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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Walter Kaufmanns Lektüre

Wie frech, und dabei urko­misch, Woo­dy Allen sei­ne Jugend beschreibt, das Stra­ßen­jun­gen-Dasein eines klei­nen Aller­welts­gau­ners namens Konig­s­berg, der in Brook­lyn zuhau­se ist, wo er mit Kar­ten- und Münz­tricks und gezink­ten Golf­bäl­len Beu­te­dol­lars ein­streicht, die er am Times Squa­re von Man­hat­tan für Fast Food und Kino­kar­ten ver­ju­belt, für Movies, die ihn begei­stern und immer wie­der die Schu­le schwän­zen las­sen, die den Witz­bold in ihm wecken, den Komö­di­an­ten, der Lach­sal­ven aus­zu­lö­sen ver­mag und unbän­di­ges Schen­kel­schla­gen und der über kurz oder lang unter fri­schem Namen zum Mimen in Bou­le­vard­stücken reift: Woo­dy Allen, ein Tau­send­sas­sa. Das alles erzählt er in locke­rem Stra­ßen­jar­gon. Erst als er sei­ne eigent­li­che Beru­fung zu ahnen beginnt, er den Ablauf klei­ner Spiel­fil­me ent­wirft, die er schließ­lich rea­li­siert – oft mit sich selbst im Mit­tel­punkt – wird sein Erzähl­stil ern­ster, stren­ger, gesetz­ter. Wir erfah­ren, wie er Mit­ar­bei­ter gewinnt, Kön­ner im Fil­me­ma­chen, Skript­schrei­ber, Kame­ra­leu­te, Schau­spie­ler und Schau­spie­le­rin­nen, die ver­siert sind. Er, der Direk­tor, wird sie getrost machen las­sen, wie sie es anbie­ten. Kaum einen Blick braucht es, kaum ein Wort der Anwei­sung, und sie set­zen um, was im Dreh­buch steht oder spon­tan von ihm, Woo­dy Allen, ent­wickelt wird – Klap­pe zu, fer­tig, aus! Oh, Allen liebt sei­ne Mimen, lobt sie, hebt sie in den Him­mel. Quer durch die Auto­bio­gra­phie fin­det sich kein kri­ti­sches Wort über all jene, die dazu bei­getra­gen haben, sei­ne Fil­me welt­weit bekannt zu machen. Kri­tisch ist Woo­dy Allen nur gegen sich selbst. Er weiß, dass er kein Felli­ni ist, kein Ing­mar Berg­man, ver­gleicht sei­ne Dicht­kunst nicht mit der eines Clifford Odets, eines Euge­ne O’Neill, eines Ten­nes­see Wil­liams. Er gibt sich beschei­den. Das ringt Ach­tung ab, Bewun­de­rung für sei­nen Arbeits­ei­fer, sei­ne Zähig­keit, sei­ne immer wie­der beacht­li­che Lei­stung und dafür, wie er, arbei­tend, arbei­tend, arbei­tend, der Welt die Stirn bie­tet, er Ver­leum­dun­gen und Gehäs­sig­kei­ten aus­hält und es erträgt, dass von übler Nach­re­de stets etwas hän­gen bleibt. Obwohl er von jeg­li­chem Kin­des­miss­brauch an sei­ner damals sie­ben­jäh­ri­gen Adop­tiv­toch­ter Dylan frei­ge­spro­chen und nie auch nur eine Ver­war­nung gegen ihn erho­ben wur­de, wird 35 Jah­re lang der Schat­ten des Ver­dachts über ihm schwe­ben – bis hin zur MeToo-Kam­pa­gne, die auch ihn erfasst. Die New York Times lässt in einem Bei­trag uner­wähnt, dass ihn, unab­hän­gig von ein­an­der, zwei gro­ße bun­des­staat­li­che Unter­su­chun­gen von jeg­li­chem Kin­des­miss­brauch ent­la­ste­ten – »er strei­tet es ab«, ver­merkt die Zei­tung ledig­lich. Da ist Woo­dy Allen im 84. Lebens­jahr. Al Capo­ne, schreibt er, hat es auch abge­strit­ten, nicht anders die Ange­klag­ten im Nürn­ber­ger Pro­zess. »Hät­te ich es getan, hät­te auch ich es abge­strit­ten.« Erst viel spä­ter wird ihm die New York Times die Gele­gen­heit zu einer Erwi­de­rung geben – die jedoch erzielt die nöti­ge Wir­kung nicht. »Ich muss schon sagen«, schreibt Woo­dy Allen resi­gniert, »dass ich gestaunt habe, wie vie­le aus mei­ner Bran­che ein­fach umge­kippt sind …« Ach ja, MeToo! »Wie groß doch die Ver­su­chung ist, sich mit einem risi­ko­frei­en Stand­punkt in der Öffent­lich­keit zu sonnen …«

Woo­dy Allen: »Ganz neben­bei«, Auto­bio­gra­phie aus dem Eng­li­schen von Ste­fa­nie Jacobs, Hai­ner Kober, Andrea O’Brien und Jan Schön­herr, Rowohlt Ver­lag, 448 Sei­ten, 25 €