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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Walter Kaufmanns Lektüre

Eugen Ruge hat­te Akten­ein­sicht, und was er zuta­ge för­der­te, bleibt unbe­strit­ten: Ver­neh­mungs­pro­to­kol­le zuhauf, Todes­ur­tei­le, Ver­ban­nun­gen. Der sta­li­ni­sti­sche Ter­ror jener Mos­kau­er Jah­re 1936/​37 war fürch­ter­lich, er hat Nach­wir­kun­gen bis in die Gegen­wart – allein die Vor­stel­lung ist grau­en­voll, dass in rus­si­schen Ker­kern Kom­mu­ni­sten gefol­tert und getö­tet wur­den, dar­un­ter zahl­lo­se deut­sche, die den Hen­kern der Nazis ent­kom­men waren, nicht weni­ge auch, die im Auf­trag der deut­schen KP in der Kom­in­tern für die Welt­re­vo­lu­ti­on wir­ken soll­ten. Von sol­chen Män­nern und Frau­en erzählt Eugen Ruges Roman »Metro­pol«, er erzählt, wie sie ver­schwan­den, ihre Schar zer­rüt­tet und dezi­miert wur­de und wie jeder für sich aufs nach­mit­ter­nächt­li­che Knacken des Auf­zugs im Wohn­ge­bäu­de lausch­te und dem dann fol­gen­den Klop­fen an der Tür: Holen sie jetzt dich oder den Genos­sen neben­an? Sie ver­schwan­den im Glau­ben an Sta­lin, gin­gen in den Tod mit sei­nem Namen auf den Lip­pen – wenn Sta­lin davon wüss­te, dach­ten sie, er wür­de es nicht dul­den. Väter­chen Sta­lin wür­de es ver­hin­dern! So gin­gen sie, einer nach dem ande­ren, den Weg zur Erschie­ßung oder zur Ver­ban­nung. Auch wenn sie gestan­den hat­ten, den Fol­tern erle­gen waren, blie­ben sie sich ihrer Unschuld bewusst. Gegen Ende des Romans sind ihre Rei­hen gelich­tet, und wer übrig blieb, frag­te sich, war­um er ver­schont wurde.

Egon Ruges Buch ist ein düste­res Buch, düste­rer als Arthur Köst­lers »Son­nen­fin­ster­nis« oder Nino Hara­ti­schwi­lis »Das ach­te Leben«. »Metro­pol« ist so kalt, so dun­kel, dass der All­tag, das täg­li­che rus­si­sche Leben (das ja wei­ter­ging, bei allem Tra­gi­schen wei­ter­ge­hen muss­te) völ­lig über­schat­tet bleibt. Es drängt sich die Fra­ge auf, was die­ser neu­er­li­che Dolch­stoß gegen den Kom­mu­nis­mus bewir­ken soll. Sta­lin ist tot, der Sta­li­nis­mus ist über­wun­den, die Sowjet­uni­on gibt es nicht mehr. Soll die Schil­de­rung jener mör­de­ri­schen Ver­gan­gen­heit dazu füh­ren, das Jetzt und Heu­te unse­rer gegen­wär­ti­gen Welt zu akzep­tie­ren? Das wird Eugen Ruge nicht gewollt haben. Was aber will er?

Eugen Ruge: »Metro­pol«, Rowohlt, 432 Sei­ten, 24 €