Wahlplakate und -versprechen, Schlagzeilen und Kommentare in Medien, Berichte der Tagesschau und Debatten in Talkshows: Was uns derzeit an Stimmungsmache statt Politik aufgedrängt wird, ist unerträglich. Verletzt Gefühle und Intellekt. Eine Propagandamaschinerie bearbeitet und manipuliert uns, damit wir, das Wahlvolk, keine kritischen Fragen stellen. Oder daran denken, eigene Forderungen durchzusetzen. Glaubt irgendjemand an bessere Lebensbedingungen nach den Wahlen?
Beginnen wir mit der Feststellung: Die Parteien, die seit Jahrzehnten die Regierungen gebildet haben – nennen wir sie Altparteien –, bieten im Wahlkampf für Probleme, die sie selbst zu verantworten haben, Scheinlösungen, die die Probleme noch vergrößern würden. Die Themen aber, die der Mehrheitsbevölkerung auf den Nägeln brennen, werden tunlichst verschwiegen. Das Land steckt wirtschaftlich und mental tief in der Krise, die Bevölkerung hat das Vertrauen in Regierung, Parteien und das Funktionieren der Demokratie verloren. Die Zuversicht in eine bessere Zukunft ist geschwunden. Junge Leute haben das Gefühl, die Politik arbeite gegen sie oder nehme sie gar nicht erst wahr. Die Stimmung ist desolat; umso mehr herrscht ein Überbietungswettbewerb immer gefährlicherer Versprechungen.
Nach Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, kosten die Wahlversprechen der FDP 138 Milliarden Euro – meist Steuererleichterungen für Topverdiener. Die Union ist mit 90 Milliarden dabei, Grüne mit 48 Milliarden; Schlusslicht SPD immer noch mit 30 Milliarden. Steuermittel, die für Schulen, Brücken, Schienen fehlen. Stattdessen sollen wir uns auf mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für den Krieg der Bundeswehr freuen – nein, Minister Habeck bietet mehr, erhöht auf 3,5 Prozent, eine knappe Verdoppelung der derzeitigen Ausgaben. Darf es etwas mehr sein, fünf Prozent? Strack-Zimmermann hält die Trump-Forderung für grenzwertig-seriös. Zahlen sollen dann die Rentner und Rentnerinnen, meint nicht nur der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Rentenkürzung für Hochrüstung! Bisher droht ja nur 16 Millionen Menschen Armut im Alter.
Hoffnung auf die Wahl? Die Altparteien haben jeden Kontakt zur Lebenswelt der Normalbürger verloren. Diese wollen soziale Sicherheit. Aber sie bekommen keine Antwort darauf, wie die wachsende Altersarmut behoben werden soll, damit alle in Würde und Sicherheit die letzten Lebensjahre genießen können. Und die unausgesprochenen Fragen der Kinder und Jugendlichen nach einer Zukunft ohne Angst vor Krieg und Armut? Angst, Bedrückung, Depression nehmen bei ihnen zu – na und? Ihr Leiden ist egal. Die Politiker der Altparteien haben auch bewiesen, dass ihnen bezahlbare Wohnungen, gut ausgestattete Krankenhäuser und Schulen, pünktliche Bahnen und sichere Brücken sowas von egal sind und bleiben: Wo hören wir Lösungsvorschläge dafür? Stellen sie etwa zur Diskussion, ob das Gesundheitswesen oder der Wohnungsmarkt dem Profitstreben von Investoren ausgeliefert bleiben soll? Warum zwingen die Medien sie nicht zu Antworten? Stellt doch mal die Segnungen des neoliberal radikalisierten Kapitalismus in Frage, also Deregulation, Privatisierung und Niedriglohn.
Hallo Politiker: Wieviel Ungleichheit haltet ihr für vereinbar mit dem sozialen Rechtsstaat? Ist es etwa gerecht, wenn die Reichen keine Vermögensteuer bezahlen, aber die schlimmsten Klimaverbrechen verursachen? Ihr faselt in Festansprachen und Wahlkämpfen von sozialem Zusammenhalt und sorgt gleichzeitig dafür, dass Ausbeutung und Armut gefördert werden, die Kluft immer tiefer wird, dass Angst und das Gefühl von Ohnmacht herrschen. Rechte und Faschisten erstarken. Denkt ihr darüber nach, warum sie überall gewählt werden, in der EU, in den USA, in Israel? Ihr schafft doch die Bedingungen dafür, dass sie erstarken!
Flüchtlinge dienen als Sündenböcke. Mit dem Kampf gegen die Elenden – es sei denn, sie sind gut ausgebildet und können als billige Arbeitskräfte dienen – lässt sich trefflich Wahlkampf machen. Natürlich bringen sie auch Probleme, besonders für die ärmeren Teile der Bevölkerung. Aber hallo Parteien, hallo Medien: Schon mal einen Gedanken auf die Ursachen der Flucht, also vor allem auf Kriege und Klimakatastrophen, auf Ausbeutung und imperiale Handelsbeziehungen verschwendet? Der Zusammenhang ist so offensichtlich; warum steht er nicht im Mittelpunkt der kritischen Berichterstattung?
