Ach, ist die Welt vor einer Bundestagswahl doch schön bunt – überall farbige Wahlplakate. Und so viele lachende, zumindest lächelnde Köpfe sind darauf zu sehen. Und was sie uns alles versprechen! Da gibt es jene Aussage: »Alles kann man ändern«. Na, wenn das mal nicht ein kluger Satz ist – ich wäre von selbst nie darauf gekommen! Na gut, ja: Es gab ja diesen Altvorderen Heraklit, dessen Credo lautete »Panta rhei«, damals vor 2.000 Jahren. Aber heutzutage ist das natürlich etwas völlig Neues! Dann fragte ich mich: Was war damit gemeint – ändern kann man ja zum Guten wie zum Schlechten. Was also sollte sich ändern, was wäre dafür zu tun? Davon stand kein Wort auf dem Wahlplakat. Wahrscheinlich ging es dem Typen mit dem Plakat-Gesicht nur um eines: irgendwie in den Bundestag zu kommen, egal mit welcher Aussage. Aber glaubt denn jemand, dass z. B. ich als Normalo jemandem mit solch einer Plattitüde zu einem hoch überdurchschnittlichen Gehalt für mindestens vier Jahre verhelfe?
Andere Kandidaten machen es sich noch einfacher. Da findet man nur ein Foto, den Namen und die Parteizugehörigkeit auf dem Plakat. Und bei diesen finde ich viele Gesichter, die mir irgendwie bekannt vorkommen. Da fragt man sich: Wo habe ich dieses Konterfei bloß schon mal gesehen …? Und dann kommt die Erinnerung: Natürlich, vor der letzten Wahl! Dieselben Gesichter in denselben Parteien. Und warum fällt mir die Erinnerung so schwer? Ja, weil ich sie seitdem nie wieder gesehen habe!
Bei uns im Ort sehe ich das Gesicht eines MdB, das laut Wikipedia nebenher noch neun verschiedene Funktionen und Posten hat! Ist ja klar – die vielen Ämter in Stadt, Kreis und Land und dann noch die Aufgaben in Berlin – da kann man sich halt nicht zerreißen und bei den Wählern vor Ort sehen lassen … Und wenn man nicht beim Wahlvolk auftaucht, braucht man ja auch keine Ziele zu nennen. Wobei – bei einigen wäre es vielleicht auch besser gewesen, gar keine Ziele zu nennen. Denn als Wahlziel das Wort »Zusammen« aufs Plakat zu bringen, ist ähnlich sinnvoll wie das Wort »Zuversicht«. Welche Zuversicht? Dass das Heizungsgesetz nachgebessert wird, dass die Energiepreise sinken, dass weniger Waffen in Krisengebiete verkauft werden, dass sich eine ehemals pazifistische Partei für friedliche Koexistenz einsetzt? Nicht mal vom Klimaschutz ein Wort! Eine Plakat-Aussage fand ich wirklich kurios: »Max macht’s!« Auf welches Niveau begeben sich die Werbe-Profis, die sich Derartiges ausdenken? Dann doch lieber der Slogan von »Die Partei«: »Der nächste Kanzler ist ein Arschloch.«
Betrachtet man den Prozess der Erstellung der Wahlplakate etwas detaillierter, sind mehrere Arbeitsetappen sichtbar. Zunächst formuliert der Auftraggeber (das kann ein einzelner Wahlkandidat sein oder eine Partei), welche Aussage ihm wichtig ist. Bereits hier sollten doch eigentlich inhaltlich relevante Ziele genannt werden. Dann gibt es in vielen Fällen eine Werbeagentur, die dafür die griffigste, zündendste Wortwahl erstellt, möglicherweise auch mehrere Versionen vorschlägt. Daraus wird letztendlich dann die favorisierte Variante ausgewählt und gedruckt. Und was liest man dann auf vielen Wahlplakaten? Inhaltlich nichtssagende Aussagen, illusorische Wünsche, auch Ziele, deren Gegenteil eine bisher regierende Partei verfolgt hat.
Derartige Wahllosungen sind in mehrerer Hinsicht interessant: Haben die sich zur Wahl stellenden keine besseren Zielvorstellungen? Oder denken sie, die Wähler können nur mit einfachen, fast billigen Worthülsen abgespeist werden und sind nicht in der Lage, die bisherige Regierungs-Realität selbst zu erkennen? Ist vielleicht – völlig unabhängig von den Wahlplakaten – im Hinterzimmer schon eine Taktik abgestimmt worden, was man in einer möglichen Koalition mit wem durchsetzen möchte? Ich erinnere mich dabei an eine Aussage, dass der bisherige Koalitionspartner »ab morgen … eins auf die Fresse« kriegen sollte (Wortwahl aus der Erinnerung formuliert) und nach der Wahl doch genau mit diesem Wahlkampf-Gegner koaliert wurde? Das geschah nicht bei der letzten Bundestagswahl, sondern liegt schon länger zurück.
Dieser ziemlich deutlich erkennbare Populismus im Wahlkampf zeigt sich auch an anderer Stelle. Sieht man sich Auszüge aus den Wahlreden der führenden Parteivertreter an, ist eigentlich immer ein ähnliches Schema erkennbar: Der-/diejenige am Mikrofon sucht sich einen politischen Schwerpunkt heraus, der kurz beschrieben wird. Wirklich: kurz – nicht unter allen Aspekten, sondern meist singulär hervorgehoben. Dann kommt meist schon eine Portion Emotion dazu, um mit diesem Gemisch alle anderen, abweichenden Meinungen schlecht zu reden. Aber nicht nur einmal – nein, das wird mehrfach wiederholt, wobei sich der Tonfall nach oben schraubt, die Emotion immer mehr gesteigert wird und es langsam zu einem Stakkato wird, dass auf die Köpfe der Zuhörer – es sind ja sehr viele Gleichgesinnte im Saal, die dazu verständig nicken – herabprasselt. Und irgendwann beginnt das Klatschen, das sich zu einer allgemeinen Zustimmungswelle, möglicherweise auch stehenden Ovationen steigert. Und damit ist das Ziel erreicht, nämlich die volle Zustimmung zu diesem Schwerpunkt; am Mikrofon kann man dann den nächsten Aspekt ins Auge fassen.
Dieses »Arbeitsschema« zeigt weder die Seriosität der politischen Agenda noch eine ernsthafte Betrachtung der jeweiligen Problematik – es zeigt nur die Nutzung einfacher Mittel der menschlichen Beeinflussung. Wenn sich im Politik-Betrieb diese Art von Markt- bzw. Saal-Schreierei durchsetzt, werden inhaltliche und ausgewogene Sachverhalte irgendwann uninteressant; dann kommen Personen ans Ruder, die Redegewalt haben, aber möglicherweise kein ausreichendes politisches Können und Geschick.
Ist diese Tendenz nicht bereits sichtbar?