Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Warum der Rechtsruck so gefährlich ist

Es scheint bis­her kei­ne Par­tei ein Mit­tel gefun­den zu haben, die Wahl­er­fol­ge der AfD abzu­wen­den. Ohne eine tie­fer gehen­de Ursa­chen­ana­ly­se ihres Wäh­ler­zu­spruchs, der ja in der west­li­chen Welt ein besorg­nis­er­re­gen­der Trend gewor­den ist, wird eine poli­ti­sche Gegen­be­we­gung, von wel­cher Par­tei auch immer, in einer gefähr­li­chen Defen­si­ve und Sack­gas­se enden. Eines jeden­falls dürf­te klar sein: Wer Grund­po­si­tio­nen der neu­en Rech­ten nur ansatz­wei­se über­nimmt, statt über­zeu­gen­de alter­na­ti­ve Lösungs­we­ge anzu­bie­ten, für Pro­ble­me, die ja vie­len Wäh­lern unter den Nägeln bren­nen, reißt die angeb­li­che »Brand­mau­er« gegen sie end­gül­tig ein. Die AfD wirbt nicht von unge­fähr um ein Bünd­nis mit dem bür­ger­li­chen Lager und pro­fi­liert sich als deren Vor­kämp­fer. Blo­ße Über­nah­me ihrer For­de­run­gen oder Beschwich­ti­gungs­po­li­tik bedeu­tet: Befeue­rung ihres Auf­stiegs. Das Grund­pro­blem aller Par­tei­en, die die Rech­ten zurück­drän­gen wol­len, ohne Grund­bau­stei­ne ihrer rech­ten Ideo­lo­gie zu ent­lar­ven oder sogar, indem sie deren angeb­li­che »Alter­na­ti­ven« über­neh­men, um die­se zu »exe­ku­tie­ren«, wie etwa radi­ka­le Abschie­bun­gen, Auf­rü­stung, Ent­staat­li­chung, Abbau des Sozi­al­staats, kurz­um: Ellen­bo­gen­ge­sell­schaft, läuft ins Lee­re und befeu­ert die­sen Auf­stieg noch. Bis­her hat m. E. kei­ner der geg­ne­ri­schen Par­tei­en wirk­lich begrif­fen, was die Glocke natio­nal und inter­na­tio­nal geschla­gen hat. Die AfD ist nur die Speer­spit­ze des ent­fes­sel­ten Kapi­ta­lis­mus – des­halb auch die Nähe zum Trum­pis­mus. Aber die Rech­ten bie­ten kei­ne men­schen­wür­di­gen Alter­na­ti­ven an, weil ihr Den­ken mit der NS-Ideo­lo­gie ver­wandt ist. Des­halb müs­sen fol­gen­de poli­ti­sche Grund­fra­gen neu gestellt und beant­wor­tet werden:

  1. Was sind Haupt­ur­sa­chen für die stän­di­gen Krie­ge seit dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on, und wie kön­nen sie rea­li­stisch been­det wer­den? Die­se Krie­ge, ob in Jugo­sla­wi­en, Irak, Liby­en, Afgha­ni­stan, Syri­en, Gaza, Jemen und schließ­lich in der Ukrai­ne, sind feder­füh­rend von den USA und ihren Nato-Ver­bün­de­ten nach 1990 geführt wor­den, um angeb­lich die betrof­fe­nen Völ­ker in ihrem Unab­hän­gig­keits­kampf gegen auto­ri­tä­re und unde­mo­kra­ti­sche Syste­me und gegen den inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus zu unter­stüt­zen. In Wirk­lich­keit sind dabei Mil­lio­nen Men­schen ums Leben gekom­men oder geflo­hen und die­se Län­der zer­stört wor­den. Auch die west­li­che Welt ist davon selbst unsi­che­rer gewor­den; töd­li­che Anschlä­ge, eth­ni­sche und sozia­le Spal­tun­gen, Infla­ti­on usw. haben auch die west­li­chen Gesell­schaf­ten desta­bi­li­siert und die Staats­ver­schul­dun­gen ins Uner­mess­li­che gestei­gert. Pro­fi­tiert haben davon vor allem die Rüstungs­ak­tio­nä­re. Die west­li­che Glo­bal­stra­te­gie