Großkonzerne und Schattenbanken bestimmen über das Leben von Millionen, nehmen massiv Einfluss auf die Politik. Kein Thema für den Wahlkampf. Die Menschen werden nicht gefragt, ob sie den raubtierhaften Finanzkapitalismus herrschen lassen wollen, der die Wirtschaft ruiniert, Menschen nach ihrer Verwertbarkeit taxiert und ihre Rechte missachtet. So verwaltet etwa die Investmentgesellschaft BlackRock elf Billionen US-Dollar. Sie unterhält enge Verbindungen zu Regierungen, Rating-Agenturen, Konzernvorständen und internationalen Finanzinstituten. Ihren Aufstieg verdankt sie der Privatisierung der Altersvorsorge und des Wohnungsmarktes. Selbst kapitalfreundliche Medien beklagen die intime Verflechtung zwischen Politik und dieser unkontrollierbaren Schattenbank. Was hat das mit Demokratie zu tun, fragen wir den ehemaligen Deutschland-Chef Friedrich Merz. Die großen Medien kritisieren auch nicht die wachsende Macht des militärisch-industriellen Komplexes mit dem stärksten Interesse daran, dass Kriege entstehen, fortdauern und nicht durch Verhandlungen gelöst werden. Aber die, die daran Kritik üben, stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.
Friedensverhandlungen sind Teufelszeug, stehen beim Wahlkampf nicht zur Debatte. Hunderttausende sterben – na und? Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland? Kein Thema der Altparteien. Israels Besatzungs- und Vertreibungspolitik versus Völkerrecht, die Aufteilung Syriens zwischen USA, Israel und der Türkei versus UN-Charta? Geht uns nichts an. Die Dominanz einer Weltmacht, die die Vorherrschaft behalten will und dafür Staaten überfällt, 850 Militärstützpunkte in aller Welt unterhält, Regime-Change anzettelt und militärisch fördert, tödliche Sanktionen gegen jeden Widersacher verhängt: So ein Staat ist unser Vormund. Ob wir das so wollen, wird von Medien nicht thematisiert. Unsere Soldaten, Panzer und Kriegsschiffe sind in aller Welt zugange. Man züchtet Angst vor dem Russen, der uns überfallen will. Aber wagt jemand, die Kriege des Westens, seine Missachtung internationaler Verträge und die selbstverständliche Einmischung in die Politik aller Staaten zu hinterfragen, wird er oder sie gecancelt. Zur Erinnerung: Die US-Neokons haben ihren Plan – sieben Länder in fünf Jahren zu überfallen – fast schon übererfüllt, gehen jetzt zu Regime-Change und Stellvertreterkriegen über. Frage an Politiker: Wie sieht die Welt uns, den Westen, als Friedensbewahrer oder als imperiale Macht, an deren Scheinmoral die Welt genesen soll?
Kriegs- und Klimatote sind euch egal, aber ihr entwickelt eine ungeheure Sensibilität beim Gendern. Feministische Außenpolitik bedeutet offensichtlich nicht kluge Diplomatie für gemeinsame Sicherheit, sondern deutsche Kriegsschiffe vor China, Unterstützung von Völkermord, Waffenlieferung für den Mord an tausenden palästinensischen Kindern. Die Altparteien wollen uns mit aller Macht kriegstüchtig machen, uns und auch schon Kindern eine Kriegsmentalität aufzwingen. Die Bundeswehr produziert Hunderte von kriegsertüchtigenden Videos. Aber all das ist kein Thema für Wahlen, für kritische Berichte in den Medien. Lieber reden sie von Abzocke der Bürgergeldempfänger, von Ausweisung von Flüchtlingen. Schämt ihr euch nicht, Steuererleichterung für Reiche zu fordern, aber Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger oder Streichung von Feiertagen als Thema zu lancieren?
Die Themen im Wahlkampf werden mit Hilfe williger Leitmedien von den Altparteien gesetzt; wir, das Volk, sollen uns darum streiten wie Hunde um einen hingeworfenen Knochen. Was unser Leben bewegt und bestimmt, kommt nicht auf die Tagesordnung: Armut und soziale Kluft, Kriegspolitik und Militarismus zu Lasten der Daseinsvorsorge, Vasallenstatus Deutschlands. Diktatur der Konzerne, Meinungsmanipulation der Großmedien, Cancel-Culture und innerstaatliche Feinderklärung gegen abweichende Standpunkte – über all das sollen wir nicht reden oder gar abstimmen. Wir haben genug von eurem Gerede über Verantwortung in der Welt und über Zusammenhalt. Eure Versprechungen sind heuchlerisch: Ihr hattet über Jahrzehnte die Chance, eine bessere Welt zu schaffen, für alle. Jetzt sollen wir glauben, dass alles gut wird, wenn ihr wieder regiert? Das ist systematische Desinformation! Ihr delegitimiert den Staat und die Demokratie! Wir glauben euch nicht mehr! Wir wollen nicht imperiales Protzgehabe und Militarismus, sondern Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben!