Der Rezensent ist gespalten. Zum einen beeindruckt ihn, wie Isabel Allende in ihrem Roman vom »unvergänglichen Sommer« Einblicke in ein Chile unter Pinochet gibt, sie die verzweifelte Suche einer Mutter nach ihrem verschollenen Sohn erlebbar macht; sie die Gangsterbanden in Guatemala schildert, deren grausame Mordlust, ihr Wüten in der Bevölkerung, ihre Vergewaltigungen und blutigen Rituale und ihre höllischen Racheakte gegen Abtrünnige aus den eigenen Reihen; auch wie die Allende Fehden darstellt und Kleinkriege, die in der Bevölkerung Massenfluchten auslösen, an denen sich ruchlose Schlepper bereichern, und was es mit sich bringt, Grenzen illegal durchbrechen zu müssen, aus mexikanischer Wüste letztlich in die USA zu gelangen, wo sich ungeahnte, oft grausame Schicksale auftun! Parallelen zu den Schicksalen Geflüchteter in unseren Breitengraden finden sich hier. Zum anderen jedoch verwirrt es, dass die Allende gegen jegliche Chronologie erzählt. Nicht dass der Rezensent auf Chronologie bestünde. Sie zu durchbrechen, kann oftmals ein Spannungselement sein – und doch: Bei all ihrer südamerikanischen Erzählkunst verwirrt die Allende allzu häufig. Sie zwingt ihre Leser hin und her zu denken – am ärgsten aber stieß dem Rezensenten die »Räuberpistole« von der Leiche im Kofferraum einer Luxuslimousine auf, die tagelang durch eine Schneelandschaft zu einem abgelegenen See gefahren wird, weil sie dort versenkt werden soll. Dass die Leiche dann anderswo und anderswie entsorgt wird, kompliziert die Sache derart, dass der Rezensent die dramaturgische Notwendigkeit der Mordaffäre bezweifelt. Wäre der Roman nicht ohne diesen Handlungsfaden schlüssiger, ja geradezu überzeugender gewesen? Die Leiche im Kofferraum verfälscht die Intentionen des Romans über lange Strecken, lenkt ab vom Soziologischen, vom Politischen; wobei der schließlich aufgeklärte Mord den Ausklang des Romans wie ein Klumpen Blei belastet. Was zur Folge hat, dass der Rezensent zwischen einem Ja zu diesem Buch und einem nicht weniger emphatischen Nein
schwankt.
Isabel Allende: »Ein unvergänglicher Sommer«, übersetzt von Svenja Becker, Suhrkamp, 348 Seiten, 24 €