Der Beschluss des Finanzamts für Körperschaften Berlin I, der Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit zu entziehen (siehe Ossietzky 24/2019) und eine sofortige Steuernachzahlung in fünfstelliger Höhe von ihr zu verlangen, hat breiten Protest ausgelöst. Innerhalb weniger Tage wurde das zunächst gesetzte Ziel von 25.000 Unterschriften unter die Petition »Die VVN-BdA muss gemeinnützig bleiben« erreicht und weit übertroffen (Abschluss am 29. Januar mit fast 34.000 Unterschriften), zahlreiche Protestbriefe wurden an die zuständigen Politiker und Solidaritätsadressen an die VVN-BdA gesandt, mehr als 1300 neue Mitglieder traten der Vereinigung bei. Esther Bejaranos Offener Brief an Finanzminister Olaf Scholz – »Das Haus brennt, und Sie sperren die Feuerwehr aus!« – fand großen Widerhall, und einen Moment lang sah es so aus, als kämen die Verantwortlichen zur Besinnung. Ohne damit die Entscheidung über den Widerspruch der VVN-BdA gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit vorwegzunehmen, teilte das Berliner Finanzamt Anfang Dezember mit, dass es den Vollzug des ergangenen Steuerbescheids wegen »unbilliger Härte« vorerst aussetze, so dass die geforderte Steuernachzahlung nicht noch im alten Jahr geleistet werden musste.
Dann jedoch der nächste Schlag. Das Erfurter Finanzamt bestätigte dem thüringischen Landesverband der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit für die vergangenen drei Jahre – mit der Auflage, künftig kein Geld (weder Spenden noch die satzungsmäßigen Beitragsanteile) mehr an die Bundesvereinigung abzuführen. Gemeinnützige Vereine dürften nämlich nur an andere »steuerbegünstigte Körperschaften« Mittel weitergeben. Sollte der Bescheid des Berliner Finanzamts rechtskräftig werden, ist damit zu rechnen, dass bald alle Landesverbände der VVN-BdA derselben Auflage unterworfen werden wie jetzt schon der thüringische Landesverband. Aus Saarbrücken wird bereits über eine Anfrage des dortigen Finanzamtes berichtet, wie der Landesverband sich in dieser Frage zu verhalten gedenkt.
Rechtsgrundlage: Verfassungsschutz
Die Finanzämter berufen sich auf folgende rechtliche Grundlage: Die Bundesabgabenordnung enthält seit 2009 einen neuen Absatz; danach ist bei »Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen (für die Anerkennung als gemeinnützig) nicht erfüllt sind«. Und: Die VVN-BdA wird in den Berichten des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz als »linksextremistisch beeinflusste« Organisation aufgeführt. Beides zusammen gibt dem Geheimdienst »Verfassungsschutz« die Macht, die 1947 von überlebenden NS-Verfolgten und ehemaligen Widerstandskämpfer*innen gegründete Organisation bundesweit anzugreifen und ihrer materiellen Ressourcen zu berauben.
Solidarische Anträge im bayerischen Landtag
Mit Wirkung ab 2009 wurde dem bayerischen Landesverband der VVN-BdA als erstem die Gemeinnützigkeit aberkannt. Mehrmals setzten sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Landtag dafür ein, die Nennung im bayerischen Verfassungsschutzbericht zu beenden. Vergeblich. Im Dezember 2019, nach dem Angriff auf die Bundesvereinigung der VVN-BdA, forderten die beiden Landtagsfraktionen per Dringlichkeitsantrag erneut, die Einstufung der VVN-BdA als »linksextremistisch beeinflusst« zurückzunehmen und ihre Beobachtung durch den bayerischen Verfassungsschutz einzustellen. Die Anträge wurden abgelehnt. In der Landtagssitzung am 11. Dezember behaupteten die Sprecher von CSU, Freien Wählern und FDP, die Einschätzungen des Verfassungsschutzes seien sowohl vom Verwaltungsgericht München (2014) als auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (2018) inhaltlich bestätigt worden. Eine glatte Lüge. Die Klage der VVN-BdA gegen die Nennung im VS-Bericht wurde 2014 ohne eigene Prüfung der Sachlage durch das Gericht abgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat dem Verfassungsschutz ausschließlich das Recht zugesprochen, derartige Einschätzungen – oder auch ganz andere – von sich zu geben. Eine inhaltliche Prüfung der Behauptungen fand nicht statt. Und auch der Verwaltungsgerichtshof hat nicht die Richtigkeit der Einschätzung untersucht, sondern »nur« die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt, keine Berufung gegen sein Urteil zuzulassen.
Die von den aktuellen Bescheiden betroffenen VVN-BdA-Gliederungen haben Widerspruch eingelegt. Solidarität ist weiterhin notwendig.