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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Vorgartenpflege

In der Regel wird ein »Vater­land« her­ge­stellt durch staat­li­che Macht über ein Ter­ri­to­ri­um und des­sen Bewoh­ner, letz­te­re auch Volk genannt. Der Staats­an­ge­hö­rig­kei­ten ver­lei­hen­de Begriff der Nati­on stif­tet eine Iden­ti­tät von Staat und Volk, von Regie­ren­den und Gefolg­schaft. Die Aus­ge­stal­tung die­ses mit Einig­keit, Recht und Frei­heit voll­zo­ge­nen Zusam­men­schlus­ses durch eine föde­ra­le Staats­struk­tur setzt vor­aus, dass teil­sou­ve­rä­ne Länder/​Distrikte ihre Macht nur im Rah­men des vom gro­ßen Gan­zen Erlaub­ten ausüben.

Ana­log dazu ver­hält es sich außer­halb natio­na­ler Demar­ka­ti­ons­li­ni­en bei zahl­rei­chen »Ein­fluss­ge­bie­ten«, »Hin­ter­hö­fen« und »Vor­gär­ten«. Sie sind zwar for­mal eigen­stän­dig, aber für ihr Han­deln ist/​wäre de fac­to das Pla­cet eines mäch­ti­gen (benach­bar­ten) Sou­ve­räns ent­schei­dend (wie z. B. beim Ver­hält­nis von Allen­des Chi­le zu den USA, Tibet und Tai­wan zu Chi­na und der Ukrai­ne zu Russ­land). Für die deut­sche Öffent­lich­keit schei­den sich weni­ger sou­ve­rä­ne Staa­ten in sol­che, die ihre Dienst­bar­keit rea­li­stisch hin­zu­neh­men – »das geht schon in Ord­nung« –, und ande­re, die das Ide­al natio­na­ler Selbst­be­stim­mung unbe­dingt und mit allen Mit­teln zu ver­wirk­li­chen haben, denn damit »kämp­fen sie für uns«. Damit, staat­lich unab­hän­gig zu wer­den, mit Sezes­si­on, ist es halt so eine Sache; einer­seits gehört sie sich nicht, ande­rer­seits ist sie als Wahr­neh­mung eines Völ­ker­rechts unterstützenswert.

Der Fall der Mau­er und der Zusam­men­bruch des Ost­blocks eröff­ne­ten dem West­block die Chan­ce, die nun selb­stän­di­gen Staa­ten mit einer Trans­for­ma­ti­on zu beglücken, deren Spreng­kraft kei­nen öko­no­mi­schen Bau­stein auf dem ande­ren ließ. Neben Russ­land galt und gilt das auch für Jugo­sla­wi­en bzw. sei­ne Abspal­tun­gen sowie die Ukrai­ne. In Jugo­sla­wi­en habe, so die Kurz­fas­sung gän­gi­ger Zeit­ge­schichts­schrei­bung, eine »eth­ni­sche Zen­tri­fu­gal­kraft« »Gewalt­spi­ra­len« aus­ge­löst, die nur ein west­li­ches huma­ni­tä­res Ein­grei­fen habe stop­pen können.

