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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Von scharfen Bissen zu zahnlosen Hampeleien

Zum Abschluss mei­ner gym­na­sia­len Schul­zeit Mit­te der sech­zi­ger Jah­re des 20. Jahr­hun­derts erwach­te mei­ne Lie­be zum Kaba­rett. Sie brann­te mein Leben lang, und über vie­le Jahr­zehn­te war ich ihr regel­recht ver­fal­len. Es gab Kaba­ret­ti­sten, die ich ver­ehr­te, vor allem Die­ter Hil­de­brandt und Diet­rich Kitt­ner, die ich bei­de ken­nen­ler­nen und zu denen ich eine freund­schaft­li­che Bezie­hung auf­bau­en konn­te. Aber auch vie­len ihrer Vor­gän­ger und Zeit­ge­nos­sen galt mei­ne Bewun­de­rung, und inten­siv ver­folg­te ich auch die Ent­wick­lung der »Klein­kunst« in der DDR mit sei­nen her­aus­ra­gen­den Ver­tre­tern wie zum Bei­spiel Peter Ensi­kat und Rai­ner Otto. Die Pro­gram­me erst­klas­si­ger Ensem­bles wie etwa der Münch­ner Lach- und Schieß­ge­sell­schaft oder des Düs­sel­dor­fer Kom(m)ödchens im Westen bezie­hungs­wei­se der Dres­de­ner Her­ku­les­keu­le und der Leip­zi­ger Pfef­fer­müh­le im Osten ver­folg­te ich mit größ­tem Interesse.

TV-Über­tra­gun­gen von Kaba­rett-Ver­an­stal­tun­gen anzu­schau­en, das war ein Muss, eben­so Hil­de­brandts Kaba­rett-Sen­dun­gen »Noti­zen aus der Pro­vinz« und »Schei­ben­wi­scher«. Die Kaba­rett-Pro­gram­me an Sil­ve­ster waren eine beson­de­re Freu­de. Unver­ges­sen, als Hil­de­brandt rotz­frech sein Solo über Mit­ter­nacht hin­aus vor­trug und spä­ter, als das neue Jahr bereits seit eini­gen Minu­ten begon­nen hat­te, mit unschul­dig-ver­schmitz­ter Mie­ne ver­kün­de­te: »Ach du lie­be Zeit, wir haben ja ver­passt, genau um null Uhr auf das neue Jahr anzu­sto­ßen. Nun gut, dann holen wir das jetzt halt nach!«

Vie­le Glanz­num­mern, die Hil­de­brandt und Co. auf der Büh­ne oder Kitt­ner und ande­re als sati­ri­sche Aktio­nen auch im poli­ti­schen All­tag prä­sen­tier­ten, blie­ben nach­hal­tig in Erin­ne­rung. Man kann sie nach­le­sen in den ver­schie­de­nen Kaba­rett­ge­schich­ten und nach­schau­en im Main­zer Kaba­rett­ar­chiv. Ich bewun­der­te den Mut von Wer­ner Fin­ck, der in der NS-Zeit das dik­ta­to­ri­sche Regime mit einer ein­zi­gen Fra­ge ent­larv­te, mit der er sich wäh­rend einer Vor­stel­lung an die anwe­sen­den Gesta­po-Spit­zel wand­te: »Kom­men Sie mit oder muss ich mit­kom­men?« Groß­ar­tig war, wie Die­ter Hil­de­brandt mit sei­nem Vor­trag »Hel­mut Kohl spricht Mat­thi­as Clau­di­us« den dama­li­gen Bun­des­kanz­ler vor­führ­te, und gera­de­zu umwer­fend war das Mär­chen, mit dem Diet­rich Kitt­ner als Sand­männ­chen das kapi­ta­li­sti­sche System der BRD bloß­stell­te: »In einer Stadt leb­te einst ein Mann, der hat es allein durch sei­ner Hän­de Arbeit zu gro­ßem Reich­tum gebracht. Und mor­gen, lie­be Kin­der, erzäh­le ich euch ein ande­res Märchen.«

