Daniela Dahns jüngstem Buch »Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute« ist größte Resonanz vorauszusagen. Die Arbeit hat Biss, ist zupackend, ist faktenreich und durchweg spannend. Man schlage eine beliebige Buchseite auf, stets wird man etwas Besonderem zustimmen wollen. Nicht zu Unrecht, so sagt man sich, fragt Daniela Dahn: »Wer wagt es heute Menschen wie Bruno Baum und Julián Grimau zu beleidigen?« Womit zwei ermordete Antifaschisten Erwähnung finden, nach denen in der DDR Straßen und Plätze benannt worden waren. (Was dann nach dem Mauerfall umgehend geändert wurde …, weg mit diesen Roten!)
Später im Buch zeigt Daniela Dahn, wie ein Jurist namens Thümmler, der es 1941 zum Gestapo-Chef in Chemnitz gebracht hatte, einen Anwalt beauftragt, im Chemnitzer Rathaus nachzufragen, »was denn aus seiner [im Krieg zusammengerafften, W. K.] Kunstsammlung geworden sei«. Anonym lässt er das erkunden, ein Unterton von »wir sind wieder da!« bleibt aber deutlich. Laut einer Spiegel-Umfrage im Jahr 1992, heißt es anderswo, äußerten sich Ostdeutsche weniger antisemitisch, rechtsradikal und ausländerfeindlich als Westdeutsche. »Erst in den letzten Jahren«, konstatiert Daniela Dahn, »nähern sich die Werte langsam an – die innere Einheit in ihrer unerwünschten Form.« Zum Vorwurf »verzwergten« Denkens von »indoktrinierten« DDRlern, erlaubt sich Daniela Dahn zu entgegnen: »Wie viel Gehirnwäsche habt ihr [Westbürger, W. K.] eigentlich über euch ergehen lassen, um bis heute die Mär zu glauben, die Amerikaner hätten euch nach dem Krieg Freiheit und Demokratie gebracht?« Weiter im Buch ist zu lesen: »Wenn deutsche Hartz-IV-Empfänger heute Flaschen sammeln, dann nicht wegen der Rettung von Geflüchteten, sondern wegen der Rettung von Banken.« Und umseitig erfährt der Leser, dass die »Bekämpfung der Fluchtursachen … zweifellos die beste Lösung« sei – schon seit Jahrzehnten aber würde das vergeblich verlangt. »Warum sollte es gerade jetzt gelingen?« Und auf der folgenden Seite wird festgestellt: »Die Ignoranz von heute ist unser Notstand von morgen.« Genug der Zitate? Jawohl, genug! Nur dieses noch: »Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben.«
Und wenn gegen Ende des Buches Daniela Dahn jedwede Rüstung ablehnt, sie Entrüstung über Gewalt fordert, ist sie zum Kern der Misere vorgedrungen. »Auf einem eurer Plakate«, ruft sie den Scharen junger Leute von Fridays for Future zu, »habt ihr die Worte CLIMATE CHANGE durchgestrichen und darüber SYSTEM CHANGE geschrieben.« Und damit, liebe Leser, klingt das so herrlich streitbare Buch aus …
Daniela Dahn: »Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit – eine Abrechnung, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 287 Seiten, 14 €. Buchpremiere: 1. Oktober, 20 Uhr, Pfefferberg Theater, Schönhauser Allee 176, Berlin: Daniela Dahn im Gespräch mit Peter Brandt. Weitere Veranstaltungen siehe: https://www.danieladahn.de/termine/.