Über China und die chinesische Politik gehen die Meinungen auseinander. Robert Fitzthums Sachbuch liefert lebendige Fakten und bezieht Positionen, auf deren Basis die Leserinnen und Leser sich ein eigenes Urteil zu bilden vermögen. Allerdings lässt das im Buchtitel angelegte Framing »Erfolgreiches China« befürchten, dass nur jene das Buch kaufen und lesen werden, die vom Erfolg Chinas bereits überzeugt sind. Doch gerade die Skeptischen müssten zugreifen. um ihr trübes, europazentriertes Chinabild aufzufrischen.
Der Autor des Buches lebt seit 2013 in der Volksrepublik China – im südchinesischen Nanning – und beobachtet von dort aus die weltpolitischen und lokalen Entwicklungen. Zuvor hat er, nach einem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien, als IT-Manager und Personalchef bei verschiedenen Banken gearbeitet und Unternehmen beraten.
Sein China-Buch umfasst eine Einleitung über die Verbesserung der Lebensverhältnisse der chinesischen Bevölkerung sowie vier Teile: jeweils ein Kapitel über den Weg des Landes aus der Armut, über die Maßnahmen zur Verbesserung von Umwelt und Klima sowie über das Zukunfts-Konzept der Urbanisierung. Das abschließende Kapitel enthält Interview-Antworten von Professor Zhang Weiwei (Shanghai) auf Fitzthums Frage: »Wie konnte China diese Erfolge erzielen?«
Zhangs Antworten geben einen ausgezeichneten Einblick: einerseits hinsichtlich der Merkmale der chinesischen Entwicklung (Bezug zur Lebenswirklichkeit, Praxisorientierung, kontinuierliches Experimentieren und stete Verbesserungen durch Offenlegen der Schwachstellen) und andererseits bezüglich des Verhältnisses von kultureller Tradition, Marxismus und Kommunistischer Partei. Dabei werden neben den Kriterien der sorgfältigen Rekrutierung der Parteimitglieder und Kader (»Führungskräfte«) auch die Systemschwächen in Gestalt des Bürokratismus angesprochen.
Die selbstreflexive Haltung der chinesischen Politik und ihr systematisches Vorgehen kommen sehr überzeugend zur Geltung in einer 40-seitigen Stellungnahme des Ministeriums für Ökologie und Umwelt zu Fragen der zukünftigen Entwicklung von Energie und Umwelt. Die wörtliche Übernahme der Stellungnahme in das Buch ist ein Gewinn, weil darin die klaren Prämissen der chinesischen Umweltpolitik und die Schritte ihrer Umsetzung anschaulich zur Geltung kommen, ohne dass sich der Eindruck von politischen Wortblasen aufdrängt.
Ein weiteres Interview, das Fitzthum mit dem Stellvertretenden Bürgermeister von Shenzhen geführt hat, thematisiert auf zehn Seiten den »Aufbau der Smart City Shenzhen«. Bei der Lektüre kamen dem Rezensenten allerdings Zweifel, ob der digitaltechnologische Optimismus des chinesischen Gesprächspartners nicht viel zu sehr die kritischen Seiten der »Vierten Industriellen Revolution« ausblendet.
Dieser Einwand ergibt sich nicht zuletzt angesichts der bedenkenlosen Adaption chinesischer Corona-Maßnahmen im Westen. Am Beispiel der westlichen Kopie des chinesischen Vorgehens in Wuhan lässt sich erkennen, dass China nicht unbedingt als Vorbild taugt, wenn digitaltechnologische Neuerungen implementiert werden. Umgekehrt erscheint es mir zwiespältig, wenn bei der Übersetzung aus dem Chinesischen die westliche Terminologie (»Smart City«, »Governance«, »Intelligent Brain«) verwendet wird. Jedenfalls stellt sich die Frage, ob dadurch nicht irreführende Konvergenzen aufscheinen, welche sowohl die Besonderheiten des chinesischen sozialistischen Weges als auch die der „nazi-liberalen Seuche« (Franco »Bifo« Berardi) des Reset-Kapitalismus ausblenden.
Frei und befreit von derlei Bedenken liest sich das 1. Kapitel: »Der Weg aus der Armut«. Die Befreiung aus der Armut ruht in der VR China auf vier Säulen: auf der Idee der »Volkswohlfahrt«, der politischen Entschlossenheit zu handeln, einem umfassenden Aktions-Management zur Umsetzung sowie auf der Bereitstellung von finanziellen Mitteln im erforderlichen Umfang. Wer dieses Kapitel liest, erkennt auf Anhieb, dass das chinesische Konzept ebenso wie das organisatorische und methodische Vorgehen zur Befreiung aus der Armut grundverschieden sind vom »Kampf gegen die Armut«, wie er hierzulande erfolglos geführt wird und auf Kosten der Armutsbevölkerung in Niederlagen endet; siehe Obdachlosigkeit, Kinderarmut, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Hartz IV und Altersarmut. Das Kapitel wird jede/n begeistern (und angesichts der hiesigen Armutsbekämpfung zugleich verzweifeln lassen), die oder der sich bei uns die Befreiung aus Armut zur Aufgabe macht.
Robert Fitzthum: »Erfolgreiches China. Die Fakten zur Befreiung aus der Armut, zur grünen Umgestaltung und zu menschengerechten Städten der Zukunft«, Berlin 2021, Goldegg Verlag, 292 S., 24 €.