Vor den Kommunalwahlen ist es erstaunlich ruhig in Leipzig. Sachsens Vorzeigestadt schwelgt in einer beschaulichen, frühsommerlichen Schrebergartenstimmung. Zwar gibt es immer wieder Demonstrationen aus den politischen Randspektren und dazugehörige Gegenveranstaltungen. Die aber stehen in Leipzig auch ohne kommende Wahlen an der Tagesordnung. Und selbst der vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtete Pegida-Star Michael Stürzenberger konnte unlängst nicht mehr als zwei Dutzend Anhänger auf die Straße locken.
Dass demnächst gewählt wird und die Neuverteilung der Sitze im Stadtrat ein Stimmungstest für die Landtagswahl im Herbst sein könnte, ist dem aktuellen Wahlkampf nicht anzumerken. Auf den Plakaten lächeln die Kandidaten zu Slogans wie »Jetzt für Leipzigs Norden« und »Leipzig – lebenswert für alle«, wobei hier unterschiedliche Verkehrsteilnehmer, nicht Menschen verschiedener Herkunft gemeint sind. Den Trend zur allgemeinen Floskel durchbricht einzig die FDP, die sich gezielt an künftige Eigenheimbesitzer wendet (»schneller bauen«). Inhaltlich tiefer wird es aber auch hier nicht. Die Beiträge der AfD sind kaum wahrnehmbar: Ihre Plakate haben eine äußerst kurze Haltbarkeitszeit.
Es geht äußerst ruhig zu in Leipzig. Vielleicht, weil die Stadt eine Hochburg der Linken ist. Diese Partei gewann die letzte Wahl, dicht gefolgt von den Grünen. Auch dieses Mal sieht es nicht danach aus, als ob die AfD an diesen beiden Parteien vorbeiziehen könnte.
Genau das könnte ein Trugschluss sein. Denn das weltstädtische Leipzig sieht die eigentlichen politischen Hotspots in einer völlig anderen Welt: im fernen, abgehängten Osten des Bundeslandes. Dort, in Bautzen und Görlitz, lag die AfD beim letzten Mal vorn. Doch Leipzig überschätzt diese Distanz und seine eigene Strahlkraft: Im eigenen Speckgürtel führte keine linke Partei, sondern die CDU – weniger als zwei Prozent vor der AfD.
Diese blinde Selbstvergessenheit sagt einiges über die bevorstehende Landtagswahl aus. Seltsam zurückhaltend gibt sich die öffentliche Debatte, in der ein Sieg der AfD droht oder befürchtet wird – dabei scheint es klüger, fest mit ihm zu rechnen. Schon jetzt regiert Ministerpräsident Michael Kretschmer notgedrungen mit allen im Landtag vertretenen Parteien außer der Linken und der AfD.
Der Spielraum für politische Bündnisse dürfte nach der Wahl noch geringer werden. Eine aktuelle Civey-Umfrage sieht die AfD leicht vor der CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht mit elf Prozent auf dem dritten Platz. Alle übrigen Parteien dümpeln an der Fünfprozenthürde, SPD, Linke und Grüne darüber, die FDP abgeschlagen darunter. Eine Mehrheit könnte Kretschmer angesichts dieser Konstellation nur erreichen, wenn er sein bisheriges Dreierbündnis aus CDU, SPD und Grünen um das BSW erweitert oder es von ihm dulden ließe. Eine solche Flickschusterei müsste erst einmal zustande gebracht und dann auch den Wählern der AfD und den CDU-Leuten, die mit den Rechten liebäugeln, erklärt werden.
Die Signale aus der großen Politik stiften dieser Tage mehr Verwirrung als Ruhe. So empfahl zwar Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) seiner Partei, sich für ein Bündnis mit der Linken zu öffnen. Das hilft rein rechnerisch in Sachsen aber auch nicht viel weiter. Als der SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke in Dresden niedergeschlagen wurde, löste das zwar bundesweit Empörung aus. Die anschließende Berichterstattung zeigte aber auch, wie verbreitet Gewalt gegen Politiker inzwischen ist, wodurch der Angriff in seiner Unerhörtheit deutlich relativiert wurde. Statt ein Exempel zu statuieren, folgte der Offenbarungseid, dass nicht alle politisch Aktiven unter Polizeischutz gestellt werden können.
Kretschmer selbst trägt zum Dilemma, das sich in Sachsen abzeichnet, gehörig bei. Mit seiner Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland trifft er nicht nur bei der linken Wählerschaft einen Nerv, spaltet aber dennoch. Sein Anraten, den Krieg in der Ukraine einfach einzufrieren, wirkt hingegen fast naiv. Wen er mit seinem Vorschlag, das Recht auf Teilzeitarbeit zu kassieren, ansprechen will, ist hingegen völlig unklar. Weibliche Wähler sicher nicht.
Abseits solcher Wortmeldungen gelingt es Kretschmer bislang nicht, sich – ähnlich wie sein Amtskollege aus dem benachbarten Sachsen-Anhalt 2021 – als einzigen Bewahrer vor einem Sieg der AfD zu stilisieren. Damals erreichte die CDU unter Reiner Haseloff mehr als 37 Prozent und erlangte sogar die Freiheit zurück, sich seine Koalitionspartner auszusuchen. Zuvor steckte er in einer ähnlichen Zwangsehe wie Kretschmer heute fest.
Doch der folgt nicht diesem Beispiel. Möglicherweise, weil er eine pragmatischere Einstellung zur AfD propagiert. Wie er mit den Rechten umgehen möchte, kann Kretschmer allerdings nur bestimmen, wenn er die Wahl im Herbst gewinnen sollte. Dass dem nicht so sein könnte, zeichnet sich immer deutlicher ab.