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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wahlhallali 2025

Die gro­ße Treib­jagd hat begon­nen. Das Wahl­volk soll zur Strecke gebracht wer­den. Ich. Die Lap­pen hän­gen über­all her­um, die das Wild scheu machen sol­len. Man kann ihnen nicht ent­ge­hen. Nicht mit weg­wei­sen­den Ideen oder Pro­gramm­zi­ta­ten wird der gehetz­te Wäh­ler kon­fron­tiert, son­dern mit Schlag­zei­len weit unter Bild-Level. Sel­ten ein Denk­an­stoß dar­un­ter. Dazu schlecht gemach­te Por­trät-Foto­gra­fien vor einem par­tei­far­be­nen Hin­ter­grund, dass einem übel wird, weil sämt­li­che Lieb­lings­far­ben für poli­ti­sche Pro­pa­gan­da miss­braucht wer­den. Ich rede von den Wahl­pla­ka­ten. Alle in der­sel­ben ideen­lo­sen Wer­be­indu­strie pro­du­ziert und von der Stan­ge gekauft. Im Dut­zend billiger.

Sekun­den­schlaf­zwie­spra­chen auf der Auto­bahn oder beim Stadt­ra­deln: Was wird sich ändern, wenn ich dir mei­ne Stim­me gebe? Was wirst du ändern? Lässt sich über­haupt etwas ändern. Natür­lich darf man das emo­tio­na­le Moment nicht unter­schät­zen. Wer wählt schon mit dem Ver­stand? Nein, der Bauch ist es, der wählt, der Bauch des Meneni­us Agrip­pa. Eine Legen­de, die die irr­sin­nig Rei­chen und Schma­rot­zer lieben.

Ich habe das Rad ste­hen gelas­sen und bin zu Fuß durch den Later­nen­ma­sten­wald gelau­fen, um etwas Fri­sche und Klar­heit zu gewin­nen. Wobei es um die Atmo-Sphä­re schlecht bestellt ist an den Stra­ßen­rän­dern in Deutsch­land. Beson­ders vie­le Pla­kat-Bestel­lun­gen scheint die Par­tei auf­ge­ge­ben zu haben, die sich ursprüng­lich mit einer ver­ant­wor­tungs­vol­len Umwelt­po­li­tik zu legi­ti­mie­ren ver­such­te. »Zusam­men. Ein Mensch. Ein Wort«. Das brin­ge ich nicht gleich zusam­men. Wie kann ein ein­zel­ner Mensch etwas zusam­men­brin­gen? Es gehö­ren doch wenig­stens zwei dazu. Einer, an den sich das Wort rich­tet, einer, der es ver­nimmt. Im gün­sti­gen Fall kom­men die bei­den dann zusam­men. Die ein­fa­che Lösung des Bil­der­rät­sels ist ein gemain­stream­tes Sprich­wort, das frü­her galt, als wir noch auf Bäu­men saßen und nicht gen­dern konn­ten. Da gab es noch die­se beson­de­re Ver­läss­lich­keit, den männ­li­chen Hän­de­druck, der alles besie­gel­te, ohne Hin­ter­list und Klein­ge­druck­tes, sogar ganz ohne Wor­te. Der Spruch hat­te auch noch eine scherz­haf­te Fort­set­zung. Miso­gyn war er nicht.

Wör­ter­bü­cher sind ja eine ziem­lich coo­le Erfin­dung. Gera­de durch die Spra­che soll sich der Mensch vom Tier unter­schie­den. Fon­ta­ne fol­ger­te scharf­sin­nig und humor­voll: »Wer am mei­sten redt, ist der rein­ste Mensch.« Zu Ein­wort­sät­zen haben es die Kha­ki-Grü­nen immer­hin schon gebracht. »Zuver­sicht« und 3,5 Pro­zent, das brin­ge ich nicht zusammen.

Nach­dem mir Anna­le­na Baer­bocks mona-lisai­sches Lächeln auf­ge­gan­gen war, folg­te mein Blick der Krüm­mung des Later­nen­ma­stes auf­wärts. Da hing ein Pla­kat über dem ande­ren, eine viel­far­bi­ge, plu­ra­li­sti­sche Ampel. Das sind ja alles nur weib­li­che Men­schen! Ohne Anna­le­nas Slo­gan wäre mir das viel­leicht gar nicht auf­ge­fal­len. War dies der Sinn der Scha­ra­de? Wir Frau­en wer­den es rich­ten? Mög­lich ist es. Die Män­ner haben es jeden­falls nicht ver­mocht. Mir fällt das Por­trät von Sahra Wagen­knecht auf. Ver­tritt ihr so gran­di­os gestar­te­tes BSW das Erbe der Lin­ken? Immer­hin, die Par­tei­grün­de­rin ist eine der Unbeug­sa­men aus dem Osten. Das hat­ten wir doch schon mal. Ange­la Mer­kel warb auch mit einer sehr über­zeu­gen­den Maxi­me: »Ihr kennt mich.« Jeden­falls soll das »Zusam­men« sicher nicht auf Ali­ce Wei­del bezo­gen wer­den. Die AfD ver­teilt ein »Abschie­be­flug­ticket« mit der Behaup­tung »Nur Remi­gra­ti­on kann Deutsch­land noch ret­ten«, unter­stützt von Super-Elon mit der Devi­se: »Nur die AfD kann Deutsch­land noch ret­ten.« Er meint sich selbst und sei­ne Erfin­dung: das auto­no­me Fah­ren. Augen zu und durch? Deutsch­land ist über­haupt nicht zu ret­ten. Es geht zugrun­de mit­samt der gan­zen kapi­ta­li­sti­schen Welt, alle ande­ren mit sich rei­ßend, die nichts dafür kön­nen, Men­schen, Tie­re und Pflanzen.

Der Wachs­tums­wahn. Die Kapi­ta­li­sie­rung der mensch­li­chen Grund­be­dürf­nis­se. Die Aus­beu­tung und Ver­schwen­dung sämt­li­cher glo­ba­len Res­sour­cen. Wer wird, wer kann etwas dar­an ändern? Der Krieg. Die aber­wit­zi­ge, welt­wei­te Auf­rü­stung mit Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen. No other land betrifft uns alle. No other planet.

Über die gan­ze pla­ka­ti­ve Heu­che­lei der soge­nann­ten Sozi­al-, Christ- und Libe­ral-Demo­kra­ten will ich lie­ber nicht reden. Wir wer­den nie­mals Demo­kra­tie haben, wenn wir uns nicht selbst dar­an betei­li­gen. Wie befrei­end war das Lachen am 4. Novem­ber 1989 auf dem gro­ßen Volks­fest in Ost­ber­lin über das Pla­kat mit dem berühm­ten Mär­chen-Zitat »Groß­mutter, war­um hast du so gro­ße Zäh­ne?« Damals hat­ten es doch alle irgend­wie klar: Ich bin das Volk. Aber nicht mit denen. Son­dern zusam­men mit euch!