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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wahlversprechen und Wahlreden

Ach, ist die Welt vor einer Bun­des­tags­wahl doch schön bunt – über­all far­bi­ge Wahl­pla­ka­te. Und so vie­le lachen­de, zumin­dest lächeln­de Köp­fe sind dar­auf zu sehen. Und was sie uns alles ver­spre­chen! Da gibt es jene Aus­sa­ge: »Alles kann man ändern«. Na, wenn das mal nicht ein klu­ger Satz ist – ich wäre von selbst nie dar­auf gekom­men! Na gut, ja: Es gab ja die­sen Alt­vor­de­ren Hera­klit, des­sen Cre­do lau­te­te »Pan­ta rhei«, damals vor 2.000 Jah­ren. Aber heut­zu­ta­ge ist das natür­lich etwas völ­lig Neu­es! Dann frag­te ich mich: Was war damit gemeint – ändern kann man ja zum Guten wie zum Schlech­ten. Was also soll­te sich ändern, was wäre dafür zu tun? Davon stand kein Wort auf dem Wahl­pla­kat. Wahr­schein­lich ging es dem Typen mit dem Pla­kat-Gesicht nur um eines: irgend­wie in den Bun­des­tag zu kom­men, egal mit wel­cher Aus­sa­ge. Aber glaubt denn jemand, dass z. B. ich als Nor­ma­lo jeman­dem mit solch einer Plat­ti­tü­de zu einem hoch über­durch­schnitt­li­chen Gehalt für min­de­stens vier Jah­re verhelfe?

Ande­re Kan­di­da­ten machen es sich noch ein­fa­cher. Da fin­det man nur ein Foto, den Namen und die Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit auf dem Pla­kat. Und bei die­sen fin­de ich vie­le Gesich­ter, die mir irgend­wie bekannt vor­kom­men. Da fragt man sich: Wo habe ich die­ses Kon­ter­fei bloß schon mal gese­hen …? Und dann kommt die Erin­ne­rung: Natür­lich, vor der letz­ten Wahl! Die­sel­ben Gesich­ter in den­sel­ben Par­tei­en. Und war­um fällt mir die Erin­ne­rung so schwer? Ja, weil ich sie seit­dem nie wie­der gese­hen habe!

Bei uns im Ort sehe ich das Gesicht eines MdB, das laut Wiki­pe­dia neben­her noch neun ver­schie­de­ne Funk­tio­nen und Posten hat! Ist ja klar – die vie­len Ämter in Stadt, Kreis und Land und dann noch die Auf­ga­ben in Ber­lin – da kann man sich halt nicht zer­rei­ßen und bei den Wäh­lern vor Ort sehen las­sen … Und wenn man nicht beim Wahl­volk auf­taucht, braucht man ja auch kei­ne Zie­le zu nen­nen. Wobei – bei eini­gen wäre es viel­leicht auch bes­ser gewe­sen, gar kei­ne Zie­le zu nen­nen. Denn als Wahl­ziel das Wort »Zusam­men« aufs Pla­kat zu brin­gen, ist ähn­lich sinn­voll wie das Wort »Zuver­sicht«. Wel­che Zuver­sicht? Dass das Hei­zungs­ge­setz nach­ge­bes­sert wird, dass die Ener­gie­prei­se sin­ken, dass weni­ger Waf­fen in Kri­sen­ge­bie­te ver­kauft wer­den, dass sich eine ehe­mals pazi­fi­sti­sche Par­tei für fried­li­che Koexi­stenz ein­setzt? Nicht mal vom Kli­ma­schutz ein Wort! Eine Pla­kat-Aus­sa­ge fand ich wirk­lich kuri­os: »Max macht’s!« Auf wel­ches Niveau bege­ben sich die Wer­be-Pro­fis, die sich Der­ar­ti­ges aus­den­ken? Dann doch lie­ber der Slo­gan von »Die Par­tei«: »Der näch­ste Kanz­ler ist ein Arschloch.«

Betrach­tet man den Pro­zess der Erstel­lung der Wahl­pla­ka­te etwas detail­lier­ter, sind meh­re­re Arbeits­etap­pen sicht­bar. Zunächst for­mu­liert der Auf­trag­ge­ber (das kann ein ein­zel­ner Wahl­kan­di­dat sein oder eine Par­tei), wel­che Aus­sa­ge ihm wich­tig ist. Bereits hier soll­ten doch eigent­lich inhalt­lich rele­van­te Zie­le genannt wer­den. Dann gibt es in vie­len Fäl­len eine Wer­be­agen­tur, die dafür die grif­fig­ste, zün­dend­ste Wort­wahl erstellt, mög­li­cher­wei­se auch meh­re­re Ver­sio­nen vor­schlägt. Dar­aus wird letzt­end­lich dann die favo­ri­sier­te Vari­an­te aus­ge­wählt und gedruckt. Und was liest man dann auf vie­len Wahl­pla­ka­ten? Inhalt­lich nichts­sa­gen­de Aus­sa­gen, illu­so­ri­sche Wün­sche, auch Zie­le, deren Gegen­teil eine bis­her regie­ren­de Par­tei ver­folgt hat.

