Das sehr Besondere an Günther Weisenborns »Memorial« ist der Wechsel zwischen gelebtem Leben und dem bedrängten Leben in der Kerkerzelle: ein Buch von großer Leuchtkraft und bleibender Gültigkeit, das heute so aufregt wie es im achtundvierziger Jahr, als es in achtzehn Sprachen um die Welt ging, aufgeregt haben muss: argentinische Landschaften und die Türme von Manhattan, Paris im Frühling und das Licht von Rom, Wanderungen in schneeigen Bergen und durch üppige Wälder, Liebe unter schattigen Bäumen und bunte Theaterbälle, innige Küsse und rasante Touren im Cabriolet mit dem Wind im Haar … Hier zeichnet sich das Leben eines jungen Dramatikers in den Anfangsjahren seiner Erfolge ab, eines Mannes, dem die Welt offen steht, und der eben diese von ihm eroberte Welt verlässt, um nach Deutschland zurückzukehren und dort Widerstand zu leisten. Hitler, das ist der Krieg! Wie es das Schicksal will, Günther Weisenborn gerät in die Fänge der Gestapo, gleich all den anderen um Harro Schulze-Boysen. Am Ende trennt ihn unmittelbar vor Kriegsende nur ein Tag vom Tod am Strang, als die Gestapo-Leute noch dreizehn seiner Genossen zur Hinrichtung abführen: »Der Rest ist morgen dran«, verkünden sie. Günther Weisenborn wird zu den neun Widerständlern gehören, die die Rotarmisten bei der Befreiung von Luckau den Henkern entreißen. Er überlebt und schreibt »Memorial«, ein Buch, auf dessen Seiten sich die Schilderung seiner Kerkertage gegen die Schilderung schönster Jugendzeit abhebt wie Kohlestriche auf weißer Wand. Wir erleben einen Mann, der seine Verzweiflung besiegt, einen Standhaften, der seine Standhaftigkeit nie benennt, auch seinen Mut und seine Tatkraft nicht, und der noch in finsterster Nacht auf ein besseres Deutschland hofft. Möge der Verbrecher Verlag eine Renaissance von »Memorial« bewirken – das wäre zu begrüßen!
Günther Weisenborn: »Memorial«, Verbrecher Verlag, 242 Seiten, 19 €