Von »der Menschheit« zu sprechen heißt, einen Sammelbegriff zu gebrauchen. Seiner als »Weltbevölkerung« quantifizierbaren Abstraktheit entsprechend lässt sich summarisch sagen: Auf dem Globus geht es mehr oder weniger »schlecht«, ja, im Durchschnitt lebensbedrohlich zu; das Ende menschlichen Fortbestehens ist bereits eingeläutet und nähert sich mit exponentieller Beschleunigung brutal rasant. Die Feststellung, es stehe »schlimm um uns alle« – apocalypse now! –, überrascht niemanden, denn das ist nun einmal »der Lauf der Welt«, der sich zumindest bei uns so zivilisiert wie möglich vollzieht. Somit lässt sich allgemeine Gelassenheit nicht so einfach durch spektakuläre Aktionen erschüttern, die Empörung darüber auslösen wollen, dass die Flammen des brennenden globalen Hauses von verantwortungslosen Feuerwehren nicht gelöscht werden. Der Bürger ist ja schon amtlich aufgerüttelt; schließlich haben sich Regierungsmitglieder nicht erst gestern vor schmelzende Eisberge gestellt. Das Fazit drohenden Weltuntergangs ist also von allen ziemlich einvernehmlich gezogen, und jetzt geht es »nur« noch darum, dessen Gründe auszumachen und gegen diese anzugehen.
Nur wenn man sich »die Welt« so macht, »wie sie mir gefällt«, ist die Funktion des Militärs zu übersehen, dessen Existenz kein »undemokratischer Wahnsinn« ist, den man bei guter Gesinnung auch lassen könnte. Im Gegenteil: Tatsächlich sind Herstellung, Beschaffung und Einsatz von Zerstörungsmitteln absolut unentbehrlich. Die höchste Instanz namens Staatsraison verlangt nach einem Arsenal, dessen Verschwurbelungen wie »Sondervermögen« und »Friedensfaszilitäten« Zustimmung gebührt, nach einer bedarfsgerechten Überwindung der naiven Gesellschaftsspaltung in Ziviles versus Militärisches, z. B. dem Entfallen universitärer »Zivilklauseln« (die militärischer Grundlagenforschung lediglich eine Verlaufsform gaben), nach zu Wehrhaftigkeit erziehenden Jugendoffizieren an Schulen und natürlich nach medialer Präsenz rund um die Uhr von Strack-Zimmermann und Hofreiter. Wenn das und mehr davon klappt – genug ist nicht genug, denn der Feind schläft nicht –, dann werden staatliche Interessen an Botmäßigkeit des Auslands, an Zugriff auf Länder und deren Ressourcen glaubwürdig und berechtigt. Dann fallen Vernichtungs-, Pardon, Verteidigungsdrohungen überzeugend aus. Dann gestattet es die Potenz, gegebenenfalls in Schutt und Asche zu legen, andere, deren Unberechtigtheit sich tautologisch darauf zusammenkürzen lässt, dass sie nicht »wir«, also z. B. undemokratisch sind, zur Anerkennung unserer Regeln zu zwingen. Dieses Können berechtigt uns dann auch. Sollten das als Feinde, Pardon, »systemische Rivalen« definierte Staaten nicht einsehen, so müssen sie eben gerechterweise »fühlen«. Fallbeispiele dafür gibt es zuhauf, wie sie in Michael Parentis materialreichem Against Empire (eine deutsche Übersetzung gibt es anscheinend nicht) aufgeführt sind. Da für Staaten dabei, sich anderer zu bedienen, immer Gefahr im Verzug ist, und sie deshalb gar nicht über genug Waffen verfügen können, fällt auch ihr Umgang mit der Natur entsprechend »robust«, vulgo verheerend aus. Das ist nicht der einzige Grund für die rasante Ruinierung der Natur, aber ein durchschlagender.
Staaten überprüfen ständig, inwieweit andere für ihr jeweils real verfolgtes Allgemeinwohl taugen, also für dieses einträglich bis ertragbar sind. So gut wie alle Staaten der heutigen Welt definieren es mit ihrem Recht und in ihrem Handeln als durchgesetzte und mit Gewalt garantierte Marktwirtschaft. Um eine zu sein, muss diese mit staatlicher Supervision und Hilfe nach dem Gesetz der »unsichtbaren Hand« funktionieren, die aus dem Streben einzelner in Konkurrenz zueinander gesetzter den »Reichtum der Nationen« erzeugen und so die Macht der jeweiligen Staaten mehren soll. Dafür muss sich aus Geld mehr Geld heckendes Privateigentum am inneren und äußeren Markt und an sonst nichts, aber das allemal, bewähren. Nach der Erledigung des Systemgegensatzes ist nun genügend Schamfrist vergangen; das böse Wort »Kapitalismus« kann heute wieder gebraucht werden im Bewusstsein darum, dass es sich bei ihm um nichts anderes als die bestmögliche – »nobody is perfect!« – Menschheitsbeglückung handelt. Mit ihr haben, was nicht ungerecht, sondern zwangsläufig ist, wenige viel von Staatsmachtmehrung durch Profit und umgekehrt. Zusätzlich aber wird der globale Schaden dadurch desaströs, dass – neben grundsätzlich für kapitalistische Türöffnungen geführten Kriegen – die Konkurrenz von Staaten um die Durchsetzung ihrer Kapitale auch unterhalb der Kriegsschwelle den Gebrauchswert der Natur und in ihr Ansässige »für eine Handvoll Dollars« atemberaubend schnell zur Unüberlebbarkeit vernichtet.
Die Klimawandelfolgen entspringen nicht – es sei nochmals gesagt – einer oft beklagten Gier von Menschen wie du und ich, die die Welt innerhalb noch ausreichender Zeit einsichtsvoll mit etwas Selbsteinschränkung zum Besseren bekehren könnten, wenn sie nur wollten. Der medial abgemeierte »Alarmismus« der »drama queen« Greta Thunberg lässt keinen Zweifel daran, wie dringlich die weltumspannenden Agenden tatsächlich geworden sind, aber er fällt auf steinigen Boden. Weshalb? Schlechte Presse zu kriegen, ist eine Sache, aber andererseits versagen ihr sogar ihre Bündnisgenossinnen die Gefolgschaft, wenn sich in ihre Appelle kapitalismus- und imperialismuskritische Töne einschleichen. Für an moralischen Ablasshandeln Interessierte geht das nämlich »irgendwie gar nicht«: eine fatale Distanzierung und Kappung von einem Zusammenhang.
Mark Fisher wird dieses zugeschrieben: »Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus«. Angesichts dessen, dass die Natur das Substrat der »Menschheit« ist, wird man wohl die Zerstörung beider nicht mögen – aber einfach deshalb auch nur meinend gegen Staatszwecke zu sein, die notwendig beides befördern, ist wohl schon reichlich überkandidelt. Wir warten lieber so lange, bis Olaf Scholz uns eine Bahnsteigkarte löst. Da verlassen wir uns ganz auf ihn; irgendwann im fünften Akt unserer Tragödie muss er uns ja hören. Und wenn nicht, wird er versagt haben – nicht wir; haben wir es ihm nicht gesagt? Na also. Uns trifft keine Schuld – und um die Schuldfrage geht es ja schlussendlich, auch wenn der ganze Schnee verbrennt.
Geht’s noch?