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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Was bleibt vom Gedenken?

Mit einem Schlag war die deut­sche Selbst­ge­wiss­heit dahin, alles Not­wen­di­ge zur Bewäl­ti­gung der NS-Ver­gan­gen­heit getan zu haben. Drei Sät­ze des israe­li­schen Prä­si­den­ten Reu­ven Riv­lin genüg­ten, um Deutsch­land 75 Jah­re nach der Befrei­ung von Ausch­witz vor Augen zu füh­ren, vor wel­chem Pro­blem es bei der Bekämp­fung des Anti­se­mi­tis­mus steht: »Wir dür­fen nicht auf­ge­ben. Wir dür­fen nicht nach­las­sen. Deutsch­land darf hier nicht ver­sa­gen.« So gesche­hen im Deut­schen Bun­des­tag am 29. Janu­ar wäh­rend der Gedenk­fei­er für die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Der Gedan­ke eines mög­li­chen Ver­sa­gens wäre Riv­lin ver­mut­lich nicht gekom­men, wür­den die Über­le­ben­den des Holo­caust nicht von der Sor­ge getrie­ben, in Deutsch­land könn­te mög­li­cher­wei­se doch gesche­hen, was nicht gesche­hen darf.

Die­se Angst scheint auch den deut­schen Bun­des­prä­si­den­ten Frank-Wal­ter Stein­mei­er umzu­trei­ben, hat­te er zuvor doch gesagt: »Ich wünsch­te, ich könn­te – erst recht vor unse­rem Gast aus Isra­el – heu­te mit Über­zeu­gung sagen: Wir Deut­sche haben ver­stan­den. Unse­re Selbst­ge­wiss­heit war trü­ge­risch […] Wir dach­ten, der alte Ungeist wür­de mit der Zeit ver­ge­hen. Aber nein: Die bösen Gei­ster der Ver­gan­gen­heit zei­gen sich heu­te in neu­em Gewand.« Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Schäub­le klei­de­te sei­ne Sor­ge in die Wor­te, Ausch­witz zei­ge, »wie ver­führ­bar wir sind«. Immer noch gebe es Ver­su­che, »das Ver­bre­chen umzu­deu­ten oder kleinzureden«.

Die­se Ver­su­che gibt es nicht erst, seit ein Björn Höcke vom rech­ten Flü­gel der AfD die Erin­ne­rung an den mil­lio­nen­fa­chen Mord an Frau­en, Män­nern und Kin­dern als »däm­li­che Bewäl­ti­gungs­kul­tur« ver­un­glimpft. Es hat sie gege­ben, seit es die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gibt, unter­nom­men auch von Leu­ten, die sich nach außen hin als Ver­tei­di­ger der Demo­kra­tie gaben, in Wirk­lich­keit aber mit ihren schlimm­sten Fein­den im Bun­de waren, wie etwa der Mit­ver­fas­ser des Stan­dard­kom­men­tars zum Grund­ge­setz, Theo­dor Maunz. Sol­che Wöl­fe im Schafs­pelz gibt es auch heu­te noch, und sie sind nicht weni­ger gefähr­lich als die gestie­fel­ten Neo­na­zis, die ihren Anti­se­mi­tis­mus auf offe­ner Stra­ße her­aus­plär­ren. Ein ande­rer spiel­te nach außen hin den ober­sten Ver­fas­sungs­schüt­zer und beriet gleich­zei­tig heim­lich die AfD, wie sie sich am besten unan­greif­bar macht. Und dann auch noch das: In sen­si­blen Berei­chen der Bun­des­wehr wie dem Kom­man­do Spe­zi­al-Kräf­te (KSK) sind Neo­na­zis häu­fi­ger anzu­tref­fen als anderswo.

Etwas scheint schief­ge­lau­fen zu sein beim Umgang mit der deut­schen Ver­gan­gen­heit. Offen­sicht­lich wird Deutsch­land irr­tüm­li­cher­wei­se ande­ren Völ­kern als Vor­bild bei der Bewäl­ti­gung der Ver­gan­gen­heit hin­ge­stellt. Aus­ge­rech­net einen Tag vor den Gedenk­fei­ern für die Opfer des Nazi­re­gimes wur­den die Ergeb­nis­se einer Umfra­ge bekannt, wonach 22 Pro­zent der Deut­schen mei­nen, das Holo­caust-Geden­ken neh­me im Ver­gleich zu ande­ren The­men zu viel Raum ein. Das heißt, Mil­lio­nen Deut­sche hän­gen immer noch oder schon wie­der einer Denk­wei­se an, die zu Ausch­witz geführt hat.

Nichts ist gut in Deutsch­land, möch­te man da in Anleh­nung an Mar­got Käß­manns »Nichts ist gut in Afgha­ni­stan« sagen. Als Rats­vor­sit­zen­de der Evan­ge­li­schen Kir­che Deutsch­lands scheuch­te sie damit vor zehn Jah­ren die gesam­te poli­ti­sche Klas­se in Deutsch­land auf. Gelän­ge Ähn­li­ches doch auch Frank-Wal­ter Stein­mei­er! Steht doch immer noch die Mah­nung des Ausch­witz-Über­le­ben­den Pri­mo Levi im Raum: »Es ist gesche­hen, und folg­lich kann es wie­der gesche­hen. Dar­in liegt der Kern des­sen, was wir zu sagen haben.«