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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Warum Krieg?

Aus­zü­ge aus einem Brief­wech­sel des Jah­res 1932, der im Jahr 1933 unter dem Titel »War­um Krieg?« vom Völ­ker­bund ver­öf­fent­licht wurde.

Albert Ein­stein

Lie­ber Herr Freud!

Ich bin glück­lich dar­über, dass ich durch die Anre­gung des Völ­ker­bun­des (…), in frei­em Mei­nungs­aus­tausch mit einer Per­son mei­ner Wahl ein frei gewähl­tes Pro­blem zu erör­tern, eine ein­zig­ar­ti­ge Gele­gen­heit erhal­te, mich mit ihnen über die­je­ni­ge Fra­ge zu unter­hal­ten, die mir beim gegen­wär­ti­gen Stand der Din­ge als die wich­tig­ste der Zivi­li­sa­ti­on erscheint: Gibt es einen Weg, die Men­schen vor dem Ver­häng­nis des Krie­ges zu befrei­en? Die Ein­sicht, dass die­se Fra­ge durch die Fort­schrit­te der Tech­nik zu einer Exi­stenz­fra­ge für die zivi­li­sier­te Mensch­heit gewor­den ist, ist ziem­lich all­ge­mein durch­ge­drun­gen und trotz­dem sind die hei­ßen Bemü­hun­gen um ihre Lösung bis­her in erschrecken­dem Maße gescheitert. (…)

Weil ich sel­ber ein von Affek­ten natio­na­ler Natur frei­er Mensch bin es scheint mir die äuße­re bezie­hungs­wei­se orga­ni­sa­to­ri­sche Sei­te des Pro­blems ein­fach: Die Staa­ten schaf­fen eine legis­la­ti­ve und gericht­li­che Behör­de zur Schlich­tung aller zwi­schen ihnen ent­ste­hen­den Kon­flik­te. Sie ver­pflich­ten sich, sich den von der legis­la­ti­ven Behör­de auf­ge­stell­ten Geset­zen zu unter­wer­fen, das Gericht in allen Streit­fäl­len anzu­ru­fen, sich sei­nen Ent­schei­dun­gen bedin­gungs­los zu beu­gen sowie alle die­je­ni­gen Maß­nah­men durch­zu­füh­ren, wel­che das Gericht für die Rea­li­sie­rung sei­ner Ent­schei­dun­gen für not­wen­dig erach­tet. (…) Wir sind aber zur­zeit weit davon ent­fernt, eine über­staat­li­che Orga­ni­sa­ti­on zu besit­zen, die ihrem Gericht unbe­streit­ba­re Auto­ri­tät zu ver­lei­hen und der Exe­ku­ti­on sei­ne Erkennt­nis­se abso­lu­ten Gehor­sam zu erzwin­gen imstan­de wäre. So drängt sich mir die erste Fest­stel­lung auf: Der Weg zur inter­na­tio­na­len Sicher­heit führt über den bedin­gungs­lo­sen Ver­zicht der Staa­ten auf einen Teil ihrer Hand­lungs­frei­heit bezw. Sou­ve­rä­ni­tät, und es dürf­te unbe­zwei­fel­bar sein, dass es einen ande­ren Weg zu die­ser Sicher­heit nicht gibt.

Ein Blick auf die Erfolg­lo­sig­keit der zwei­fel­los ernst gemein­ten Bemü­hun­gen der letz­ten Jahr­zehn­te, die­ses Ziel zu errei­chen, lässt jeden deut­lich füh­len, dass mäch­ti­ge psy­cho­lo­gi­sche Kräf­te am Wer­ke sind, die die­se Bemü­hun­gen para­ly­sie­ren. Eini­ge die­ser Kräf­te lie­gen offen zuta­ge. Das Macht­be­dürf­nis der jeweils herr­schen­den Schicht eines Staa­tes wider­setzt sich einer Ein­schrän­kung der Hoheits­rech­te des­sel­ben. Die­ses »poli­ti­sche Macht­be­dürf­nis« wird häu­fig genährt aus einem mate­ri­ell-öko­no­misch sich äußern­den Macht­stre­ben einer ande­ren Schicht. Ich den­ke hier vor­nehm­lich an die inner­halb jedes Vol­kes vor­han­de­ne klei­ne, aber ent­schlos­se­ne, sozia­len Erwä­gun­gen und Hem­mun­gen unzu­gäng­li­che Grup­pe jener Men­schen, denen Krieg, Waf­fen­her­stel­lung und Han­del nichts als eine Gele­gen­heit sind, per­sön­li­che Vor­tei­le zu zie­hen, den per­sön­li­chen Macht­be­reich zu erweitern.

