Das Bestreben jeglicher Kreatur, vom Guten zum Besseren zu kommen, in allen Ehren. Besserung zu geloben, ist ein Charaktermerkmal demütiger Bescheidenheit. Sich selbst für etwas Besseres zu halten, steht auf einem anderen Blatt. Ist es im Laufe der Jahre dominierend aufs große Blatt der Geschichte dieser Bundesrepublik gelangt? Ja, dieser auf deutschem Territorium als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches gewachsenen staatlichen Einheit? Das nun geschichtlich gesehen zum deutschen Idealstaat hochgepriesene Gebilde verleiht der Bewohnerschaft ein gewisses Gefühl. Man spürt es: Erhaben zu sein über andere.
Darin liegt ein Fluch: Das Grundbewusstsein der deutschen Bürgerinnen und Bürger ist eine vage Selbstgewissheit: die oft lediglich als Besserwisserei glossierte Vorstellung, immer und überall etwas Besseres zu sein. Der Komparativ wirft die Frage auf: »Besser als?« Er verflucht dazu, immer irgendwo das weniger Gute, ja, das Schlechte aufzuspüren. Notfalls, und das ist oft, muss man das andere eben schlecht machen. Man muss sich schütteln vor lauter Ekel im Angesicht des anderen – das bringt die edelsten Gefühle der Überlegenheit zum Wallen. Man setzt dann nach dem gewinnenden Lächel-Lachen der »Winner« gern die Miene des Mokierens über die »Loser« auf.
Das englische »lose« bedeutet über das Verlieren hinaus immer auch das Angeschmiert-Sein des vom Unglück im Spiel Verfolgten. Das deutsche Wort »Los« steht da durchaus Pate. Man zieht ein Los, verliert und leidet dann unter dem Los. Glücksritter und Erfolg-Erstreiterinnen dürfen angesichts dessen schon eine Überlegenheitspose riskieren. Der Erfolg ist schließlich Maßstab für ein Rechthaben. Der Körper streckt sich, die Gesichtszüge heben sich, und der Blick wechselt von oben herab nach unten. Welch erhabener Anblick, muss man jenen entgegenhalten, die da vorschnell eine Arroganz diagnostizieren. Dabei weiß man doch: Wer einmal den Begriff Toleranz so recht verinnerlicht hat, ist immun gegenüber derselben. Und er wird die Ignoranz immer nur bei den anderen verorten.
Nun heben die menschlichen Lebewesen dieser Herkunft oder Zuordnung sich halt ein wenig ab von den die nachbarlichen Bezirke besiedelnden Leuten. Gemeint ist das klar eingegrenzte Areal des von 1949 bis 1989 bestehenden Staates. Wer im stets so zutraulich als innerdeutsch bezeichneten Terrain östlich davon zuhause ist, wird nach dem unrühmlichen Ende des dort etablierten Staates noch auf Distanz gehalten. In jahrhundertelanger Erbfolge gleichgestellt angestammtes Gebiet wird als »Fünf neue Bundesländer« extra sortiert. Selbstbestimmung der Einwohnerschaft? Nun gut, sie ist nun föderal aufgeteilt, also eingeschränkt. Bestimmt über sie wird da, wo gesetzmäßig das Bessere zuhause ist – westlich davon.
Teilhaben an allem, was die Besseren erlebt haben oder momentan erleben, dürfen sie jedoch, als ob es das eigene Erlebnis wäre. Die Erfolge waren halt stets dort auszumachen. Aber sobald etwas schiefläuft, ist die Gemeinsamkeit gefragt. Die Östlichen reiben sich die Augen, wenn auch sie – oder womöglich vorzugsweise sie – dem Rassismus oder dem Sexismus gefrönt haben oder frönen sollen. Merke: Feinde müssen im Gegensatz zu Freunden immer gemeinsam gewesen sein. Wie schofel behandelte der Osten den verehrenswerten Hochadel! Die Hohenzollern total zu enteignen! Wie konnten sie das wagen? Es war nicht ihr einziger Fehler. Permanent müssen sie nun eines Besseren belehrt werden. Ein gutes Stück Arbeit, welches die Kräfte vieler gelehrter Potenzen und Eminenzen verzehrt. Aufopferungsvolle Einsätze mit energiegeladenem Auftreten werden abverlangt. Ohne eine lukrative Belohnung spielt sich da nichts ab.
Somit muss eben abgewartet werden, bis alle Nachzügler endlich das gleiche hohe Niveau erreicht haben. Richtig angeleitet von einem bewährten Führungspersonal, ist das zu schaffen. Immerhin werden in diesen Lehr- und Lernprozess die östlich angrenzenden Mitgliedstaaten der EU mit einbezogen. Von dort ist preiswertes Personal für Arbeitsmarkt und Lustsphäre zu gewinnen. Das Management der Investoren ist gefragt. Geschäftsmäßig lukrativ tätig werden, ist die Devise. Gewöhnliche Personen agieren da mit froh entspannter Miene. Die geforderten außergewöhnlichen Persönlichkeiten befleißigen sich eher einer hoheitsmäßig gesteigerten Mimik. Böse Zungen behaupten, dabei etwas von Gutsherrenart zu beobachten. Da ist eben noch etwas von der in der Diktatur gepflegten Übelnehmerei zu spüren.
Andere Völker, andere Sitten. Wenn deren Volksangehörige als Bittsteller vor der Tür stehen, so sind sie hereinzulassen. Geht es in großem Maßstab um Schuldenerlass oder im kleinen um Asyl, so sollten sie sich umgehend alle hier geltenden Sitten und Unsitten zu eigen machen. Unter Umständen sind sie dann in der Lage, das Herablassende des Gebarens ihrer Gönner(innen) gleich mit dem Erlernen der neuen mütterlichen Sprache zu verinnerlichen. Deren Brüder und Schwestern östlicher Herkunft nehmen das auf alle Fälle verwundert zur Kenntnis. Gestandene europäische Nachbarn – von oben herab behandelt, werden sie plötzlich störrisch und unleidlich. Merke: Verwandte sind nur mit Vorbehalt freundschaftlich zu begrüßen. Das Sprichwort spricht nicht umsonst vom Guten als Feind des Besseren. Und umgekehrt trifft es wahrlich oft genug ebenfalls zu.
Fortschritte sind ganz objektiv gesehen dennoch zu verzeichnen. Bestimmte Vokabeln der Arroganz sind nicht mehr en vogue. Wer spricht etwa noch von östlich unserer Grenzen wohnhaften »Untermenschen«. Inzwischen gibt es anders bezeichnete, ebenfalls nicht genau lokalisierbare, verachtenswerte Zielgruppen. Ominöse »Rechte« lauern hierzulande an jeder Straßenecke. Grassierender, übersteigerter Feminismus macht ganz schnell im männlichen Teil der Bevölkerung zum Feindbild mutierende Gestalten aus. Die Gleichberechtigung der Quasi-Gouvernante dem Quasi-Gouverneur gegenüber dürfte doch legitim sein. Vielleicht schafft die Bessere im Vergleich zu dem Besseren das Programm noch besser. Und kommt auf der Straße der Besten viel weiter.