Zweifellos wird man der jungen Angie Thomas, die an der Belhaven University in Jackson, Mississippi ihren Bachelor-Abschluss im Fach Kreatives Schreiben gemacht hatte, ein gerüttelt Maß an Richtlinien mit auf den Weg gegeben haben: Fabel, Aufbau, Gliederung …, kurzum Hinweise zu allem, was einen Roman handfest und gut lesbar macht. Talent aber ist nicht lehrbar. Angie Thomas hat Seele, hat Gespür, hat Sinn für Atmosphärisches, ist stets am Puls des Geschehens, und hinhören kann sie, dass es eine Lust ist – so sprechen die Afroamerikaner der Ghettos und so, wenn es sie in die Welt der Weißen verschlägt. Und ihr Familiensinn, dieses Einander-Brauchen, Füreinander-da-Sein – Angie Thomas stellt einen Zusammenhalt dar, wie sie ihn von Kindheit an erfahren haben wird. Der ist quer durch den Roman spürbar. In »The Hate U Give« wirkt jede Begebenheit authentisch. Und sollte es im Leben der Angie Thomas nie einen Jugendfreund gegeben haben, der von einem Streifenpolizisten erschossen worden ist, ihre Schilderung, wie eine solche Gewalttat abläuft, lässt glauben, dass die tatsächlich vor ihren Augen passierte: die Panik der Frau angesichts des blinkenden Blaulichts (Starrs Panik im Buch); der Trotz des jungen Schwarzen am Steuer; diese aus der Angst geborene Schießwut des weißen Polizisten – Mord im Dunkel der Nacht auf einer öden Vorstadtstraße von Jackson, Mississippi. Stelle den an den Anfang des Romans, und dann steigere die Spannung bis hin zu den Protestkrawallen. So wird man es ihr geraten, so wird sie es sich selbst geraten haben, und folglich ist ein Roman entstanden, der packender nicht sein kann, nicht aktueller bei all den Polizistenmorden in den USA, ein Buch über junge Schwarze aus dem Ghetto von Jackson, das von einem Drogenboss und seiner Gang tyrannisiert wird, und über junge Weiße aus wohlhabender Gegend, die in Villen wohnen und in teuren Autos zum Unterricht gefahren werden. Ein Buch rundum über junge Leute, dabei durchaus nicht nur für eine derartige Leserschaft. Es gibt kurze Romane, die lang, und lange Romane, die kurz sind – die fünfhundert Seiten von »The Hate U Give« lesen sich wie im Fluge.