ver­sucht nach ihrem »Sieg« im »Kal­ten Krieg« und dem Zusam­men­bruch des Sowjet­sy­stems die glo­ba­le Vor­herr­schaft immer wei­ter aus­zu­deh­nen. So sind jetzt auch die Ambi­tio­nen Trumps in Pana­ma, Kana­da und Grön­land nur eine Wei­ter­ent­wick­lung davon. Den­noch ist die­se Welt­po­li­tik auf Dau­er zum Schei­tern ver­ur­teilt, weil der ver­such­te Export des west­li­chen Systems gegen den frie­dens­stif­ten­den Kern der UN-Char­ta ver­stößt, die Welt immer mehr spal­tet und damit den stär­ker wer­den­den Wider­stand der Mehr­heit der Welt­be­völ­ke­rung her­vor­ruft, die sich etwa in den BRICS-Staa­ten orga­ni­sier­ten. Die Illu­si­on west­li­cher Ideo­lo­gie und Pra­xis basiert dar­auf, dass ihre Glo­ba­li­sie­rung – krie­ge­ri­sche Expan­si­on und Auf­rü­stung – die Welt fried­li­cher und lebens­wer­ter machen könn­te. Das Gegen­teil davon ist der Fall! Nur der glo­ba­len Wan­del durch gegen­sei­ti­ge poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Annä­he­rung und Durch­drin­gung, mit Hil­fe der durch Abrü­stung frei wer­den Steu­er­bil­lio­nen, kann die­se Welt fried­li­cher machen und die Gewalt aus­lö­sen­den uni­ver­sel­len Spal­tun­gen, die Gefahr eines 3. Welt­krie­ges zurück­drän­gen. Des­halb ist die Stär­kung der Welt­frie­dens­be­we­gung über alle Gren­zen gesell­schaft­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen und Par­tei­en hin­weg das alter­na­tiv­lo­se Haupt­mit­tel gegen die­se selbst­mör­de­ri­sche west­li­che Vorwärts-Strategie.
  2. Was haben die Flücht­lings­kri­sen damit zu tun, die den Rech­ten beson­ders in die Hän­de spie­len, und wie kön­nen sie men­schen­wür­dig bewäl­tigt wer­den? Es ist ver­ständ­lich, dass die Mil­lio­nen Flücht­lin­ge, die aus Kriegs- und Elends­ge­bie­ten, zuneh­mend auch durch die öko­lo­gi­sche Kri­se, nach Nord­ame­ri­ka, nach Mit­tel-, Süd-, Nord- und West­eu­ro­pa drän­gen, die dort leben­de, ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung immer stär­ker beun­ru­hi­gen und sozia­le Äng­ste aus­lö­sen, die dann von den Rech­ten geschürt wer­den, um damit Stim­men zu gewin­nen. Sie wer­den als Migran­ten in die über­stra­pa­zier­ten Sozi­al­sy­ste­me, als Kon­kur­ren­ten um teu­rer wer­den­de Woh­nun­gen und um Arbeits­plät­ze wahr­ge­nom­men und tra­gen in der öffent­li­chen (und ver­öf­fent­lich­ten) Wahr­neh­mung dazu bei, die Gewalt­kri­mi­na­li­tät zu erhö­hen. Die Ursa­chen, ihrer Flucht wer­den dabei weit­ge­hend auch von den herr­schen­den poli­ti­schen Klas­sen, im Ver­ein mit den Rech­ten, ver­drängt. Die Wut wird auf die Flücht­lin­ge pro­ji­ziert, nicht aber auf die Ver­ur­sa­cher ihrer rea­len Mise­re. Die Wor­te »Abschie­bung« oder »Remi­gra­ti­on« sug­ge­rie­ren des­halb Schein­lö­sun­gen, weil damit nur Sym­pto­me bekämpft wer­den. Denn die meist vom Westen mit­ver­schul­de­ten Flucht­ur­sa­chen in den einst kolo­nia­len Her­kunfts­län­dern wer­den dadurch nicht gelöst, son­dern nur durch eine frie­dens­stif­ten­de Ent­wick­lungs-, Wirt­schafts- und Außen­po­li­tik zurückgedrängt.