Die­se ein­fa­che Fest­stel­lung bedeu­tet aber nur einen ersten Schritt in der Erkennt­nis der Zusam­men­hän­ge. Es erhebt sich sofort die Fra­ge: Wie ist es mög­lich, dass die soeben genann­te Min­der­heit die Mas­sen des Vol­kes ihren Gelü­sten dienst­bar machen kann, die durch einen Krieg nur zu lei­den und zu ver­lie­ren hat. (…) Hier scheint die nächst­lie­gen­de Ant­wort zu sein: Die Min­der­heit der jeweils Herr­schen­den hat vor allem die Schu­le, die Pres­se und mei­stens auch die reli­giö­sen Orga­ni­sa­tio­nen in ihrer Hand. Durch die­se Mit­tel beherrscht und lei­tet sie die Gefüh­le der gro­ßen Mas­se und macht die­se zu ihrem wil­len­lo­sen Werkzeuge.

Aber auch die­se Ant­wort erschöpft nicht den gan­zen Zusam­men­hang, denn es erhebt sich die Fra­ge: Wie ist es mög­lich, dass sich die Mas­se durch die genann­ten Mit­tel bis zur Rase­rei und Selbst­auf­op­fe­rung ent­flam­men lässt? Die Ant­wort kann nur sein: Im Men­schen lebt ein Bedürf­nis zu has­sen und zu ver­nich­ten. (…) Hier ist die Stel­le, die nur der gro­ße Ken­ner der mensch­li­chen Trie­be beleuch­ten kann.

Dies führt auf eine letz­te Fra­ge: Gibt es eine Mög­lich­keit, die psy­chi­sche Ent­wick­lung der Men­schen so zu lei­ten, dass sie den Psy­cho­sen des Has­ses und des Ver­nich­tens gegen­über wider­stands­fä­hi­ger wer­den? Ich den­ke dabei kei­nes­wegs nur an die soge­nann­ten Unge­bil­de­ten. Nach mei­nen Lebens­er­fah­run­gen ist es viel­mehr gera­de die soge­nann­te »Intel­li­genz«, wel­che den ver­häng­nis­vol­len Mas­sen­sug­ge­stio­nen am leich­te­sten unter­liegt, weil sie nicht unmit­tel­bar aus dem Erle­ben zu schöp­fen pflegt, son­dern auf dem Wege über das bedruck­te Papier am bequem­sten und voll­stän­dig­sten zu erfas­sen ist. (…)

Sieg­mund Freud

Lie­ber Herr Einstein!

Als ich hör­te, dass sie die Absicht haben, mich zum Gedan­ken­aus­tausch über ein The­ma auf­zu­for­dern, dem sie ihr Inter­es­se schen­ken und dass Ihnen auch des Inter­es­ses ande­rer wür­dig erscheint, stimm­te ich bereit­wil­lig zu. (…) Ich erschrak zunächst unter dem Ein­druck mei­ner –fast hät­te ich gesagt: unse­rer –Inkom­pe­tenz, denn das erschien mir als eine prak­ti­sche Auf­ga­be, die den Staats­män­nern zufällt. Ich ver­stand dann aber, dass Sie die Fra­ge nicht als Natur­for­scher und Phy­si­ker erho­ben haben, son­dern als Men­schen­freund, der den Anre­gun­gen des Völ­ker­bunds gefolgt war (…). Ich besann mich auch, dass mir nicht zuge­mu­tet wird, prak­ti­sche Vor­schlä­ge zu machen, son­dern dass ich nur ange­ben soll, wie sich das Pro­blem der Kriegs­ver­hü­tung einer psy­cho­lo­gi­schen Betrach­tung darstellt. (…)

Sie begin­nen mit dem Ver­hält­nis von Recht und Macht. Das ist gewiss der rich­ti­ge Aus­gangs­punkt für unse­re Unter­su­chung. Darf ich das Wort »Macht« durch das grel­le­re, här­te­re Wort »Gewalt« erset­zen? Recht und Gewalt sind uns heu­te Gegen­sät­ze. Es ist leicht zu zei­gen, dass sich das eine aus dem ande­ren ent­wickelt hat, und wenn wir auf die Uranfän­ge zurück­ge­hen und nach­se­hen, wie das zuerst gesche­hen ist, so fällt uns die Lösung des Pro­blems mühe­los zu. (…)

