Die imperialistische Konkurrenz, der Krieg in der Ukraine und eine multiple Wirtschaftskrise haben die politischen Strukturen in Deutschland ins Rutschen gebracht. Das dokumentieren die letzten Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die innenpolitische Situation scheint sich, schneller als gedacht, in Richtung eines »autoritären Nationalradikalismus« (Wilhelm Heitmeyer) der AfD zu verändern. Die faschistischen Kräfte in der Partei beteiligen sich daran, ohne ihr Ziel einer faschistischen Diktatur aus den Augen zu verlieren. Den traditionellen Parteien gelingt es nur noch mit Mühe, der AfD den Zutritt zur Regierungsbeteiligung in den Ländern und bald auch im Bund zu verwehren, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das ändern wird. Zugleich scheint die Veränderung in den politischen Strukturen das bisherige, von den traditionellen Parteien gebildete Machtzentrum zu zerstören, in dem diese sich bisher die Rollen von Regierung und Opposition wechselweise zuwiesen. Es bleiben, so die Hoffnung, noch mindestens vier bis fünf Jahre, bevor die AfD und ihre Mitläufer an Schalthebel der Macht in der Landes- und Bundespolitik kommen werden, vermutlich in einer Koalition mit der CDU.
In diesem Szenario ist das BSW mit seinen Wahlerfolgen in den ostdeutschen Ländern eine Wahl-Alternative, vor allem in der Friedensfrage. »Das BSW ist auf der linken Seite die einzig verbliebene parlamentarische Antikriegs-Kraft, die kräfteverstärkend mit einer breiten Friedensbewegung zusammenwirken kann« (Kathrin Otte und ihr »Was tun!?«-Netzwerk). Zudem eröffnet es mit seinen Wahl-Prozenten noch einmal die Möglichkeit einer Regierungsbildung ohne die AfD. Weder die Parteien des traditionellen Machtzentrums noch die Medien sind bereit, diese Leistung anzuerkennen. Die Partei »Die Linke« (PdL) tut so, als seien ihre Wahl-Prozente anderen Kräften zum Opfer gefallen und nicht der Konkurrenz mit der Gruppierung um Wagenknecht. Linke tun aber gut daran, das BSW als Teil der Linken ernst zu nehmen und nicht gleich mit Hilfe sogenannter »analytischer« Differenzierungen auszugrenzen. Das BSW vertritt traditionell sozialdemokratische Ziele, Werte und Perspektiven und vereinigt derzeit noch genug Randständigkeit, Widerspruchsgeist, Unbestechlichkeit (Fabio de Masi) und Spielräume, um trotz und wegen seiner vereinfachenden Werbeslogans für viele Menschen wählbar zu sein. Wie erfolgreich das ist, zeigte sich daran, dass das BSW mehr Stimmen gewann, als die PdL verlor. Allerdings wird das BSW vermutlich durch die Regierungsbeteiligungen in den ostdeutschen Ländern beschädigt werden, da es Kompromisse eingehen muss, die ihm nicht zum Vorteil gereichen.
Die Stimmen für das BSW sollten zukünftig Stimmen für eine sozialistische, antimilitaristische Linke werden. Die vorrangige Aufgabe der kommenden vier bis fünf Jahre scheint zu sein, auch und gerade mit Blick auf die Friedensbewegung, neue Organisations- und Kommunikationsformen unterhalb der Parteien zu entwickeln (vgl. Volker Külow, »Wir brauchen eine Debatte über Grundfragen linker Parteientheorie«), mit denen eine antimilitaristische und sozialistische Linke, so heterogen sie auch in vielerlei Hinsicht sein mag, politisch und sozial die Erbschaft von PdL und BSW antreten kann. Dafür muss sie, auch wenn das übertrieben klingen mag, eine Partei »neuen Typs« (Porsch, ND, 16.10.2024) entwickeln, die mehr und nachhaltiger Erfolg hat als die PdL Das Schlagwort ruft zwar historische Bezüge auf, die erdrückend sind und die aktuellen Aufgaben nicht besser sichtbar machen. Aber es geht darum, angesichts der Gefahr eines autoritären Regimes in Deutschland die Linke so weit zu (re)organisieren, dass sie sich einen und widerstandsfähige, gesellschaftspolitische Perspektiven entwickeln kann.
Linke Einheit ist daher als entscheidendes strategisches Ziel zu verstehen, das sich in einem organisatorischen Prozess manifestieren muss. Historisch meint die »Einheit« linker Parteien die Zusammenführung des sozialistischen und des kommunistischen »Flügels« der Linken. Diese beiden Flügel waren allerdings schon Ausdruck von Stagnation, rechte SPD und ultralinke KPD bekämpften sich in der Weimarer Republik. Heute geht es darum, unterschiedliche Gruppen und Organisationen zu integrieren, die mit ihrem theoretisch-strategischem Framing der gegenwärtigen Situation gerecht zu werden versuchen. Diese Integration kann nicht durch Konkurrenz um die »richtige« Einschätzung der aktuellen politischen Lage stattfinden, das ruft Differenzen immer wieder neu auf. Vielmehr geht es um die Aufgabe, solche Kommunikations- und Organisationsformen zu entwickeln, die die erforderliche Annäherung nicht zur Voraussetzung, aber zur möglichen Folge jedes Organisierungsschritts machen. »Richtige« Einschätzungen zur aktuellen politischen Lage können dann immer noch gemeinsam entwickelt werden.
Ein integrierender, sozialistischer Organisationsansatz müsste also einerseits unabdingbare Tagesaufgaben klären und organisieren, andererseits die Differenzen der verschiedenen Gruppen und Ansätze berücksichtigen und fruchtbar machen. Es wären also zum einen die unabdingbaren, aktuellen Elemente linker Tagespolitik als gemeinsamer Aktionsplan festzuschreiben, zum anderen die Differenzen so zu organisieren, dass bei verbleibender Autonomie der teilnehmenden Gruppen ein gemeinsamer Organisationskern entsteht, der klärt, welche Schritte als nächstes zu gehen und welche Probleme zu klären sind. Entscheidend wäre dabei, die Kooperation ohne den klassischen Kampf um Mehrheiten zu gestalten. Parallel könnten organisatorische Formen geschaffen werden, in denen die divergenten Aktionsformen und Positionen geklärt werden.
Diese Organisation »neuen Typs« der sozialistischen, antimilitaristischen Linken wird vielleicht denkbar, wenn sie sich am historischen Rätemodell mit seiner Ausrichtung von unten nach oben orientiert. Das könnte im ersten Schritt so funktionieren, dass sich linke Gruppen vor Ort an einem lokalen »sozialistischen Rat« beteiligen und dort ein gemeinsames tagespolitisches Programm aushandeln, danach auch auf regionaler Ebene und Landesebene. Im Idealfall könnte die vielgliedrige Linke sich jenseits des herrschenden Parteienmodells tagespolitisch vereinheitlichen, lokal verankern und demokratisch organisieren. Zudem würden künftige Organisationsformen einer Rätedemokratie vorweggenommen. Vor Ort könnte diese Organisation neuen Typs durch Kontakte, Gespräche und Aktionen der verschiedenen linken Gruppen vorbereitet werden, um die solidarische Verständigung miteinander zu entwickeln.