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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Weichenstellungen

Von »der Mensch­heit« zu spre­chen heißt, einen Sam­mel­be­griff zu gebrau­chen. Sei­ner als »Welt­be­völ­ke­rung« quan­ti­fi­zier­ba­ren Abstrakt­heit ent­spre­chend lässt sich sum­ma­risch sagen: Auf dem Glo­bus geht es mehr oder weni­ger »schlecht«, ja, im Durch­schnitt lebens­be­droh­lich zu; das Ende mensch­li­chen Fort­be­stehens ist bereits ein­ge­läu­tet und nähert sich mit expo­nen­ti­el­ler Beschleu­ni­gung bru­tal rasant. Die Fest­stel­lung, es ste­he »schlimm um uns alle« – apo­ca­lyp­se now! –, über­rascht nie­man­den, denn das ist nun ein­mal »der Lauf der Welt«, der sich zumin­dest bei uns so zivi­li­siert wie mög­lich voll­zieht. Somit lässt sich all­ge­mei­ne Gelas­sen­heit nicht so ein­fach durch spek­ta­ku­lä­re Aktio­nen erschüt­tern, die Empö­rung dar­über aus­lö­sen wol­len, dass die Flam­men des bren­nen­den glo­ba­len Hau­ses von ver­ant­wor­tungs­lo­sen Feu­er­weh­ren nicht gelöscht wer­den. Der Bür­ger ist ja schon amt­lich auf­ge­rüt­telt; schließ­lich haben sich Regie­rungs­mit­glie­der nicht erst gestern vor schmel­zen­de Eis­ber­ge gestellt. Das Fazit dro­hen­den Welt­un­ter­gangs ist also von allen ziem­lich ein­ver­nehm­lich gezo­gen, und jetzt geht es »nur« noch dar­um, des­sen Grün­de aus­zu­ma­chen und gegen die­se anzugehen.

Nur wenn man sich »die Welt« so macht, »wie sie mir gefällt«, ist die Funk­ti­on des Mili­tärs zu über­se­hen, des­sen Exi­stenz kein »unde­mo­kra­ti­scher Wahn­sinn« ist, den man bei guter Gesin­nung auch las­sen könn­te. Im Gegen­teil: Tat­säch­lich sind Her­stel­lung, Beschaf­fung und Ein­satz von Zer­stö­rungs­mit­teln abso­lut unent­behr­lich. Die höch­ste Instanz namens Staats­rai­son ver­langt nach einem Arse­nal, des­sen Ver­schwur­be­lun­gen wie »Son­der­ver­mö­gen« und »Frie­dens­fas­zi­li­tä­ten« Zustim­mung gebührt, nach einer bedarfs­ge­rech­ten Über­win­dung der nai­ven Gesell­schafts­spal­tung in Zivi­les ver­sus Mili­tä­ri­sches, z. B. dem Ent­fal­len uni­ver­si­tä­rer »Zivil­klau­seln« (die mili­tä­ri­scher Grund­la­gen­for­schung ledig­lich eine Ver­laufs­form gaben), nach zu Wehr­haf­tig­keit erzie­hen­den Jugend­of­fi­zie­ren an Schu­len und natür­lich nach media­ler Prä­senz rund um die Uhr von Strack-Zim­mer­mann und Hof­rei­ter. Wenn das und mehr davon klappt – genug ist nicht genug, denn der Feind schläft nicht –, dann wer­den staat­li­che Inter­es­sen an Bot­mä­ßig­keit des Aus­lands, an Zugriff auf Län­der und deren Res­sour­cen glaub­wür­dig und berech­tigt. Dann fal­len Ver­nich­tungs-, Par­don, Ver­tei­di­gungs­dro­hun­gen über­zeu­gend aus. Dann gestat­tet es die Potenz, gege­be­nen­falls in Schutt und Asche zu legen, ande­re, deren Unbe­rech­tigt­heit sich tau­to­lo­gisch dar­auf zusam­men­kür­zen lässt, dass sie nicht »wir«, also z. B. unde­mo­kra­tisch sind, zur Aner­ken­nung unse­rer Regeln zu zwin­gen. Die­ses Kön­nen berech­tigt uns dann auch. Soll­ten das als Fein­de, Par­don, »syste­mi­sche Riva­len« defi­nier­te Staa­ten nicht ein­se­hen, so müs­sen sie eben gerech­ter­wei­se »füh­len«. Fall­bei­spie­le dafür gibt es zuhauf, wie sie in Micha­el Paren­tis mate­ri­al­rei­chem Against Empire (eine deut­sche Über­set­zung gibt es anschei­nend nicht) auf­ge­führt sind. Da für Staa­ten dabei, sich ande­rer zu bedie­nen, immer Gefahr im Ver­zug ist, und sie des­halb gar nicht über genug Waf­fen ver­fü­gen kön­nen, fällt auch ihr Umgang mit der Natur ent­spre­chend »robust«, vul­go ver­hee­rend aus. Das ist nicht der ein­zi­ge Grund für die rasan­te Rui­nie­rung der Natur, aber ein durchschlagender.

Staa­ten über­prü­fen stän­dig, inwie­weit ande­re für ihr jeweils real ver­folg­tes All­ge­mein­wohl tau­gen, also für die­ses ein­träg­lich bis ertrag­bar sind. So gut wie alle Staa­ten der heu­ti­gen Welt defi­nie­ren es mit ihrem Recht und in ihrem Han­deln als durch­ge­setz­te und mit Gewalt garan­tier­te Markt­wirt­schaft. Um eine zu sein, muss die­se mit staat­li­cher Super­vi­si­on und Hil­fe nach dem Gesetz der »unsicht­ba­ren Hand« funk­tio­nie­ren, die aus dem Stre­ben ein­zel­ner in Kon­kur­renz zuein­an­der gesetz­ter den »Reich­tum der Natio­nen« erzeu­gen und so die Macht der jewei­li­gen Staa­ten meh­ren soll. Dafür muss sich aus Geld mehr Geld hecken­des Pri­vat­ei­gen­tum am inne­ren und äuße­ren Markt und an sonst nichts, aber das alle­mal, bewäh­ren. Nach der Erle­di­gung des System­ge­gen­sat­zes ist nun genü­gend Scham­frist ver­gan­gen; das böse Wort »Kapi­ta­lis­mus« kann heu­te wie­der gebraucht wer­den im Bewusst­sein dar­um, dass es sich bei ihm um nichts ande­res als die best­mög­li­che – »nobo­dy is per­fect!« – Mensch­heits­be­glückung han­delt. Mit ihr haben, was nicht unge­recht, son­dern zwangs­läu­fig ist, weni­ge viel von Staats­macht­meh­rung durch Pro­fit und umge­kehrt. Zusätz­lich aber wird der glo­ba­le Scha­den dadurch desa­strös, dass – neben grund­sätz­lich für kapi­ta­li­sti­sche Tür­öff­nun­gen geführ­ten Krie­gen – die Kon­kur­renz von Staa­ten um die Durch­set­zung ihrer Kapi­ta­le auch unter­halb der Kriegs­schwel­le den Gebrauchs­wert der Natur und in ihr Ansäs­si­ge »für eine Hand­voll Dol­lars« atem­be­rau­bend schnell zur Unüber­leb­bar­keit vernichtet.

Die Kli­ma­wan­del­fol­gen ent­sprin­gen nicht – es sei noch­mals gesagt – einer oft beklag­ten Gier von Men­schen wie du und ich, die die Welt inner­halb noch aus­rei­chen­der Zeit ein­sichts­voll mit etwas Selbst­ein­schrän­kung zum Bes­se­ren bekeh­ren könn­ten, wenn sie nur woll­ten. Der medi­al abge­mei­er­te »Alar­mis­mus« der »dra­ma queen« Gre­ta Thun­berg lässt kei­nen Zwei­fel dar­an, wie dring­lich die welt­um­span­nen­den Agen­den tat­säch­lich gewor­den sind, aber er fällt auf stei­ni­gen Boden. Wes­halb? Schlech­te Pres­se zu krie­gen, ist eine Sache, aber ande­rer­seits ver­sa­gen ihr sogar ihre Bünd­nis­ge­nos­sin­nen die Gefolg­schaft, wenn sich in ihre Appel­le kapi­ta­lis­mus- und impe­ria­lis­mus­kri­ti­sche Töne ein­schlei­chen. Für an mora­li­schen Ablass­han­deln Inter­es­sier­te geht das näm­lich »irgend­wie gar nicht«: eine fata­le Distan­zie­rung und Kap­pung von einem Zusammenhang.

Mark Fisher wird die­ses zuge­schrie­ben: »Es ist ein­fa­cher, sich das Ende der Welt vor­zu­stel­len als das Ende des Kapi­ta­lis­mus«. Ange­sichts des­sen, dass die Natur das Sub­strat der »Mensch­heit« ist, wird man wohl die Zer­stö­rung bei­der nicht mögen – aber ein­fach des­halb auch nur mei­nend gegen Staats­zwecke zu sein, die not­wen­dig bei­des beför­dern, ist wohl schon reich­lich über­kan­di­delt. Wir war­ten lie­ber so lan­ge, bis Olaf Scholz uns eine Bahn­steig­kar­te löst. Da ver­las­sen wir uns ganz auf ihn; irgend­wann im fünf­ten Akt unse­rer Tra­gö­die muss er uns ja hören. Und wenn nicht, wird er ver­sagt haben – nicht wir; haben wir es ihm nicht gesagt? Na also. Uns trifft kei­ne Schuld – und um die Schuld­fra­ge geht es ja schluss­end­lich, auch wenn der gan­ze Schnee verbrennt.

Geht’s noch?