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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Walter Libudas metaphernreiche Bildwelten

Die Bezie­hung von Innen und Außen, von Sicht­ba­rem und Unsicht­ba­rem, Wahr­neh­mung und Vor­stel­lung, Objek­ti­vier­ba­rem und Sub­jek­ti­vem bestimmt das Werk des in Schil­dow nörd­lich von Ber­lin leben­den Malers, Zeich­ners, Bild­hau­ers und Objekt­künst­lers Wal­ter Libu­da. Sein Inter­es­se zielt neben den kost­bar struk­tu­rier­ten, die opti­schen Sin­ne anspre­chen­den male­ri­schen Ober­flä­chen immer auch auf das ideel­le Wesen einer Erschei­nung, ihren inne­ren Gehalt ab. Sei­ne Arbei­ten sind Boten aus einem Zwi­schen­reich, weder Traum noch Realität.

Eine Aus­wahl von Bil­dern, Skulp­tu­ren, Kera­mi­ken, Objek­ten, Reli­ef­kä­sten bezie­hungs­wei­se mit Papier­ar­bei­ten gefüll­ten Objekt­kä­sten der letz­ten 20 Jah­re zeigt jetzt der Kunst­han­del Dr. Wil­fried Kar­ger. In male­ri­schen Kör­pern kreist Libu­da sei­ne Bild­the­men ein, dabei ganz unter­schied­li­che Tech­ni­ken, Mate­ria­li­en und Kunst­gat­tun­gen wäh­lend. »Gelb-Kra­gen« (2010), »Hand an der Nase« (2015), »Wie man sich sieht« (2015), »Drei-Tage-Vier­tel« (2006 – 2019), »Klei­ner Fisch­schlucker« (2009 – 2019) oder »Nicht vorn, nicht hin­ten« (2010 – 2019, alle Öl auf Lein­wand), so die Bild­ti­tel. Doch die sind trü­ge­risch, nicht im wört­li­chen Sin­ne zu ver­ste­hen. Es sind Vexier­bil­der, die alles ver­keh­ren, einen nar­ren, unter­schied­li­che Bild­in­hal­te wahr­neh­men las­sen, Such­bil­der, die außer dem schein­bar erkenn­ba­ren Sujet, der Figur auch Ande­res, nicht gleich Erkenn­ba­res ent­hal­ten. Schnapp­schüs­se des Unmög­li­chen. Es ist das sur­rea­li­sti­sche Ver­fah­ren, wie man eine Bild­vor­stel­lung her­vor­ruft durch uner­war­te­te Asso­zia­tio­nen und anschei­nend zufäl­li­ge Zusam­men­stel­lun­gen, die sich dann als durch­aus bewusst her­aus­stel­len. Ein Ding zu betrach­ten und ein ande­res zu sehen. Oder ein Ding ver­än­dert durch sein Vor­han­den­sein die Bedeu­tung eines ande­ren. Und so läuft durch Libu­das Arbei­ten eine Ket­te von sich sum­mie­ren­den Bedeutungen.

Wie bei einem Blick durch ein Ver­grö­ße­rungs­glas oder ein Mikro­skop eröff­net sich dem Betrach­ter eine meta­phern­rei­che Bild­welt der Irr­gär­ten frei­er Asso­zia­ti­on, küh­ner Kon­struk­te und Appa­ra­tu­ren, fremd­ar­ti­ger Geschöp­fe, mit Bild­fal­len ver­se­he­ner Ört­lich­kei­ten – eine eige­nen Geset­zen fol­gen­de »Schöp­fungs­ge­schich­te« von über­quel­len­dem Erfin­dungs­reich­tum. Ein­ge­setzt in die leuch­ten­den, juwe­len­ar­tig fun­keln­den und wie magne­tisch geord­ne­ten Strö­me las­sen sich Figu­ra­tio­nen aus­ma­chen, nicht zur Figur zusam­men­ge­zo­gen, aber zugleich auch vor dem Ver­schwin­den im Grund geret­tet. Sie ste­hen bewe­gungs­los im (Bild-)Raum, sug­ge­rie­ren aber eine oft aggres­si­ve Vehe­menz des Han­delns. Das Bild eine Büh­ne, Poe­sie, Ver­wand­lung, Ver­wechs­lung, Far­ce, Magie, Zau­ber, Zir­kus, vene­zia­ni­scher Kar­ne­val, Pup­pen­spiel, Tag- und Nacht­traum, auch »Ali­ce im Wun­der­land«, aber eher noch »Ali­ce hin­ter den Spie­geln«. Denn dahin­ter steht die moder­ne Erfah­rung von Abgrün­dig­keit und Boden­lo­sig­keit, die sich in den zwei- und drei­di­men­sio­na­len Arbei­ten Libu­das so aus­wirkt, dass ihre Dar­stel­lungs­mit­tel aus­ein­an­der­trei­ben und sich nicht mehr zu einer sofort erkenn­ba­ren bild­li­chen Dar­stel­lung fügen wollen.