1995 brach­ten die horen. Zeit­schrift für Lite­ra­tur, Kunst und Kri­tik einen Band zum The­ma »Kaba­rett in Deutsch­land« her­aus, mit dem die­se Gat­tung von Exper­ten mit sei­ner Geschich­te und in sei­ner aktu­el­len Prä­sen­ta­ti­on vor­ge­stellt wur­de. Diet­rich Kitt­ner leg­te dar, dass Kaba­rett kein bil­li­ger Amü­sier­be­trieb sein darf: »Denn Kaba­rett – mit K und Dop­pel-T – ist mehr: Lust zum Auf­decken von Zusam­men­hän­gen, immer etwas über die Gren­zen der offi­zi­el­len Mei­nungs­frei­heit hin­aus.« Lei­den­schaft­lich for­der­te er das Kaba­rett dazu auf, die Men­schen kri­ti­scher zu machen: »Es gilt, sie zu bewe­gen, Begrif­fe abzu­klop­fen, die bis­her selbst­ver­ständ­lich hin­ge­nom­men wur­den; sie dazu zu brin­gen, sich zu über­le­gen, ob man es wirk­lich Demo­kra­tie nen­nen kann, wenn die Deut­sche Bank regiert, die kei­ner gewählt hat, die kei­ner abwäh­len kann, die sich kei­ner Wahl stellt, und die den­noch mehr Macht aus­übt als alle par­la­men­ta­ri­schen Gre­mi­en zusam­men­ge­nom­men.« In einem Inter­view mit dem Mann­hei­mer Mor­gen (vom 31.12.2024) hat Urban Pri­ol jüngst fest­ge­hal­ten, dass auch kri­ti­sches Kaba­rett nie sei­nen Unter­hal­tungs­auf­trag ver­ges­sen soll­te. Das ist rich­tig. Frei­lich muss das Kaba­rett sei­ne Zuschau­er zum Lachen brin­gen, aber die Men­schen sol­len gezielt zum Lachen gebracht wer­den, und mit die­sem soll eine Erkennt­nis­ver­mitt­lung ver­bun­den sein. »Wenn Kaba­rett sei­nem Publi­kum Mit­den­ken abver­langt und ihm damit ein Ver­gnü­gen berei­tet«, so Kitt­ner, »wird es nicht tot­zu­krie­gen sein.«

Ledig­lich ein Bei­trag aus dem horen-Band Nr. 177 fiel aus dem Rah­men, näm­lich der des Schrift­stel­lers Eck­hard Hen­scheid mit der Über­schrift »Lite­ra­tur vs. Kaba­rett X:0. Nahe­zu per­sön­li­che Anmer­kun­gen zu einer recht obso­le­ten, ja ziem­lich stein­dum­men Gat­tung.« Ich muss sagen, dass ich mich sei­ner­zeit maß­los über ihn erregt habe, denn ich fand es bös­ar­tig und abso­lut unge­recht, wie Hen­scheid über »die­ses Gesocks« läster­te, »das sich für etwas Geld noch vor jede TV-Lin­se hockt«. Hef­tig pole­mi­sier­te er gegen die­sen Stand, der »sein ver­ba­les Geham­pel, sein depri­mie­ren­des Dop­pel­sinn- und Wort­spiel­ge­kas­per, sei­ne krach­erb­sen­schar­fen Schüs­se aus der Wort­ka­no­ne« abfeu­ert, »dies pro­to­ty­pisch kaba­ret­ti­stisch Knall­köp­fi­ge und gleich­zei­tig Kotz­brocki­ge, blind­lin­gisch all­zeit beju­belt von einem jäm­mer­li­chen, scheints noch mit jeder Zustim­mung zufrie­de­nen Stamm­pu­bli­kum und empha­ti­scher noch von sich sel­ber und dem eige­nen Stamm, die­sen im ste­ten Namen­wech­sel ewig­glei­chen Witz- und Abgrei­fer- und Absah­ner­fi­gu­ren eines gott­ver­las­se­nen Gra­tis­welt­geists und ---«. Der Satz bricht ab, und Hen­scheid fasst sei­ne Attacke spä­ter in dem Satz zusam­men: »Sie wis­sen nichts, sie ken­nen nichts, sie haben nichts gelernt.«

Über die­se maß­lo­se Pole­mik habe ich mich damals geär­gert, und heu­te, drei­ßig Jah­re spä­ter, stim­me ich ihr zu. Aller­dings mit einer ent­schei­den­den Ände­rung. Die­se betrifft das Ziel­ob­jekt. Die­ses durf­te und darf näm­lich nicht das scharf­zün­gi­ge Kaba­rett sein, son­dern es gilt für das seich­te Caba­ret, das man heu­te per­ma­nent und nahe­zu aus­nahms­los prä­sen­tiert bekommt. Das poli­ti­sche Kaba­rett ist fast aus­ge­stor­ben so wie vie­le sei­ner erst­klas­si­gen Ensem­bles aus der Nach­kriegs­zeit. Doch halt, kommt jetzt sicher­lich der Ein­wand, es gibt noch scharf­zün­gi­ge poli­ti­sche Kaba­ret­ti­sten, die man im TV sehen kann, wie zum Bei­spiel Jan Böh­mer­mann. Und im ZDF sam­melt die »heu­te-Show« die pein­li­chen Aus­rut­scher der Spit­zen­po­li­ti­ker, und »Die Anstalt« arbei­tet stets ein Schwer­punkt-The­ma sati­risch auf. Aller­dings wur­de der Sen­dung »Neu­es aus der Anstalt« bei ihrem Wech­sel zur »Anstalt« ein neu­es Kon­zept ver­passt, und sie wur­de mit Come­dy erwei­tert. Und wenn Max Uthoff als Sir Isaac New­ton gra­vi­tä­tisch über die Büh­ne stol­ziert und hoch­tra­bend doziert, reißt er sicher­lich nur die Zuschau­er vom Hocker, die es lie­ben, in einer alter­na­ti­ven Wis­sen­schafts-Sen­dung belehrt zu wer­den. Bleibt noch der Hin­weis, dass es ab und an auch im Ersten von Die­ter Nuhr ein paar Denk- und Lach­an­stö­ße gibt. Und Urban Pri­ol darf man auch nicht ver­ges­sen. Aber trotz ver­schie­de­ner Licht­blicke bleibt fest­zu­hal­ten, dass die Come­dy domi­niert, und zwar lei­der zumeist in ihrer doof­sten Form.

