Außer einigen Pflanzen und Pilzen, die einfach nur räumlich und zeitlich immer weiterwachsen, bilden die meisten Lebewesen Generationen. In jeder Generation werden neue Exemplare erzeugt, an welche die Erbinformation weitergegeben wird.
Ein Generationenwechsel bedeutet, dass nur nach bestimmten Zeitspannen Mutationen stattfinden, bei höheren Tieren ist das die Zeit bis zur Geschlechtsreife. Ganz anders sieht es bei Viren aus. Viren vermehren sich kaskadenartig mehrmals hintereinander in einem einzigen Lebewesen, und zwar schnell, oft in Stunden.
Hinzu kommt ein struktureller Unterschied bei der Weitergabe der Erbinformation. Die Erbinformation ist normalerweise in einer sogenannten Doppelhelix der DNA gespeichert, also gleich zweimal vorhanden, was bei der Kopie Fehler vermeiden hilft. Die meisten Viren dagegen haben nur eine Sequenz, sie mutieren deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit.
Diese beiden Effekte wirken in die gleiche Richtung: Auf der einen Seite Vermehrung über Generationen mit Doppelhelix, auf der anderen Seite kaskadenartige Vermehrung meistens ohne Sicherheitskopie der Erbinformation. Beides führt dazu, dass Viren um Zehnerpotenzen schneller mutieren als fast alle Lebewesen.
Das logische Ergebnis aus diesem Vergleich: Viren sind Antreiber und Beschleuniger der Evolution. Indem sie die befallenen Lebewesen zur Anpassung herausfordern, beschleunigen sie den Evolutionsprozess.
Es ist aber nicht selbstverständlich, diese Tatsache als negativ zu bewerten, wie es die Angstmacher unter den Virologen tun, wir können das auch als Sinn für die Existenz von Viren ansehen. Viren beschleunigen, wertfrei gesehen, die Evolution des Lebens.
Am Beispiel von Corona konnten wir in den Medien die Mutation dieses Virentyps bis zu Omikron verfolgen. Wir stellten fest, die Evolution erfolgt nicht so, dass sich die stärksten und aggressivsten Mutanten gegen sanftere durchsetzen. Es ist bei Viren genau umgekehrt. Mutationen, welche die Menschen weniger schädigen und auch weniger als schwere Krankheit wahrgenommen werden, verbreiten sich leichter und schneller als gefährliche Mutationen.
Die Tatsache, dass Corona-Varianten so schnell mutieren, hat die Epidemie in weniger als zwei Jahren ziemlich harmlos gemacht. Die besonders harmlose Variante Omikron entstand in Südafrika, wo man nur wenig gegen die Ausbreitung unternehmen konnte. Bei uns dagegen wurde auf allen Kanälen Panik erzeugt.
Karl Lauterbach sprach von der Omikron-Wand (gegen die wir mit unserem SUV rasen, wenn wir nicht auf die Bremse treten und die Maßnahmen verschärfen). Doch es kam umgekehrt: Omikron hat die Gefahr von Corona gebannt. Das harmlosere Virus Corona-Omikron hat alle aggressiveren Mutanten verdrängt und die Pandemie beendet.
Wenn man ein wenig Gespür für die statistischen Gesetze hat, erkennt man leicht, dass diese Entwicklung wahrscheinlicher ist als die umgekehrte, die immer wieder von unseren »Experten« prognostiziert wurde. Auch die sehr aggressive Spanische Grippe ist längst verschwunden, ohne dass irgendein Medikament oder Impfstoff eingesetzt wurde, ja, ohne dass die Wissenschaft überhaupt etwas von den auslösenden Viren gewusst hätte.
Evolution ist also nicht nur der »struggle for life«, wie häufig gesagt wird. Evolution begünstigt auch die sanfte Anpassung an Umgebung und Umwelt, sie begünstigt Kooperation und Verträglichkeit mit anderen Lebensformen, Lebewesen und deren Kulturen.
Mit dieser Erkenntnis können wir den sogenannten Kultur-Darwinismus in Gedanken auch umkehren, indem wir behaupten, dass die aggressiven menschlichen Kulturen wie die der Wikinger und der mongolischen Reitervölker und erst recht das Dritte Reich der Nazis nicht lange die Welt beherrscht haben.
Auch das Britische Weltreich wurde an erster Stelle von Gandhi und seiner gewaltlosen Bewegung in Indien besiegt. Gandhi hat mit gewaltloser Taktik mehr Menschen von der Herrschaft der Briten befreit als irgendein bewaffneter Kampf. Das lässt hoffen, dass auch die rücksichtslose und immer noch expansive Kultur, die sich in den Vereinigten Staaten entwickelt hat, trotz aller Perfektion in der Rüstung (zur Vernichtung anderer Länder und Kulturen), dass auch der Waffen-Kult der Amerikaner nicht den gesamten Globus vereinnahmen wird. Es lässt hoffen, dass die extreme Konzentration auf das Militär, der Mangel an Friedfertigkeit, der Mangel an Schonung der Umwelt und der Exzeptionalismus der USA wieder schwindet. Und das kann ohne Einwirkung von außen geschehen.
Corona und die Evolution der Viren lehren uns, dass Aggressivität durch die natürliche Entwicklung ganz von selber nachlässt. Es geschah durch Mutation der Viren zur harmlosen Variante. Daher gibt es auch im Fall der Weltmacht USA die Chance einer kulturellen Mutation zur Friedfertigkeit hin. Vor gut fünfzig Jahren war es schon beinahe so weit. Die Hippie- und Jugendbewegung, die bei uns als 68er Revolte in Erscheinung trat, hat die Regierung der USA dazu gebracht, den Vietnamkrieg zu beenden.
Doch mit der Ermordung von John F. Kennedy, Robert Kennedy und Martin Luther King wurde der Trend umgedreht: Mehr Gewalt, mehr Egoismus, mehr Waffen, mehr Geldgier und Sieg der Finanzmacht. Wir erlebten die neoliberale Ära und zahlreiche Angriffskriege, allerdings immer getarnt als Maßnahmen gegen einen angeblich noch aggressiveren Feind.
Die Hardliner in den USA und die jungen Atlantikerinnen in Europa sehen sich jetzt noch als Teil der zukünftigen Sieger. Die endgültigen Sieger sind aber meistens diejenigen, die mit Sanftmut, ohne Waffen, in Frieden und in Liebe leben wollen.
Rob Kenius betreibt die systemkritische Webseite kritlit.de