Mit dem Buch »Konrad Wolf: Chronist im Jahrhundert der Extreme« geht Die Andere Bibliothek weit über eine Biographie hinaus. Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel, beide mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen – sie evangelische Pastorin und lange Jahre Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, er Musiker, Sänger, Schriftsteller und Regisseur – haben die dreißiger Jahre bis zur Gegenwart beleuchtet: die Hitler-Zeit und die Zeit des Stalin, die des Krieges und die Nachkriegszeit und die des gespaltenen Deutschland. Erst mit der Rückkehr der Söhne Friedrich Wolfs aus der Sowjetunion in das Deutschland des sozialistischen Umbruchs, öffnet sich der Text zum Schaffen von Konrad Wolf, zu seinen bedeutenden Spielfilmen von »Sterne« bis »Ich war neunzehn«, von »Professor Mamlock« bis »Goya« und »Solo Sunny«. Zuvor ging es vorrangig um Konrad Wolfs Vater, um Friedrich Wolf, den Kommunisten, den Stückeschreiber, den Arzt, den Mann, den die Frauen liebten. Eine unter ihnen, mit der er engstens verbunden war und die ihm eine Tochter gebar, wurde (die Umstände werden aufgezeigt) in ein Straflager verbannt. Es spricht sehr für Wolfs Ehefrau, dass sie das Kind liebevoll und ohne Zögern in die Familie aufnahm, wo es wie ein eigenes aufwuchs. Viel war bis dahin über das Ehepaar Wolf zu erfahren gewesen, wie die beiden vor den Schergen der Nazis in die Sowjetunion flüchteten, Friedrich Wolf in Moskau als Dramatiker gefeiert und verehrt und er daraufhin in die USA eingeladen wurde. Wo er hätte bleiben können. Und nicht blieb. Er kehrte zurück ins rote Russland, das er als Land der Werktätigen empfand, als Land seiner Hoffnung und zweite Heimat. Dass es ihn später zu den Interbrigaden im Spanienkrieg drängte, entsprang nicht allein seinen politischen Überzeugungen, sondern auch den Zwängen, derer er sich zunehmend bewusst geworden war, jenen allerorts spürbaren Repressionen – wohin, fragte er sich, waren so viele seiner deutschen Genossen verschwunden, die wie er in die Sowjetunion geflohen waren? Da mutete ihn ein Einsatz im Spanienkrieg wie eine Art Befreiung an. Und dass er bei Ende des Krieges an Stalin die dringliche Bitte richtete, mit der ersten Gruppe deutscher Kommunisten in die Heimat zurückgeschickt zu werden, war folgerichtig. Das Schreiben an Stalin, im Buch wörtlich zitiert, erweist sich als ein Zeugnis von Entschlossenheit und Mut – auch lässt es enttäuschte Hoffnungen ahnen und vergangene Illusionen. Antje Vollmers und Hans-Eckardt Wenzels Konrad-Wolf-Buch, in Wahrheit ein Buch über das Leben der Familie Wolf, ihrer Freunde und Genossen und deren Kämpfe und Konflikte, Sehnsüchte und Niederlagen, entfaltet sich zu einem Zeitzeugnis von bleibendem Wert und stellt ein sehr besonderes Leseerlebnis dar.
Antje Vollmer/Hans-Eckardt Wenzel: »Konrad Wolf: Chronist im Jahrhundert der Extreme«, Die Andere Bibliothek, 468 Seiten, 42 €