Fehlt Ihnen vielleicht noch ein Weihnachtsgeschenk, oder haben Sie selbst noch einen Wunsch offen? Dann habe ich eine Empfehlung für Sie: die Biografie einer starken, sympathischen Frau, die Ihnen bei der Lektüre ans Herz wachsen wird. Ihr Name: Greta Wehner.
Christoph Meyer, der an der Hochschule Mittweida als Professor für Soziale Arbeit lehrt, hat unter dem Titel »Greta Wehner – Eine Frau tritt aus dem Schatten« eine, ich kann es nicht anders sagen, liebevoll-persönliche Biografie geschrieben. Sie ist im November im Langen Müller Verlag erschienen, wenige Wochen vor dem 7. Todestag Gretas am 23. Dezember.
Von der ersten bis zur letzten Seite ist Meyers Sympathie spürbar. Kein Wunder, gehörte er doch über 20 Jahre zu den engsten Begleitern Greta Wehners: von 1998 bis 2011 als Leiter des Herbert-Wehner-Bildungswerks in Dresden und ab 2003 als ehrenamtlicher Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung, ebenfalls mit Sitz in Dresden. Vor diesem Hintergrund bekennt er, dass er die Biografie nicht allein auf der Basis wissenschaftlicher Quellenarbeit geschrieben hat, wie zum Beispiel sein 2006 veröffentlichtes Buch über Herbert Wehner, sondern: »Einen Menschen persönlich eng gekannt zu haben, das ist doch etwas Anderes. Bei mir liegt nicht nur Papier, hinzu kommt Erinnerung. Der Autor ist Zeitzeuge zugleich.«
Wenig zukunftsweisend verlief ihre erste Begegnung im Dezember 1997. Meyer: »Ich machte keinen großen Eindruck auf Greta, und sie machte auch keinen großen Eindruck auf mich.« Für Meyer war Greta Wehner »eine schlichte und umständliche alte Frau« mit weißem Haar und dicken Brillengläsern, Hörgeräten und Gehhilfen. Für Greta war der 31-jährige Meyer viel zu jung, um als neuer Leiter des Herbert-Wehner-Bildungswerks eingestellt zu werden, dessen Ehrenvorsitzende sie war. Sie sprach sich gegen seine Einstellung aus, er bekam den Job trotzdem. Keiner der beiden ahnte, »dass diese eher flüchtige Begegnung am Anfang einer 20-jährigen Verbindung steht«. Und dass Christoph Meyer ein Vierteljahrhundert später ein Buch über Greta Wehner schreiben wird, für das er auf ihren gesamten Nachlass zurückgreifen konnte.
Greta wurde am 31. Oktober 1924 in dem kleinen Ort Harxbüttel bei Braunschweig geboren, wo sich ihre aus Flensburg stammenden Eltern Charlotte und Carl Burmester – sie Gärtnerin, er Schiffszimmermann und Bootsbauer – für kurze Zeit einer von jungen, linken Idealisten gegründeten Landkommune angeschlossen hatten. Schon bald kehrte die kleine Familie nach Hamburg zurück, wo Greta 1931 eingeschult wurde. Im selben Jahr zogen die Burmesters in die Straße Wiesendamm im Stadtteil Barmbek, der durch die als »Hamburger Aufstand« glorifizierte Revolte im Oktober 1923 republikweit Berühmtheit erlangt hatte. Mutter Lotte war 1923 in die SPD eingetreten, wechselte 1927 zur KPD und wurde 1932 Frauenleiterin der KPD in Barmbek-Zentrum. Vater Carl, ebenfalls in der KPD, kandidierte 1932 für die Hamburger Bürgerschaft.
