So ein Themen-Sonderheft ist eine Chance. Rund um ein Thema können viele Aspekte, Fragen, Positionen und Geschichten formuliert werden. Endlich Platz!
So ein Themen-Sonderheft bringt aber auch manche Unzufriedenheit. So viele Gebiete und Gegenstände der Armutsmaterie müssen weggelassen oder mindestens verschoben werden. Es gibt in diesem kleinen Heft einfach zu wenig Platz. Viel zu wenig Platz!
Was fehlt ist zum Beispiel die Armut durch Krieg und Waffenproduktion. Oder die Armut der Flüchtenden und der Geflüchteten – in ihren Heimatländern und später hier bei uns. Es fehlt eine Beschreibung des Obdachlosenalltags. Oder eine Beschäftigung mit den alltäglichen Demütigungen durch Hartz IV. Es fehlt auch ein gründlicher Blick in die Welt.
Die Zusammenstellung so eines Heftes folgt – wie immer bei einer Autorenzeitung – auch zufälligen Kriterien. Was wird von Autoren angeboten oder gleich geschickt? Was lässt sich zeitlich realisieren? Welche Fachfrau oder welcher Fachmann ist gerade im Urlaub? Und was ergibt eine vielfältige Mischung aus Tonlagen und Herangehensweisen, aus Ernst und Ironie?
Der Armutsbegriff in diesem Heft ist erweitert. Wir lesen über die Verarmung unseres Geistes durch die Medien und über die Verarmung des Planeten, wir lesen über die Philosophien der Gerechtigkeit und über Klassenjustiz, aber auch über die letzten Ostseefischer und das akademische Prekariat. Ein kleines Lesebuch, dessen einzige Struktur (neben dem großen Thema Armut) das Alphabet ist.
Und was fehlt, wird in anderen Heften Platz finden.
Der Widerstand gegen die Armut braucht noch viele Texte, Aktionen und politische Auseinandersetzungen. Analyse und Empathie. Kluge Vorschläge für Umverteilungen und neue Prioritäten. Wir müssen genauer hinschauen. Wobei uns auch die mit gutem Blick aufgenommen Fotos in diesem Heft helfen.
Armut ist die Folge von (sozial-)politischen Entscheidungen oder Unterlassungen. Armutsdefinitionen (die sich in der Regel nur auf das Einkommen beziehen und nicht auf Lebenslagen) sind von Interessen geleitete politische Definitionen.
Millionen von Kindern und Jugendlichen wachsen in Armut auf. Die Armut der alten Menschen nimmt rasant zu. Aber auch für die Altersgruppen dazwischen gibt es, wenn sie arm sind, kaum einen Ausweg. Die Armut verfestigt sich. Und vor dem Hintergrund des bevorstehenden rapiden Arbeitsplatzabbaus durch die Digitalisierung (auch darüber lesen wir in diesem Heft) werden die Chancen noch kleiner.
Im September sind Wahlen. Worum geht es dabei eigentlich? Die Frage nach der drängenden Verwirklichung der sozialen Menschenrechte spielt leider auch im aktuellen Wahlkampf keine Rolle. Lesen Sie die Wahlprogramme: Ihnen werden häufig die Tränen kommen.
August 2021, Die Redaktion