Auf jeden Fall aber zei­tig­te die Hil­fe den vom Westen erstreb­ten Erfolg: Zäh­mung der Wider­spen­sti­gen, divi­de et impe­ra; die Repu­blik Jugo­sla­wi­en wur­de in mit­ein­an­der ver­fein­de­te und sich wech­sel­sei­tig schä­di­gen­de Klein­staa­ten zer­legt, denen eines gemein­sam ist: Zu ihrem je eige­nen Besten haben sie die Direk­ti­ven der EU, der USA und somit auch des IWF und der Nato, ohne Wenn und Aber aus­zu­füh­ren. Damit ist das vor­ma­li­ge Ärger­nis einer Sowohl-als-auch-Wirt­schafts­po­li­tik der sich als block­frei ver­ste­hen­den jugo­sla­wi­schen Repu­blik auf dem Wert­stoff­hof gerech­ter und loh­nen­der Krie­ge ent­sorgt. Schon zu Zei­ten der Föde­ra­ti­on ver­such­ten sich deren Mit­glie­der dar­an, mit Schul­den­ma­chen im Westen und beim IWF ihre Öko­no­mien zu beflü­geln, wäh­rend sie mit Miss­bil­li­gung des Westens ihre jewei­li­gen Rol­len im Rat für gegen­sei­ti­ge Wirt­schafts­be­zie­hun­gen (RGW) wei­ter­hin wahr­nah­men. Als die­ser gott­lob zusam­men­brach, hat­te der west­li­che Bedarf an Han­del und vor allem Wan­del die Zie­le und Orga­ni­sa­ti­on von Pro­duk­ti­on schon geprägt – nur jetzt umso nach­drück­li­cher; die Fra­gen, wer (Staat, Pri­vat­ei­gen­tum, aus­län­di­sches Kapi­tal?) was (Kon­sum­gü­ter, Teil­fer­ti­gungs­pro­duk­te für Export?) wie, für wen und zu wel­chem (nun welt­markt-taug­li­chen?) Preis anfer­tigt, wur­den und wer­den nun von den west­li­chen Inter­es­sen­ten an der Kon­kurs­mas­se den jetzt Ver­ein­zel­ten und frü­he­re Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten Ent­beh­ren­den mit neu­er Durch­schlags­kraft gestellt. Das Ergeb­nis ent­spre­chen­der Zurich­tun­gen, zu denen sich die Steue­rer der neu­en Staa­ten suk­zes­si­ve ver­stan­den haben, kann man mit Micha­el Paren­ti als »die Schaf­fung einer Drit­ten Welt in Euro­pa« bezeichnen.

Einen Vor­gar­ten, der aktu­ell umstrit­ten ist und des­halb mit Schwer­tern umge­pflügt wer­den muss, bis auf Zer­stö­rung Neu­schöp­fung, Auf­er­ste­hen aus Rui­nen folgt, stellt die Ukrai­ne dar. Gegen den Wider­stand des Groß­gärt­ners Putin berech­tigt sie ihr Aus­tritt aus der Sowjet­uni­on zum Kampf für die Heim­ho­lung abtrün­ni­ger und geraub­ter Gebie­te. Das Vor­ha­ben ist des­halb von Strahl­kraft, weil sich sein Staat mit Haut und Haar und töd­li­cher Opfer­be­reit­schaft der Erle­di­gung des Reichs des Bösen ver­schrie­ben hat. Was unter der Feld­herrn­schaft Selen­sky­js bis auf wei­te­res und nach Maß­ga­be west­li­cher Groß­gärt­ner funk­tio­niert, ist sein Krieg. Der son­sti­ge, schon vor dem Krieg bewerk­stel­lig­te Zustand des Lan­des ist der eines Schei­terns. Auch wenn sie ange­sichts der »Lage« zur­zeit für irrele­vant erklärt wer­den, sei­en hier drei Sym­pto­me herausgegriffen.

Faschi­sie­rung: Der Staat passt sei­ne Form sei­nen Herr­schafts­er­for­der­nis­sen an – wenn es sein muss, unter Anver­wand­lung von Zie­len, die Faschi­sten befür­wor­ten und wie in Spa­ni­en unter/​nach Fran­co und in Grie­chen­land unter der »Jun­ta« auch verfolg(t)en – und greift faschi­stisch inspi­rier­te Mei­nungs­trends auf (zum Glück gibt es dage­gen bei uns eine »Brand­mau­er«). Will hei­ßen: Im Unter­schied zu Putins Russ­land, das faschi­stisch zu nen­nen dem Aus­spre­chen einer Wahr­heit gleich­kommt, ist die Ukrai­ne tat­säch­lich kein faschi­sti­scher Staat, son­dern ein demo­kra­ti­scher, der in sei­ner Not auch das bereit­wil­li­ge Kano­nen­fut­ter faschi­sti­scher Kämp­fer nicht ver­schmäht. Wich­tig ist hier, dass der »Asow«-Patriotismus nun ein­mal nicht zu über­tref­fen ist – und wel­cher Staat möch­te schon auf eine sol­che Hin­ga­be ver­zich­ten? Für sie taugt die Inklu­si­on auch nicht lupen­rei­ner Demo­kra­ten alle­mal. Eine Bewusst­seins­fa­schi­sie­rung, die dem Appell auf­ge­stell­ter Ban­de­ra-Sta­tu­en mit dem Auf­spü­ren lebens­un­wer­ter Leben folgt, wird vom Gros west­li­cher Beob­ach­ter als Makel regi­striert, der wegen der Not, in der die Ukrai­ne nicht wäh­le­risch sein kann, jetzt nicht befas­sen­swert sein kann.