Inter­es­sen­kon­flik­te unter den Men­schen wer­den prin­zi­pi­ell durch die Anwen­dung von Gewalt ent­schie­den. (…) Auch inner­halb eines Gemein­we­sens ist die gewalt­sa­me Erle­di­gung von Inter­es­sen­kon­flik­ten nicht ver­mie­den wor­den. Aber die Not­wen­dig­kei­ten und Gemein­sam­kei­ten, die sich aus dem Zusam­men­le­ben auf dem­sel­ben Boden ablei­ten, sind einer raschen Been­di­gung sol­cher Kämp­fe gün­stig, und die Wahr­schein­lich­keit fried­li­cher Lösun­gen unter die­sen Bedin­gun­gen nimmt ste­tig zu. Ein Blick in die Mensch­heits­ge­schich­te zeigt uns aber eine unauf­hör­li­che Rei­he von Kon­flik­ten zwi­schen einem Gemein­we­sen und einem oder meh­re­ren ande­ren, zwi­schen grö­ße­ren und klei­ne­ren Ein­hei­ten, Stadt­ge­bie­ten, Land­schaf­ten, Stäm­men, Völ­kern, Rei­chen, die fast immer durch die Kraft­pro­be des Krie­ges ent­schie­den wer­den. Sol­che Krie­ge gehen ent­we­der in Berau­bung oder in vol­ler Unter­wer­fung, Erobe­rung des einen Teils, aus. Man kann die Erobe­rungs­krie­ge nicht ein­heit­lich beur­tei­len. Man­che wie die der Mon­go­len und Tür­ken haben nur Unheil gebracht, ande­re im Gegen­teil zur Umwand­lung von Gewalt in Recht bei­getra­gen, indem sie grö­ße­re Ein­hei­ten her­stell­ten, inner­halb deren nun die Mög­lich­keit der Gewalt­an­wen­dung auf­ge­hört hat­te und eine neue Rechts­ord­nung die Kon­flik­te schlich­te­te. So haben die Erobe­run­gen der Römer den Mit­tel­meer­län­dern die kost­ba­re Pax Roma­na gege­ben. Die Ver­grö­ße­rungs­lust der fran­zö­si­schen Köni­ge hat ein fried­li­ches geei­nig­tes, blü­hen­des Frank­reich geschaf­fen. So para­dox es klingt, man muss doch zuge­ste­hen, der Krieg wäre kein unge­eig­ne­tes Mit­tel zur Her­stel­lung des ersehn­ten »ewi­gen« Frie­dens, weil er imstan­de ist, jene gro­ßen Ein­hei­ten zu schaf­fen, inner­halb deren eine star­ke Zen­tral­ge­walt wei­te­re Krie­ge unmög­lich macht. Aber er taugt doch nicht dazu, denn die Erfol­ge der Erobe­rung sind in der Regel nicht dau­er­haft; die neu geschaf­fe­nen Ein­hei­ten zer­fal­len wie­der, meist infol­ge des man­geln­den Zusam­men­halts der gewalt­sa­men geei­nig­ten Teile. (…)

Auf unse­re Gegen­wart ange­wen­det ergibt sich das glei­che Resul­tat, zu dem Sie auf kür­ze­ren Weg gelangt sind. Eine siche­re Ver­hü­tung der Krie­ge ist nur mög­lich, wenn sich die Men­schen zur Ein­set­zung einer Zen­tral­ge­walt eini­gen, wel­cher der Rich­ter­spruch in allen Inter­es­sen­kon­flik­ten über­tra­gen wird. Hier sind offen­bar zwei For­de­run­gen ver­ei­nigt, dass eine sol­che über­ge­ord­ne­te Instanz geschaf­fen und dass ihr die erfor­der­li­che Macht gege­ben wer­de. Das eine allein wür­de nicht nüt­zen. Nun ist der Völ­ker­bund als sol­che Instanz gedacht, aber die ande­re Bedin­gung ist nicht erfüllt; der Völ­ker­bund hat kei­ne eige­ne Macht und kann sie nur bekom­men, wenn die Mit­glie­der der neu­en Eini­gung, die ein­zel­nen Staa­ten, sie ihm abtre­ten. Dazu scheint aber der­zeit wenig Aus­sicht vor­han­den. (…) Es gibt Per­so­nen, die vor­her­sa­gen, erst das all­ge­mei­ne Durch­drin­gen der bol­sche­wi­sti­schen Den­kungs­art wer­de den Krie­gen ein Ende machen kön­nen, aber von sol­chem Ziel sind wir heu­te jeden­falls weit ent­fernt, und viel­leicht wäre es nur nach schreck­li­chen Bür­ger­krie­gen erreich­bar. So scheint es also, dass der Ver­such, rea­le Macht durch die Macht der Ideen zu erset­zen, heu­te noch zum Fehl­schla­gen ver­ur­teilt ist.