Wie frech, und dabei urkomisch, Woody Allen seine Jugend beschreibt, das Straßenjungen-Dasein eines kleinen Allerweltsgauners namens Konigsberg, der in Brooklyn zuhause ist, wo er mit Karten- und Münztricks und gezinkten Golfbällen Beutedollars einstreicht, die er am Times Square von Manhattan für Fast Food und Kinokarten verjubelt, für Movies, die ihn begeistern und immer wieder die Schule schwänzen lassen, die den Witzbold in ihm wecken, den Komödianten, der Lachsalven auszulösen vermag und unbändiges Schenkelschlagen und der über kurz oder lang unter frischem Namen zum Mimen in Boulevardstücken reift: Woody Allen, ein Tausendsassa. Das alles erzählt er in lockerem Straßenjargon. Erst als er seine eigentliche Berufung zu ahnen beginnt, er den Ablauf kleiner Spielfilme entwirft, die er schließlich realisiert – oft mit sich selbst im Mittelpunkt – wird sein Erzählstil ernster, strenger, gesetzter. Wir erfahren, wie er Mitarbeiter gewinnt, Könner im Filmemachen, Skriptschreiber, Kameraleute, Schauspieler und Schauspielerinnen, die versiert sind. Er, der Direktor, wird sie getrost machen lassen, wie sie es anbieten. Kaum einen Blick braucht es, kaum ein Wort der Anweisung, und sie setzen um, was im Drehbuch steht oder spontan von ihm, Woody Allen, entwickelt wird – Klappe zu, fertig, aus! Oh, Allen liebt seine Mimen, lobt sie, hebt sie in den Himmel. Quer durch die Autobiographie findet sich kein kritisches Wort über all jene, die dazu beigetragen haben, seine Filme weltweit bekannt zu machen. Kritisch ist Woody Allen nur gegen sich selbst. Er weiß, dass er kein Fellini ist, kein Ingmar Bergman, vergleicht seine Dichtkunst nicht mit der eines Clifford Odets, eines Eugene O’Neill, eines Tennessee Williams. Er gibt sich bescheiden. Das ringt Achtung ab, Bewunderung für seinen Arbeitseifer, seine Zähigkeit, seine immer wieder beachtliche Leistung und dafür, wie er, arbeitend, arbeitend, arbeitend, der Welt die Stirn bietet, er Verleumdungen und Gehässigkeiten aushält und es erträgt, dass von übler Nachrede stets etwas hängen bleibt. Obwohl er von jeglichem Kindesmissbrauch an seiner damals siebenjährigen Adoptivtochter Dylan freigesprochen und nie auch nur eine Verwarnung gegen ihn erhoben wurde, wird 35 Jahre lang der Schatten des Verdachts über ihm schweben – bis hin zur MeToo-Kampagne, die auch ihn erfasst. Die New York Times lässt in einem Beitrag unerwähnt, dass ihn, unabhängig von einander, zwei große bundesstaatliche Untersuchungen von jeglichem Kindesmissbrauch entlasteten – »er streitet es ab«, vermerkt die Zeitung lediglich. Da ist Woody Allen im 84. Lebensjahr. Al Capone, schreibt er, hat es auch abgestritten, nicht anders die Angeklagten im Nürnberger Prozess. »Hätte ich es getan, hätte auch ich es abgestritten.« Erst viel später wird ihm die New York Times die Gelegenheit zu einer Erwiderung geben – die jedoch erzielt die nötige Wirkung nicht. »Ich muss schon sagen«, schreibt Woody Allen resigniert, »dass ich gestaunt habe, wie viele aus meiner Branche einfach umgekippt sind …« Ach ja, MeToo! »Wie groß doch die Versuchung ist, sich mit einem risikofreien Standpunkt in der Öffentlichkeit zu sonnen …«
Woody Allen: »Ganz nebenbei«, Autobiographie aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O’Brien und Jan Schönherr, Rowohlt Verlag, 448 Seiten, 25 €