Das Kaba­rett ist zu einem niveau­lo­sen Caba­ret mutiert. Das C ersetzt das K und hat außer­dem ein t ver­trie­ben. Hen­scheid hat 1995 die bedeu­ten­den Ver­tre­ter des poli­ti­schen Kaba­retts zu Unrecht ver­ächt­lich gemacht, aber sei­ne erbar­mungs­lo­se Kri­tik trifft voll auf die Come­di­ans der Gegen­wart zu. Eine Come­dy-Sen­dung im Fern­se­hen gleicht der ande­ren: Da tre­ten eine Ham­pel­frau oder ein Ham­pel­mann nach dem ande­ren auf und geben stac­ca­to sau­dum­me Sät­ze von sich. Inhalts­lo­ses Gebab­bel über angeb­lich all­zu Mensch­li­ches. Die Haupt­sa­che für jeden Pseu­do-Spaß­ma­cher ist ein schril­les Out­fit. Kugel­run­de Frau­en las­sen mit Absicht ihre Fett­pol­ster quel­len, klapp­ri­ge und in grell­sten Tönen ange­mal­te Boh­nen­stan­gen behän­gen sich mit sado-macho anmu­ten­den Ket­ten, Män­ner tra­gen Nester oder Pfer­de­schwän­ze (auf dem Kopf), Frau­en glit­zern­de Glat­zen. Er, sie, es: Alle sind täto­wiert und gepierct. Quer oder schräg, hori­zon­tal oder ver­ti­kal, schwul oder les­bisch: Jede Grup­pe mischt mit.

Wich­tig für die Kame­ra­füh­rung bei einer TV-Über­tra­gung ist der Blick ins Publi­kum, das sich vor Lachen biegt. Wor­über, das bleibt ein Rät­sel. Oft pru­sten Zuschaue­rIn­nen schon los, wenn der irr­sin­ni­ge Möch­te­gern-Komö­di­ant einen ein­di­men­sio­na­len Satz gera­de erst begon­nen hat. Es ist doch egal, was er sagt, es wird schon was zum Lachen sein. Da es kei­ne Poin­ten gibt, nimmt man eben Lächer­lich­kei­ten als Lach­an­stoß. Dabei ist das geist­lo­se Gequat­sche zum Kot­zen. Gewiss kann man auch Anzüg­lich­kei­ten in ein sati­ri­sches Unter­hal­tungs­pro­gramm ein­brin­gen, aber es ist niveau­los, wenn eine Zote auf die näch­ste folgt, und der gan­ze Vor­trag dar­in besteht, dass eine jucken­de Muschi einen Schlapp­schwanz nach dem ande­ren provoziert.

Was ich mir wün­sche: Die Rück­kehr zum poli­ti­schen Kaba­rett. Die Dumpf­backen aus der unsäg­li­chen Come­dy-Sze­ne soll­ten zurück­ge­drängt und am besten in die Müll­ton­nen des Kul­tur­be­triebs gestopft wer­den. Ich wün­sche mir das Kaba­rett, wie bereits von Kitt­ner gefor­dert, als Demo­kra­tie­be­wah­rungs-Insti­tu­ti­on, der end­lich wie­der ein Platz im Kul­tur­le­ben und im TV-Betrieb ein­ge­räumt wird. Den Anti-Demo­kra­ten muss auf­klä­re­risch und mit Sati­re auf die Fin­ger geschaut, ihre dunk­len Machen­schaf­ten müs­sen auf­ge­deckt wer­den. Wir brau­chen wie­der ein Kaba­rett, das dafür sorgt, dass den Mili­ta­ri­sten sowie den Rüstungs­lob­by­isten und Kriegs­ge­winn­lern ihr Lachen ver­geht. Des­halb müs­sen die pseu­do-komö­di­an­ti­schen Ham­pel­men­schen gestoppt und zumin­dest in ihrer Medi­en­prä­senz redu­ziert wer­den. Wir brau­chen ein Kaba­rett mit schar­fem Biss, das Auf­klä­rungs­ar­beit lei­stet und das Volk zum Lachen bringt, indem es die pro­fit­gie­ri­gen Strip­pen­zie­her des Kapi­tals ent­larvt und der Lächer­lich­keit preis­gibt. Sicher­lich hat Pri­ol Recht mit der Aus­sa­ge: »Das, was uns die Poli­tik täg­lich an Real­sa­ti­re lie­fert, noch zu top­pen, das ist echt har­te Arbeit.« Aber eine gute Kaba­ret­ti­stin bezie­hungs­wei­se ein guter Kaba­ret­tist kann das leisten.