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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Was man so liest …

»Schaut auf But­scha« rief Ste­fan Kor­ne­li­us vor einem Jahr den Lesern der Süd­deut­schen Zei­tung zu. Was dort sicht­bar wer­de, schrieb der Lei­ter des Res­sorts Poli­tik in der Aus­ga­be vom 4. April 2022, las­se sich mit dem Begriff Ver­bre­chen nicht mal ansatz­wei­se beschrei­ben. Die Ukrai­ne erlei­de kei­nen Angriffs­krieg, son­dern einen Ver­nich­tungs­feld­zug. Die rus­si­sche Sol­da­tes­ka brand­schat­ze und mor­de nach Gusto.

Wer waren die Men­schen, die uns das Fern­se­hen damals gezeigt hat? Die Bevöl­ke­rung der Ukrai­ne besteht nach offi­zi­el­ler Zäh­lung zu 77,8 Pro­zent aus Ukrai­nern und zu 17,3 Pro­zent aus Rus­sen. Folg­lich könn­te es sich bei jedem fünf­ten Opfer um einen Rus­sen gehan­delt haben Bei der Iden­ti­fi­zie­rung der Lei­chen spiel­te das anschei­nend kei­ne Rol­le. Dem Ver­fas­ser des Kom­men­tars geht es auch um etwas ande­res. Er will uns die Abscheu­lich­keit des Ver­bre­chens ins Bewusst­sein rufen und wirbt um Ver­ständ­nis dafür, dass nie­mand in der Ukrai­ne mit Russ­land Frie­den schlie­ßen werde.

Dani­el Bröss­ler, Lei­ten­der Redak­teur in der Par­la­ments­re­dak­ti­on der Süd­deut­schen Zei­tung, spinnt den Faden am 31. Mai 2022 auf sei­ne Art wei­ter. Russ­land bedro­he unter der »faschi­sto­iden Füh­rung« Wla­di­mir Putins Euro­pa und den Welt­frie­den. Es sei gut, dass Deutsch­land sich dage­gen wapp­ne. Bei der Lie­fe­rung von Waf­fen an die Ukrai­ne sei es nie nur um den Fort­be­stand der Ukrai­ne gegan­gen, viel­mehr hän­ge die künf­ti­ge Gestalt Euro­pas davon ab, ob und in wel­chem Umfang Putin sei­ne »ver­bre­che­ri­schen Zie­le« erreiche.

Weni­ge Tage davor hat­te Wolf­gang Krach, einer der Chef­re­dak­teu­re des ange­se­he­nen Blat­tes geschrie­ben, es gebe gute Grün­de dafür, der Ukrai­ne sofort schwe­re Waf­fen zu lie­fern. Jeden Tag ermor­de­ten rus­si­sche Sol­da­ten Zivi­li­sten, zer­stör­ten Häu­ser, bom­bar­dier­ten Eisen­bahn­li­ni­en und erober­ten immer mehr ukrai­ni­sches Gebiet, Ange­la Mer­kels aus heu­ti­ger Sicht fal­sche Russ­land­po­li­tik habe »maß­geb­lich zu die­sem Krieg beigetragen«.

Im System­wett­be­werb mit den »Auto­kra­tien Chi­na und Russ­land“ könn­ten die west­li­chen Indu­strie­staa­ten nur bestehen, wenn sie ihre Glaub­wür­dig­keit zurück­ge­wän­nen, meint der Par­la­ments­kor­re­spon­dent des Blat­tes, Paul Anton Krü­ger, in der Aus­ga­be vom 8. Juli 2022. Der erste und not­wen­di­ge Schritt dazu sei, dem rus­si­schen Außen­mi­ni­ster Law­row ins Gesicht zu sagen, dass er der Ver­tre­ter »eines ver­bre­che­ri­schen Regimes« sei.

In der Aus­ga­be vom 10. Okto­ber 2022 frag­te die deutsch-fran­zö­si­sche Schrift­stel­le­rin Natha­lie Wei­den­feld, woher die lei­den­schaft­li­che Rage kom­me, mit der so vie­le kul­ti­vier­te Bür­ger nach Waf­fen rie­fen. Gera­de jene, die all­er­gisch auf Phra­sen wie »die« Frau­en reagier­ten, sprä­chen im Fall des Ukrai­ne­kon­flik­tes pro­blem­los von »den« Rus­sen oder auch »den« Ukrai­nern und steck­ten sie in ste­reo­ty­pi­sier­te Kli­schees, vor denen sie sonst lei­den­schaft­li­che gewarnt hät­ten. Auch in seriö­sen deut­schen Medi­en wür­den Ukrai­ner immer wie­der heroi­siert, wäh­rend Rus­sen dämo­ni­siert und die Ukrai­ne zum Hort indi­vi­du­el­ler Frei­heit und euro­päi­scher Wer­te idea­li­siert würde.