  3. Wel­che Inter­es­sen stecken hin­ter der neo­li­be­ra­len Wirt­schafts­stra­te­gie kapi­ta­li­sti­scher Glo­ba­li­sie­rung, die die öko­lo­gi­sche Kri­se ver­schärft, und was kann gegen die­se sozi­al-öko­lo­gi­sche Aus­beu­tung getan wer­den? Die Haupt­trieb­kräf­te hin­ter die­sem erneut ent­fes­sel­ten, glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus las­sen sich – so klar wie noch nie zuvor – an der Zusam­men­set­zung der jet­zi­gen USA-Regie­rung erken­nen, wo ohne jeg­li­che Tar­nung, Mul­ti-Mil­li­ar­dä­re, wie Musk, Zucker­berg und Trump den Ton ange­ben. Sie ver­su­chen sich und ihres­glei­chen von staat­li­cher und inter­na­tio­na­ler Regu­lie­rung zu befrei­en. Der Aus­stieg aus dem Welt­kli­ma-Abkom­men und der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on, das exten­si­ve Boh­ren nach Gas, Öl usw. wird die öko­lo­gi­sche Kri­se und die sozia­le Spal­tung skan­da­lös anhei­zen. Die­se Poli­tik wird die Rei­chen wei­ter immer rei­cher und die Armen immer ärmer machen, allen illu­sio­nä­ren Ver­spre­chun­gen zum Trotz. Das sym­bo­li­siert ein reak­tio­nä­res Men­schen- und Gesell­schafts­ver­ständ­nis, das »Recht des Stär­ke­ren«, das in die Zei­ten des Man­che­ster-Kapi­ta­lis­mus zurück­weist. Es ist nur zu hof­fen, dass sich dadurch die Wider­stands­be­we­gung der gewerk­schaft­lich orga­ni­sier­ten Arbei­ter­schaft und aller demo­kra­ti­schen Kräf­te in einer mul­ti­po­la­ren Welt viel stär­ker als bis­her soli­da­ri­sie­ren und der Ver­su­chung wider­ste­hen, einer illu­sio­nä­ren Beschwich­ti­gungs­po­li­tik der »offe­nen Hän­de« zu vertrauen.
  4. War­um sind ein soli­der Sozi­al­staat und die Über­win­dung deso­la­ter Infra­struk­tu­ren, die mehr sozia­le Sicher­heit gewähr­lei­sten, mit einem Schul­den­staat unmög­lich? Die Kern­for­de­rung demo­kra­ti­scher Volks­herr­schaft, im Gegen­satz zu auto­kra­ti­scher Allein­herr­schaft wohl­ha­ben­der Min­der­hei­ten, ist die Siche­rung des Gemein­wohls für die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Das heißt nicht nur mehr Teil­ha­be durch gerech­te Löh­ne und Gehäl­ter, son­dern Finan­zie­rung eines soli­den Sozi­al­staa­tes und einer intak­ten Infra­struk­tur. Das aber ist nicht durch einen Schul­den­staat oder durch Schul­den­brem­sen, gar Steu­er­erleich­te­run­gen auf Kosten der All­ge­mein­heit zu lei­sten. Des­halb ist die Durch­set­zung von pro­gres­si­ven Steu­ern das A und O, die zugleich tech­no­lo­gi­scher Moder­ni­sie­rung und dem not­wen­di­gen öko­lo­gi­schen Umbau zugu­te­kom­men kön­nen. Ein Schul­den­staat, der auch noch Bil­lio­nen für Auf­rü­stung und desa­strö­se Krie­ge zur Berei­che­rung der Rüstungs­ak­tio­nä­re ver­schleu­dert, kann die­sen Auf­ga­ben nie­mals gerecht wer­den. Des­halb hän­gen der poli­ti­sche Kampf um gerech­te Steu­er­po­li­tik, öko­lo­gi­scher Umbau und Frie­dens­po­li­tik untrenn­bar zusammen.
