­tät. Ossietzky deck­te dage­gen schon früh auf, dass – neben dem Druck der poli­tisch mäch­ti­gen Indu­stri­el­len – eine preu­ßi­sche Kama­ril­la um Hin­den­burg eine ent­schei­den­de Rol­le spiel­te. Den­noch blieb Ossietzky auch nach dem 30.1.33 in Deutsch­land. Vier Wochen spä­ter, kurz nach dem Reichs­tags­brand, wur­de er mit­ten in der Nacht ver­haf­tet. Für die Behör­den war er immer noch der »Lan­des­ver­rä­ter«, den man in irgend­wel­chen Lagern ver­schwin­den las­sen konn­te. Dass er eigent­lich seit Weih­nach­ten 1932 amne­stiert war, spiel­te kei­ne Rolle.