In einem Kom­men­tar zur Dis­kus­si­on über die Lie­fe­rung schwe­rer Waf­fen an die Ukrai­ne begeg­net uns ein Wort­schatz, der an Vic­tor Klem­pe­rers Stu­die über die Spra­che des Drit­tes Rei­ches erin­nert. Bei die­ser Debat­te, so Dani­el Bröss­ler, dürf­ten die Erfah­run­gen »mit Wla­di­mir Putin und des­sen Kriegs­ver­bre­cher-Cli­que« nicht aus­ge­blen­det wer­den, schreibt er in der Aus­ga­be vom 2. Janu­ar 2023. In die­sem Krieg gebe es kei­nen Sta­tus quo außer dem, der »dem Mas­sen­mör­der Putin« in die Hän­de spiele.

Dem Musik­kri­ti­ker der Süd­deut­schen Zei­tung, Hel­mut Mau­ró, platz­te eines Tages anschei­nend der Kra­gen. In einem Leit­ar­ti­kel des Feuil­le­tons schrieb er am 2. Febru­ar 2023, soweit dür­fe es nicht kom­men, dass die Ukrai­ne ver­lan­ge, rus­si­sche Künst­ler von deut­schen Spiel­plä­nen zu strei­chen. So etwas habe man frü­her nur aus Schur­ken­staa­ten gekannt oder in Roma­nen Franz Kaf­kas gele­sen. Die wehr­haf­te Demo­kra­tie möge sol­che Ver­hält­nis­se ver­hin­dern. Anschei­nend müs­se sie sich nicht nur gegen ihre Fein­de, son­dern auch gegen ihre lei­den­schaft­li­chen Freun­de verteidigen.

In einem Gespräch mit dem Lei­ter des Feuil­le­tons der Süd­deut­schen Zei­tung, Andri­an Kreye, gab der slo­we­ni­sche Phi­lo­soph Sla­voi Žižek zu beden­ken, dass Russ­land auch ein paar Garan­tien gege­ben wer­den müss­ten, zum Bei­spiel, dass das Ziel für uns als Westen nicht die Zer­stö­rung Russ­lands sei, son­dern das Über­le­ben der Ukrai­ne. »Tschai­kow­ski oder Dosto­jew­ski aus den Pro­gram­men neh­men? Mein Gott, da über­las­sen wir ja eini­ge der größ­ten Namen der Kul­tur­ge­schich­te Wla­di­mir Putin.« Nach­zu­le­sen in der Aus­ga­be vom 10. Febru­ar 2023.

Am 11. Febru­ar 2023 mel­det sich der Chef­re­dak­teur der Süd­deut­schen Zei­tung, Kurt Kiste, zu Wort. Nota­be­ne sei es kein spe­zi­fi­sches Ver­hal­ten »des Kriegs­ver­bre­chers Putin«, dass er in die Rol­le des Ver­tei­di­gers schlüp­fe. Die USA zum Bei­spiel hät­ten ihren Angriff auf den Irak 2003 damit »gerecht­fer­tigt«, dass sie und die Welt von Sad­dam Hus­s­eins Regime bedroht wür­den. Das war kein Ein­zel­fall. Nach Dar­stel­lung der kana­di­schen Platt­form Glo­bal Rese­arch haben die USA seit dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs 44 Staa­ten rund um die Welt direkt oder indi­rekt ange­grif­fen, um einen Regime­wech­sel zu bewirken.

In der Aus­ga­be vom 18. März 2023 erin­nert die außen­po­li­ti­sche Redak­teu­rin der Süd­deut­schen Zei­tung, Dun­ja Rama­dan, an die »zahl­rei­chen Kriegs­ver­bre­chen« der Ame­ri­ka­ner im Irak. Mil­lio­nen Men­schen sei­en damals welt­weit auf die Stra­ße gegan­gen, um dage­gen zu pro­te­stie­ren. Die Ver­ant­wort­li­chen sei­en nie belangt wor­den. Nie­mand in den wohl­tem­pe­rier­ten deut­schen Redak­ti­ons­stu­ben wäre jemals auf die Idee ver­fal­len, möch­te ich hin­zu­fü­gen, einen amtie­ren­den ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten als Mas­sen­mör­der oder die jeweils amtie­ren­de Regie­rung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten als Kriegs­ver­bre­cher-Cli­que zu bezeich­nen. Gilt Putin als Per­son min­de­ren Rechts? Schaut auf Auschwitz.