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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Vom Mittelmeer bedroht

Spa­ni­ens Küsten ver­schwin­den. Dort wo der Ebro, der zweit­größ­te Fluss des Lan­des, über sein Del­ta ins Mit­tel­mer fließt, lässt sich beob­ach­ten, wie die Ibe­ri­sche Halb­in­sel bedroht wird. Es ist das Mit­tel­meer, des­sen Was­ser­spie­gel steigt. Im Som­mer 2024 ver­öf­fent­lich­te Stu­di­en der Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on Green­peace rie­fen in Spa­ni­en eine gro­ße Beun­ru­hi­gung her­vor. Es sind die Wel­len des stei­gen­den Mee­res, die an den Strän­den nagen, beson­ders in Kata­lo­ni­en und der Nach­bar­pro­vinz Valen­cia. Davon sind hier bereits mehr als 60 Pro­zent der Strän­de betroffen.

Das Ebro-Del­ta wirbt als »Paraí­so de la bio­di­ver­i­dad« – Para­dies der Bio­di­ver­si­tät – und sei­nen end­lo­sen Reis­fel­dern und ein­sa­men Strän­den. In dem Zusam­men­spiel zwi­schen dem Ebro und dem Mit­tel­meer ent­stand ein ein­ma­li­ges, aber äußerst emp­find­li­ches Öko­sy­stem. Durch die Feucht­ge­bie­te stak­sen Fla­min­gos, Zug­vö­gel lie­ben das Reis­an­bau­ge­biet des Del­tas. Hier über­win­tern mehr als 360 Vogel­ar­ten. Bis­her brem­sten die Strän­de und Dünen­ket­ten auch das Meer­was­ser aus, das ist nun vor­bei, jetzt dringt es in die Böden. Aber Reis kann nur in Süß­was­ser wach­sen, ein weit­ver­zweig­tes Was­ser­sy­stem lie­fert es aus dem Lan­des­in­ne­ren ins Del­ta. Bis spä­te­stens 2030, so Green­peace, wird sich das Anstei­gen des Was­sers von Mit­tel­meer und Atlan­tik an den Küsten bemerk­bar machen: Alme­ria, Mála­ga wie am Atlan­tik in Cádiz, Huel­va, Vigo, A Coru­ña, Gijón, San­tan­der, Bil­bao, den Kana­ren und den Balearen.

Auch das Unwet­ter, das am 29. Okto­ber mit bis zu 445 Litern Regen pro Qua­drat­me­ter auf Valen­cia, La Man­cha und Anda­lu­si­en als eine Jahr­hun­dert­ka­ta­stro­phe her­ab­stürz­te, hat sei­ne Ursa­che im Mit­tel­meer und ist eine Fol­ge des Kli­ma­wan­dels. Zwi­schen den stei­gen­den Was­ser­tem­pe­ra­tu­ren im Mit­tel­meer und dem Stark­re­gen über Valen­cia besteht ein direk­ter Zusam­men­hang. Die sich über dem Mit­tel­meer bil­den­den Tief­druck­ge­bie­te zie­hen zur Ibe­ri­schen Halb­in­sel und sor­gen für hef­ti­ge Nie­der­schlä­ge – so auch am 29. Okto­ber. Die Was­ser­mas­sen kamen rasend schnell, über­rasch­ten Anwoh­ner trotz höch­ster Warn­stu­fe des staat­li­chen Wet­ter­dien­stes Agen­cia Estatal de Meteo­ro­lo­gía (AEMET); die War­nung wur­de von zahl­rei­chen LKW- und Auto­fah­rern nicht beach­tet. Aus­ge­löst hat das Unwet­ter das Wet­ter­phä­no­men »gota fría«, zu Deutsch »kal­ter Trop­fen«, in Spa­ni­en DANA genannt. Das Phä­no­men tritt häu­fig in der spa­ni­schen Mit­tel­meer­re­gi­on im Sep­tem­ber und Okto­ber auf und ent­steht, wenn kal­te Luft auf Luft über dem Mit­tel­meer trifft, mit der Fol­ge von hef­ti­gen Regen­fäl­len. Nur dies­mal wur­de das Phä­no­men zu einer Kata­stro­phe. Betrof­fen waren Valen­cia, Mur­cia, Anda­lu­si­en und Kasti­li­en – La Man­cha. Die ersten Toten der töd­li­chen Flut wur­den gemel­det. Unter­bro­chen der Zug­ver­kehr Valen­cia-Madrid wie auch der Flug­ha­fen von Valen­cia. Das Was­ser stand auf dem Roll­feld. Die Men­schen waren und sind ohne Elek­tri­zi­tät, so fal­len Tele­fon, Inter­net und das Han­dy aus. Ins­ge­samt wur­den mehr als 150 Stra­ßen und Auto­bah­nen für den Ver­kehr gesperrt.

Staats­trau­er von drei Tagen wur­de aus­ge­ru­fen. Beim Besuch am 3. Novem­ber von König Feli­pe VI. und Frau sowie Mini­ster­prä­si­dent Pedro Sán­chez im Epi­zen­trum Pai­por­ta mit 62 Toten unweit von Valen­cia kommt es zu Kra­wal­len. Jugend­li­che aus dem rechts­ra­di­ka­len Umfeld, kennt­lich mit Sym­bo­len von Fran­cos Blau­er Divi­si­on, wer­fen Lehm­ku­geln auf den König und Sán­chez. Nach zunächst 10.000 Poli­zi­sten und Sol­da­ten wer­den wei­te­re 10.000 in die ver­wü­ste Regi­on um Valen­cia geschickt. Tätig sind bereits 1800 Feu­er­wehr­män­ner aus Madrid im Kata­stro­phen­ge­biet. Tau­sen­de Men­schen, dar­un­ter zahl­rei­che Jugend­li­che, sind auf­ge­bro­chen um in Soli­da­ri­tät zu Hel­fen. Mit Besen, Was­ser­ka­ni­ster, die Ruck­säcke gefüllt mit Lebens­mit­teln und Medi­ka­men­ten, zie­hen durch Stra­ßen, die oft kilo­me­ter­lang nur zu Fuß pas­sier­bar sind. Das wah­re Aus­maß der Schä­den ist noch immer unbe­kannt. Nach einem Bericht der Han­dels­kam­mer sind rund 4.500 Geschäf­te, Gastro­no­mie­be­trie­be und Dienst­lei­ster geschä­digt, davon 1.600 kom­plett. Etli­che Fabri­ken der Metall- und Holz­in­du­strie wur­den von den Was­ser­mas­sen zer­stört. In den am stärk­sten betrof­fe­nen Gebie­ten von Valen­cia leben 850.000 Men­schen, das ist ein Drit­tel der Bevöl­ke­rung der Pro­vinz Valen­cia. In der Oran­gen­haupt­stadt, wo jähr­lich mehr als 2,5 Mil­lio­nen Ton­nen Zitrus­früch­te geern­tet wer­den, ist zu Beginn der Ern­te unbe­kannt, wie vie­le Plan­ta­gen unter Was­ser ste­hen, was geern­tet wer­den kann, wie hoch der Scha­den ist.

Bis­her wur­den 219 Tote gefun­den, nach wei­te­ren Ver­miss­ten wird noch gesucht. Es wird eine Wei­le dau­ern, bis hier wie­der Nor­ma­li­tät ein­kehrt. Noch immer wird auf­ge­räumt, tau­sen­de von Autos war­ten auf ihre Ver­schrot­tung. Die Kosten des Okto­ber Unwet­ters sind noch nicht ermit­telt, wer­den aber beacht­lich sein.