Der­ar­ti­ge Wahl­lo­sun­gen sind in meh­re­rer Hin­sicht inter­es­sant: Haben die sich zur Wahl stel­len­den kei­ne bes­se­ren Ziel­vor­stel­lun­gen? Oder den­ken sie, die Wäh­ler kön­nen nur mit ein­fa­chen, fast bil­li­gen Wort­hül­sen abge­speist wer­den und sind nicht in der Lage, die bis­he­ri­ge Regie­rungs-Rea­li­tät selbst zu erken­nen? Ist viel­leicht – völ­lig unab­hän­gig von den Wahl­pla­ka­ten – im Hin­ter­zim­mer schon eine Tak­tik abge­stimmt wor­den, was man in einer mög­li­chen Koali­ti­on mit wem durch­set­zen möch­te? Ich erin­ne­re mich dabei an eine Aus­sa­ge, dass der bis­he­ri­ge Koali­ti­ons­part­ner »ab mor­gen … eins auf die Fres­se« krie­gen soll­te (Wort­wahl aus der Erin­ne­rung for­mu­liert) und nach der Wahl doch genau mit die­sem Wahl­kampf-Geg­ner koaliert wur­de? Das geschah nicht bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl, son­dern liegt schon län­ger zurück.

Die­ser ziem­lich deut­lich erkenn­ba­re Popu­lis­mus im Wahl­kampf zeigt sich auch an ande­rer Stel­le. Sieht man sich Aus­zü­ge aus den Wahl­re­den der füh­ren­den Par­tei­ver­tre­ter an, ist eigent­lich immer ein ähn­li­ches Sche­ma erkenn­bar: Der-/die­je­ni­ge am Mikro­fon sucht sich einen poli­ti­schen Schwer­punkt her­aus, der kurz beschrie­ben wird. Wirk­lich: kurz – nicht unter allen Aspek­ten, son­dern meist sin­gu­lär her­vor­ge­ho­ben. Dann kommt meist schon eine Por­ti­on Emo­ti­on dazu, um mit die­sem Gemisch alle ande­ren, abwei­chen­den Mei­nun­gen schlecht zu reden. Aber nicht nur ein­mal – nein, das wird mehr­fach wie­der­holt, wobei sich der Ton­fall nach oben schraubt, die Emo­ti­on immer mehr gestei­gert wird und es lang­sam zu einem Stak­ka­to wird, dass auf die Köp­fe der Zuhö­rer – es sind ja sehr vie­le Gleich­ge­sinn­te im Saal, die dazu ver­stän­dig nicken – her­ab­pras­selt. Und irgend­wann beginnt das Klat­schen, das sich zu einer all­ge­mei­nen Zustim­mungs­wel­le, mög­li­cher­wei­se auch ste­hen­den Ova­tio­nen stei­gert. Und damit ist das Ziel erreicht, näm­lich die vol­le Zustim­mung zu die­sem Schwer­punkt; am Mikro­fon kann man dann den näch­sten Aspekt ins Auge fassen.

Die­ses »Arbeits­sche­ma« zeigt weder die Serio­si­tät der poli­ti­schen Agen­da noch eine ernst­haf­te Betrach­tung der jewei­li­gen Pro­ble­ma­tik – es zeigt nur die Nut­zung ein­fa­cher Mit­tel der mensch­li­chen Beein­flus­sung. Wenn sich im Poli­tik-Betrieb die­se Art von Markt- bzw. Saal-Schreie­rei durch­setzt, wer­den inhalt­li­che und aus­ge­wo­ge­ne Sach­ver­hal­te irgend­wann unin­ter­es­sant; dann kom­men Per­so­nen ans Ruder, die Rede­ge­walt haben, aber mög­li­cher­wei­se kein aus­rei­chen­des poli­ti­sches Kön­nen und Geschick.

Ist die­se Ten­denz nicht bereits sichtbar?