  5. Inwie­fern weist die Stra­te­gie der neu­en Rech­ten, Par­al­le­len zur NS-Ideo­lo­gie auf, und war­um hel­fen dage­gen nur brei­te Bünd­nis­se? Wer Wäh­ler der neu­en Rech­te zurück­zu­ge­win­nen ver­sucht, kommt nicht umhin, die ideo­lo­gi­schen Schar­nie­re zur NS-Ideo­lo­gie offen­zu­le­gen, die trotz aller moder­ni­sier­ten Rhe­to­rik deut­lich vor­han­den sind. Die­se Gesin­nung beruht auch auf tie­fen Schwä­chen der Erin­ne­rungs­kul­tur nach 1945. Der Natio­na­lis­mus erfüllt die alte und neue Funk­ti­on, den Kampf zwi­schen Herr­schen­den und Beherrsch­ten zum Kampf gegen die Migran­ten umzu­len­ken, so wie einst gegen die Juden, um sie zu »remi­grie­ren«. Die Migra­ti­ons­ur­sa­chen wer­den ver­drängt. Geschürt wird dage­gen ein natio­na­les, patrio­ti­sches Gemein­schafts­ge­fühl, das mit den Herr­schen­den Bünd­nis­se sucht, weil das angeb­lich der Nati­on zugu­te­kommt, weil alle angeb­lich in »einem Boot« sit­zen. Der Popu­lis­mus stellt sich schein­bar gegen die herr­schen­den Eli­ten auf die Sei­te des »klei­nen Man­nes« und behaup­tet von sich, den wah­ren Wil­len des Vol­kes zu reprä­sen­tie­ren. Trump und die AfD insze­nie­ren sich zugleich als »Opfer« des Rechts­staa­tes, obwohl sich in ihren Rei­hen kri­mi­nel­le Täter und Volks­ver­het­zer befin­den, die die Arti­kel demo­kra­ti­scher Ver­fas­sun­gen aus­he­beln wol­len. Die Auto­kra­tie will einen patri­ar­cha­li­schen Füh­rer­kult implan­tie­ren, der auf den lan­ge tra­dier­ten Unter­ta­nen­geist und die Auto­ri­täts­gläu­big­keit der Bevöl­ke­rung setzt, die im täg­li­chen Exi­stenz­kampf oft nicht in der Lage ist, aus­rei­chen­des poli­ti­sches Wis­sen und Kom­pe­tenz zu erwer­ben. Der Impe­ria­lis­mus ist das radi­ka­le außen­po­li­ti­sche Pro­gramm der Rück­kehr zum dere­gu­lier­ten Kapi­ta­lis­mus, so wie einst die USA ent­stand und zur Welt­macht auf­stieg, als die Macht des »wei­ßen Man­nes« über die Schwä­che­ren, die Indi­ge­nen und ande­rer Kon­kur­ren­ten welt­weit den »Sieg« davon­trug. Die Frei­heits­sta­tue im Hafen von New York, mit der erho­be­nen Fackel in der rech­ten Hand und der sie­ben zacki­gen Kro­ne, sym­bo­li­siert den impe­ria­len Anspruch der Herr­schen­den in den USA, wie einst die Frei­heits­göt­tin im alten Rom, nun­mehr ihre bür­ger­li­chen Frei­hei­ten über die sie­ben Welt­mee­re und sie­ben Kon­ti­nen­te zu ver­brei­ten. Das bedeu­tet heu­te: »Make Ame­ri­ka gre­at again!«

Wie die Illu­sio­nen des Römi­schen Impe­ri­ums und sein Zer­fall schließ­lich ende­ten, wis­sen wir heu­te sehr genau: Die Unab­hän­gig­keits­be­we­gun­gen der Völ­ker in den römi­schen Kolo­nien, die zugleich an dem geraub­ten Reich­tum par­ti­zi­pie­ren woll­ten, brach­ten schließ­lich eine neue Gesell­schafts­ord­nung hervor.