Sei­ne Kunst­wer­ke drän­gen über die Bild­flä­che hin­aus, ver­dich­ten sich zu Reli­efs, wuchern als halb orga­ni­sche, halb geo­me­tri­sche Kon­struk­tio­nen in den Raum aus, wer­den zu gebau­ten Archi­tek­tu­ren, run­den sich zu Figu­ren, Gestal­ten, Men­schen­bil­dern, füh­ren als Fabel­we­sen ihr geheim­nis­vol­les Eigen­le­ben. Libu­das Skulp­tu­ren mögen über­füllt und impul­siv erschei­nen, aber das machen sie durch die Inten­si­tät des Gefühls, aus dem sie erup­tiv ent­stan­den sind, wie­der wett.

Sei­ne bemal­ten und ver­gla­sten Objekt­kä­sten hat er als »Welt­räu­me« bezeich­net. Es sind ver­schach­tel­te, geheim­nis­vol­le, unüber­schau­ba­re Minia­tur­wel­ten, gefer­tigt in sorg­fäl­ti­ger Klein­ar­beit aus Pap­pe, Papier­ma­ché und Papier. Los­ge­löst von kon­kre­ten Inhal­ten las­sen sie kom­ple­xe Gestal­tun­gen in zahl­lo­ser Varia­ti­on zu: sta­ti­sche For­men, die in Bewe­gung gera­ten, geschlos­se­ne Bau­tei­le, die sich öff­nen und mit­ein­an­der kor­re­spon­die­ren. Die Kästen sind vol­ler Leben, aber es ist kein Leben, das mor­pho­lo­gisch einen Sinn ergibt. Wenn die Arbeit für Zufalls­ef­fek­te, unvor­her­ge­se­he­ne Kom­bi­na­tio­nen und unbe­ab­sich­tig­te Meta­phern offen­bleibt, wenn sie sich selbst erst im Ver­lauf des Her­stel­lungs­pro­zes­ses »ent­deckt«, nicht aber bewusst geplant und durch­ge­führt wird, dann kann das Unbe­wuss­te in ihr wir­ken. Das Unter­be­wuss­te ein Instru­ment, mit dem man neue For­men erfin­den kann. Der Künst­ler als Schöp­fer eines eige­nen Universums.

Die gan­ze Tra­gö­die und Komö­die des Men­schen­le­bens, Gefähr­dun­gen, Lockun­gen, Täu­schun­gen, Ver­let­zun­gen und Ent­blö­ßun­gen, ohn­mäch­ti­ges Auf­leh­nen und Selbst­zer­stö­ren, der Kampf um Selbst­be­haup­tung, auch gegen sich selbst, der not­wen­di­ge wie erfun­de­ne – ein Form­wer­den aus Far­be, eine ver­dich­te­te Ahnung. Wenn die Far­be sich wie ein wabern­des Gespinst ver­dich­tet zu einem Kör­per, soll die Male­rei einen festen Kör­per erhal­ten. Gegen die Gefähr­lich­keit der Auf­lö­sung der Male­rei als Erin­ne­rung setzt Libu­da die schwe­re Kör­per­lich­keit der male­ri­schen Mit­tel, die Wol­ken­brü­che der Far­be und die Magie einer erfun­de­nen, kom­ple­xen Welt. Aber immer blei­ben die Struk­tu­ren offen.

»Frei­rei­ser« – Pla­sti­ken, Objekt­kä­sten, Bil­der von Wal­ter Libu­da. Kunst­han­del Dr. Wil­fried Kar­ger im stil­werk Ber­lin, Kant­stra­ße 17, Die – Fr 14 – 19 Uhr, Sa 10 – 19 Uhr, bis 25. Janu­ar 2020