Mit dem 30. Januar 1933 begann auch für die Burmesters die Zeit des Widerstands und der Verfolgung. Zum Beginn der Sommerferien 1934 sahen Greta und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Peter den Vater zum letzten Mal. Als sie aus den Ferien zurückkehrten, erwartete eine Tante die Kinder auf dem Bahnhof. Die Eltern waren in Haft. Im Sommer 1934 kam Gretas Vater in der Gestapo-Haft ums Leben, die Mutter wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, aus der sie im Oktober 1935 entlassen wurde. Im Sommer 1937 floh sie mit ihren Kindern über Dänemark ins sozialdemokratisch regierte Schweden. Dort lernte sie Herbert Wehner kennen, den sie heiratete und mit dem sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Hamburg zurückkehrte.
Herbert Wehner trat im Oktober 1946 in die SPD ein. Er hatte mit dem Kommunismus gebrochen, und das Politbüro der KPD unter der Leitung Wilhelm Piecks hatte ihn aus der Partei ausgeschlossen. Greta Burmester wurde kurz nach ihrer Rückkehr aus dem schwedischen Exil am 1. August 1947 Mitglied der SPD. Sie hatte zuletzt in Schweden als Kinderkrankenschwester gearbeitet, jetzt ließ sie sich zur Sozialfürsorgerin ausbilden.
Schon bei der ersten Bundestagswahl 1949 wurde Herbert Wehner als Abgeordneter des heutigen Wahlkreises Hamburg-Harburg direkt in den Bundestag gewählt, ein Erfolg, den ihm 35 Jahre lang niemand streitig machen konnte. So lange wählten ihn die Harburger »direkt«. Zur Bundestagswahl 1983 trat Wehner dann nicht mehr an.
Das Jahr 1953 wurde zu einem entscheidenden Wendepunkt im Leben von Greta Burmester. Ihre Mutter erkrankte an den Spätfolgen der NS-Haft, und Wehner bat Greta, ihren Beruf aufzugeben und ihm und ihrer Mutter in Bonn zur Seite zu stehen. Es war ein »Hilferuf mit tiefgreifenden Folgen« (Meyer).
Herbert Wehner wurde in den Folgejahren zu einem der wichtigsten sozialdemokratischen Politiker der Bundesrepublik: als Bundestagsabgeordneter, als stellvertretender Parteivorsitzender, als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in der Großen Koalition im Kabinett Kiesinger, als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion während der sozialliberalen Koalition unter Führung Willy Brandts. Ohne Greta Burmester an seiner Seite hätte er die Jahre nicht meistern können. Sie war seine »wichtigste Mitarbeiterin«.
Als Greta Wehner und Christoph Meyer sich im Dezember 1997 zum ersten Mal begegneten, war Herbert Wehner seit sieben Jahren tot. 37 Jahre lang hatte Greta an der Seite des SPD-Politikers, bei dem 1966 ein schwerer Diabetes diagnostiziert wurde, für reibungslose Abläufe gesorgt und ihm Rückhalt gegeben: als Fahrerin, Sekretärin, Adjutantin, Büroleiterin, Referentin, Beraterin, Begleiterin, Haushälterin, Köchin, Fürsorgerin, schließlich als Ehefrau und Pflegerin.
»All diese Wörter«, so heißt es im Buch, »beschreiben Teile von Greta Wehners Tätigkeiten, keines jedoch trifft den Kern.« »Helferin, nicht Dienerin«, schlug Hans-Jochen Vogel einmal vor. Und Helmut Schmidt machte das Kompliment, an ihr sei »eine Politikerin verlorengegangen«.
Das Außergewöhnliche an Gretas Wirken sticht besonders im Kontext ihrer Zeit hervor: Zwar war die Gleichberechtigung von Mann und Frau 1949 ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschrieben worden, aber die Realität war eine andere. Da galten zum Beispiel im Familienrecht noch Gesetze aus dem 19. Jahrhundert. In Ehe und Familie hatte nur der Mann das Sagen. Er verdiente das Geld für den Unterhalt, die Frau hatte für den Haushalt und die Betreuung der Kinder zu sorgen. Bei deren Erziehung lag die Entscheidungsgewalt beim Vater. Bis 1962 durften Ehefrauen allein kein Konto eröffnen. Erst 1969 wurden Frauen voll geschäftsfähig. Der Mann konnte, falls die Ehefrau arbeitete, ihre Arbeitsstelle ohne ihr Zutun beim Arbeitgeber kündigen. Erst 1977 trat, von der sozialliberalen Koalition auf den Weg gebracht, das 1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts in Kraft, 1980 dann die Reform der elterlichen Sorge für die Kinder, die vorher »elterliche Gewalt« hieß. Emanzipation, Feminismus, Gleichbehandlung in der Sprache statt alltäglicher Männlichkeitsform: damals noch Zukunftsmusik.