Korruption/​Oligarchentum: Wie in Russ­land (wo gemäß der immer dop­pel­ten, das heißt zwei­sei­ti­gen mora­li­schen Mün­ze auch ein Yukos-Olig­arch dadurch zum frei­en Unter­neh­mer mutie­ren kann, dass Putin gegen ihn vor­geht) und bei den Jugo­sla­wi­en-Nach­fol­gern ermög­lich­ten zuerst ein­mal an Jel­zin erin­nern­de öko­no­mi­sche Öff­nun­gen eine Koha­bi­ta­ti­on von prä­de­sti­nier­ten Nomen­kla­tu­ra-Schich­ten, die nun, wie »in Wild­west«, über Pro­duk­ti­ons­mit­tel gebo­ten bzw. sich von die­sen noch mehr aneig­nen konn­ten, und von aus­wär­ti­gen Kapi­ta­len. Dann jedoch leg­te im Inter­es­se letz­te­rer die west­li­che maß­geb­li­che Bewer­tung, die »kick­backs« und »cum-ex« aus eige­ner Pra­xis kennt, den Fin­ger in die ein­fach zu tie­fe und chao­ti­sche ukrai­ni­sche Kor­rup­ti­ons­wun­de. Dekre­tiert wur­de, einem nach eige­nem, unbe­re­chen­ba­rem Gut­dün­ken schal­ten­den Olig­ar­chen­tum sei das Hand­werk zu legen, so die Ukrai­ne EU-fähig wer­den wol­le. Dem Ukas, gefäl­ligst »best prac­ti­ces« zu über­neh­men, kam Selen­skyj denn auch schritt­wei­se mit Ent­mach­tung und Zurück­drän­gung von Seil­schaf­ten nach, und mit der Erlaub­nis an das Aus­land, ukrai­ni­schen Boden zu erwer­ben, genüg­te er auch einem Punkt ganz oben auf der west­li­chen Wunsch­li­ste: freie Bahn für wirk­lich freie Unter­neh­men, deren poten­te Her­kunft effek­ti­ve­res Wirt­schaf­ten verbürgt.

Ver­elen­dung: Die Mehr­heit der die »vibrant socie­ty« der stol­zen Ukrai­ne Stel­len­den wur­de nach west­li­cher und vom Pati­en­ten will­kom­men gehei­ße­ner Schock­be­hand­lung in ein augen­fäl­li­ges Elend gestürzt. Des­sen »Hun­ger­löh­ne«, »Über­flüs­sig­ma­chung«, »brain drain«, »Hei­mat­flucht«, »Kol­laps gesell­schaft­li­cher Für­sor­ge», oft falsch als Ver­sün­di­gung des Staats gegen ein Ide­al von Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit gebrand­markt, ent­sprin­gen sei­ner Garan­tie der Aus­füh­rung von Ver­wer­tungs­er­for­der­nis­sen. Hat erst der aktu­el­le vater­län­di­sche Krieg das Über­le­ben der Nati­on gesi­chert, so muss das Elend im Frie­den sei­nen wie­der­auf­bau­en­den Geschäfts­gang gehen.

Vol­taires Can­di­de mein­te es zwar anders – »il faut cul­ti­ver not­re jar­din« –, aber die impe­ria­le Leit­kul­tur nimmt sich ihrer Vor­gär­ten durch­aus an – wie nur sie es kann. Für das Ent­ste­hen »blü­hen­der Land­schaf­ten« müs­sen die Gärt­ner­ge­sel­len einst­wei­len eben noch ins Gras beißen.