Die große Treibjagd hat begonnen. Das Wahlvolk soll zur Strecke gebracht werden. Ich. Die Lappen hängen überall herum, die das Wild scheu machen sollen. Man kann ihnen nicht entgehen. Nicht mit wegweisenden Ideen oder Programmzitaten wird der gehetzte Wähler konfrontiert, sondern mit Schlagzeilen weit unter Bild-Level. Selten ein Denkanstoß darunter. Dazu schlecht gemachte Porträt-Fotografien vor einem parteifarbenen Hintergrund, dass einem übel wird, weil sämtliche Lieblingsfarben für politische Propaganda missbraucht werden. Ich rede von den Wahlplakaten. Alle in derselben ideenlosen Werbeindustrie produziert und von der Stange gekauft. Im Dutzend billiger.
Sekundenschlafzwiesprachen auf der Autobahn oder beim Stadtradeln: Was wird sich ändern, wenn ich dir meine Stimme gebe? Was wirst du ändern? Lässt sich überhaupt etwas ändern. Natürlich darf man das emotionale Moment nicht unterschätzen. Wer wählt schon mit dem Verstand? Nein, der Bauch ist es, der wählt, der Bauch des Menenius Agrippa. Eine Legende, die die irrsinnig Reichen und Schmarotzer lieben.
Ich habe das Rad stehen gelassen und bin zu Fuß durch den Laternenmastenwald gelaufen, um etwas Frische und Klarheit zu gewinnen. Wobei es um die Atmo-Sphäre schlecht bestellt ist an den Straßenrändern in Deutschland. Besonders viele Plakat-Bestellungen scheint die Partei aufgegeben zu haben, die sich ursprünglich mit einer verantwortungsvollen Umweltpolitik zu legitimieren versuchte. »Zusammen. Ein Mensch. Ein Wort«. Das bringe ich nicht gleich zusammen. Wie kann ein einzelner Mensch etwas zusammenbringen? Es gehören doch wenigstens zwei dazu. Einer, an den sich das Wort richtet, einer, der es vernimmt. Im günstigen Fall kommen die beiden dann zusammen. Die einfache Lösung des Bilderrätsels ist ein gemainstreamtes Sprichwort, das früher galt, als wir noch auf Bäumen saßen und nicht gendern konnten. Da gab es noch diese besondere Verlässlichkeit, den männlichen Händedruck, der alles besiegelte, ohne Hinterlist und Kleingedrucktes, sogar ganz ohne Worte. Der Spruch hatte auch noch eine scherzhafte Fortsetzung. Misogyn war er nicht.
Wörterbücher sind ja eine ziemlich coole Erfindung. Gerade durch die Sprache soll sich der Mensch vom Tier unterschieden. Fontane folgerte scharfsinnig und humorvoll: »Wer am meisten redt, ist der reinste Mensch.« Zu Einwortsätzen haben es die Khaki-Grünen immerhin schon gebracht. »Zuversicht« und 3,5 Prozent, das bringe ich nicht zusammen.
Nachdem mir Annalena Baerbocks mona-lisaisches Lächeln aufgegangen war, folgte mein Blick der Krümmung des Laternenmastes aufwärts. Da hing ein Plakat über dem anderen, eine vielfarbige, pluralistische Ampel. Das sind ja alles nur weibliche Menschen! Ohne Annalenas Slogan wäre mir das vielleicht gar nicht aufgefallen. War dies der Sinn der Scharade? Wir Frauen werden es richten? Möglich ist es. Die Männer haben es jedenfalls nicht vermocht. Mir fällt das Porträt von Sahra Wagenknecht auf. Vertritt ihr so grandios gestartetes BSW das Erbe der Linken? Immerhin, die Parteigründerin ist eine der Unbeugsamen aus dem Osten. Das hatten wir doch schon mal. Angela Merkel warb auch mit einer sehr überzeugenden Maxime: »Ihr kennt mich.« Jedenfalls soll das »Zusammen« sicher nicht auf Alice Weidel bezogen werden. Die AfD verteilt ein »Abschiebeflugticket« mit der Behauptung »Nur Remigration kann Deutschland noch retten«, unterstützt von Super-Elon mit der Devise: »Nur die AfD kann Deutschland noch retten.« Er meint sich selbst und seine Erfindung: das autonome Fahren. Augen zu und durch? Deutschland ist überhaupt nicht zu retten. Es geht zugrunde mitsamt der ganzen kapitalistischen Welt, alle anderen mit sich reißend, die nichts dafür können, Menschen, Tiere und Pflanzen.
Der Wachstumswahn. Die Kapitalisierung der menschlichen Grundbedürfnisse. Die Ausbeutung und Verschwendung sämtlicher globalen Ressourcen. Wer wird, wer kann etwas daran ändern? Der Krieg. Die aberwitzige, weltweite Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen. No other land betrifft uns alle. No other planet.
Über die ganze plakative Heuchelei der sogenannten Sozial-, Christ- und Liberal-Demokraten will ich lieber nicht reden. Wir werden niemals Demokratie haben, wenn wir uns nicht selbst daran beteiligen. Wie befreiend war das Lachen am 4. November 1989 auf dem großen Volksfest in Ostberlin über das Plakat mit dem berühmten Märchen-Zitat »Großmutter, warum hast du so große Zähne?« Damals hatten es doch alle irgendwie klar: Ich bin das Volk. Aber nicht mit denen. Sondern zusammen mit euch!