Greta war sicherlich keine Feministin, aber sie hat den Weg der selbstbewussten, selbstbestimmten, meinungs- und standpunktfesten Frau vorgelebt. Die in der Biografie veröffentlichten Fotos zeigen, dass Greta selten von der Seite Herbert Wehners wich. Auf Parteitagen – bei solch einer Gelegenheit bin auch ich ihr begegnet –, 1956 in Jugoslawien bei Tito, 1969 in Rom bei Papst Paul VI., 1973 im Forsthaus Wildfang in der Schorfheide bei Erich Honecker und im selben Jahr in Leningrad, mit dem Panzerkreuzer »Aurora« im Hintergrund: Wo Herbert war, war auch Greta. Das gilt auch für die politischen, häufig vom Kalten Krieg geprägten Auseinandersetzungen um die Person Herbert Wehners, zum Beispiel um seine Rolle in der KPD und im Exil in Moskau, beim Rücktritt Willy Brandts oder bei den Freikäufen von DDR-Häftlingen. Spannende Seiten in der Biografie, aus Gretas Perspektive reflektiert.
Die »familiäre Symbiose, die ihresgleichen sucht« (Meyer), endete 1979 mit dem Tod von Gretas Mutter. Vier Jahre später heirateten Herbert Wehner und Greta Burmester. Meyer: »Für beide war dies die Bestätigung eines langen gemeinsamen Weges, und für Herbert Wehner erwies sich diese Ehe als lebensnotwendig. Denn er erkrankte bald an einer durch den Diabetes entstandenen Demenz, und die letzten Jahre bis zu Wehners Tod in Bonn am 19. Januar 1990 waren Jahre der aufopferungsvollen und umsichtigen Pflege durch seine Frau.«
Die Hamburg-Harburger SPD hat Greta Wehner gewürdigt, indem sie sich in der Bezirksversammlung für die Umbenennung des zwei Jahrzehnte zuvor nach Herbert Wehner benannten Platzes im Herzen des Stadtteils einsetzte. Frank Richter, damals Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Harburg, sagte zur Begründung: »Greta Wehner war nicht nur die Ehefrau von Herbert. Sie war für uns als Harburger SPD vor allem immer wieder die Seele an seiner Seite und sein Ohr für unsere Anliegen. Aber sie hat darüber hinaus nach Herberts Tod auch ihr eigenes Werk begonnen. So engagierte sich die ausgebildete Krankenschwester in der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft, war Mitbegründerin und aktive Mitwirkende des Herbert-Wehner-Bildungswerks in seiner Geburtsstadt Dresden und gründete die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung zur Förderung des Bildungswerks.«
Am 2. Juli 2023 erfolgte dann nach ansprechender Umgestaltung die Einweihung des neuen Areals, das seitdem Herbert-und-Greta-Wehner-Platz heißt.
»Mehr als die Frau an Herberts Seite« ist im Dezember 2017 Christoph Meyers Nachruf auf Greta Wehner im sozialdemokratischen Vorwärts überschrieben. Mit seiner Biografie hat Meyer sie »aus dem Schatten« treten lassen, eine Bemerkung des vormaligen SPD-Ministers Jürgen Schmude zitierend. Ich würde es anders formulieren: Greta Wehner ist aus dem Hintergrund hervorgetreten, an die Seite Herbert Wehners, dorthin, wo ihr Platz war.
Christoph Meyer: Greta Wehner – Eine Frau tritt aus dem Schatten, Langen Müller Verlag, München 2024, 360 S., 26 €.